November 21, 2024

Schwarzach St.Veit Open – entschlüsselt

Der Festsaal in Schwarzach
Stets selbstlos der Wissenschaft verpflichtet: FM Olaf Steffens

Leider war es ja noch nie ganz einfach zu ermitteln, wie sich die Punktausbeute bei Turnieren optimieren lässt. Eine Veranstaltung wie das Schachopen zu Schwarzach St.Veit 2019 bietet indes einen geeigneten Versuchsaufbau für unsere Forschungszwecke.

Bei neun aufeinanderfolgenden Partien kann man sozusagen unter Laborbedingungen verschiedene Stellschrauben drehen, um aus empirischen Ergebnissen wichtige schachsportliche Erkenntnisse zum Wohle der Menschheit zu gewinnen.

Für diesen Feldversuch habe ich mich uneigennützig zur Verfügung gestellt und die Tage der Vergleichbarkeit halber auf gleichförmige, wenngleich auch angenehme Art und Weise verbracht. Gerne bin ich bereit, die resultierenden Erkenntnisse mit den geneigten LeserInnen an dieser Stelle zu teilen.

Datenbasis

Runde 1

– Abendrunde um 19 Uhr

– kein Frühstücksei

– Gepäck den Berg hinaufgeschleppt (Anreisetag)

– im Wirtshaus Nudeln mit Käse vor der Partie – so machte es auch Boris Becker immer in Wimbledon

Folge: umkämpfter Sieg gegen Anton Neubauer aus Österreich (Graz)

 

Runde 2

– Frührunde um 10 Uhr

– weiches Frühstücksei

– kein Blick vom Balkon auf die Berge und

– keine warme Mahlzeit vor der Partie

– nach der Partie großer Salatteller im Hotel Zur Post (Schwarzach)

Folgesehr glücklicher Sieg gegen Großmeister HaJo Hecht (!)

 

Runde 3

– Abendrunde um 18 Uhr

– hartes Frühstücksei

– Tag auf dem Balkon verbracht (Bergblick)

– im Wirtshaus Nudeln mit Käse vor der Runde

Folge: relativ klare Schwarz-Niederlage gegen GM Palac (Kroatien)

Nichts zu holen für Schwarz

 

 

 

 

 

 

 

 

Runde 4

– Abendrunde um 18 Uhr

– wiederum hartes Frühstücksei

– Tag auf dem Balkon verbracht (Bergblick)

– im Wirtshaus Nudeln mit Käse vor der Runde

FolgeWeiß-Niederlage gegen GM Zelcic (Kroatien)

 

Runde 5

– Abendrunde um 18 Uhr

– weiches Frühstücksei

– Tag nur zu einem Teil auf dem Balkon verbracht, Besuch im Naturschwimmbad St. Veit (ohne Chlor)

– Pizza Margherita auf dem Rasen des Freibades

Folge: umkämpftes und glückliches Schwarz-Remis gegen Ralf Hein (Hamburg!)

Offenbar Remis!

Auswertung:

Das umfangreiche Datenmaterial gewährt erste Einblicke in die dem Schachturnier Schwarzach St. Veit unterlegten Quellcode:

– erfolgreicher spielt es sich hier offenbar ohne ein hartgekochtes Frühstücks-Ei (Niederlage in Runde 3 und 4). Fünf-Minuten-Eier (Runde 2 und 5) dagegen schonen nicht nur die Umwelt und das Klima ob des geringeren Energiebedarfs bei der Vorbereitung. Sie scheinen auch turniertechnisch erheblich aussichtsreicher zu sein (1,5 Punkte aus 2 Partien).

– lange und mit Ausdauer auf dem Balkon verbrachte Tage (Runde 3 und 4) gewähren dem schachspielenden Organismus vermutlich nur in geringem Maße Unterstützung vor einer langen Turnierpartie. Selbst ein schöner Bergblick bietet in dieser Hinsicht offenkundig keine verbesserten Perspektiven.

Sehr schön, aber turniertechnisch leider ohne Belang

– eine warme Mahlzeit, bevor es zur Arbeit ans Schachbrett geht, würde man intuitiv sicher zu den turniererfolgsbegünstigenden Faktoren rechnen.

Allein, unsere empirischen Forschungen zeichnen ein weniger klares Bild. Die vor Runde 1 genossenen Wirtshaus-Käsenudeln führten zu einer Gewinnpartie, doch selbiges Essen in Runde 3 und 4 brachte mit zwei Niederlagen keinerlei Fortschritt (bzw sogar Rückschritte) im Turniertableau.

Die besten Aussichten für einen vollen Punkt deuten sich an bei einem nach der Partie genossenen großen Salatteller (Runde 2). Auch mit einer im Freien genossenen Pizza (Runde 5) konnte zumindest der Partieverlust abgewendet werden, was sich von den Nudeln mit Käse bedauerlicherweise nicht behaupten lässt.

– die Uhrzeit des Rundenbeginns (4 mal spät, einmal früh) lässt bislang keine näheren Schlussfolgerungen zu – außer, dass es schön ist, den ganzen Tag vorher frei gestalten zu können

– Je weiter weg der Anreiseort der Gegner, desto schwerer ist es augenscheinlich zu Punkten zu kommen. Gegen zwei kroatische Gegner (Runde 3 und 4) ebenso wie gegen einen Hamburger Jung‘ (Runde 5) folgten nur recht magere 0,5 Punkte, und selbst die waren eher noch glücklich.

Bei Gegnern aus dem österreichen Einzugsgebiet (Graz in Runde 1, Raum München in Runde 2) sind die Erfolgsaussichten offenkundig besser. Die Einfluss der Anreisedistanz auf den Partieausgang erscheint in hohem Maße signifikant.

Wir weisen natürlich darauf hin, dass alle Hypothesen nur vorläufig sind und Wechselwirkungen zwischen den benannten Einflussfaktoren berücksichtigt werden müssen. So wird beispielsweise die Erfolgswirkung eines weichen Frühstücks- Eis aufgehoben (Runde 5), wenn der Gegner von weither anreiste (Runde 5, Ralf Hein aus Hamburg) – das Ergebnis allerdings ist fast folgerichtig ein Remis.

Warnen müssen wir indes vor der Kombination eines harten Frühstückseis mit einem Tag auf dem Balkon, Käsenudeln und kroatischen Gegnern mit langer Anreise. Hiermit ist (Runde 3 und 4) eindeutig schon vor Turnierbeginn bereits der Keim einer deutlichen Niederlage gelegt.

Ausblick auf die heutige Runde 6

Nun, was nützen die schönsten Forschungsergebnisse und aufwendig gestalteten Studien, wenn sie nicht auch in der Lebenswirklichkeit des Turnierteilnehmers zu Verbesserungen führen?

Wir versuchen daher, den Ausgang der heutigen 6.Runde zu prognostizieren für die Partie Steffens – Dr. Franz Riemelmoser (Österreich).

Zugrunde legen wir die vorliegenden Rahmendaten:

– Abendrunde um 18 Uhr: bislang kein Einfluss auf das Turnierergebnis vorhersagbar

– hartes Frühstücksei: ja, unglücklichweise aß ich ein hartes Frühstücksei heute, doch nun ist es zu spät, dies noch zu ändern. Die Studie war leider noch nicht publiziert, als ich zum Frühstück ging.

– Tag auf dem Balkon: heute nicht, ich bin gewarnt! Stattdessen eine kühne und seit langem vorbereitete Alpenwanderung von St.Veit nach Goldegg („Golden Eye“) – mit ungewissen Einfluss auf das Turnierresultat

– Essen: von nun an besser Pizza als Käsenudeln, soviel steht fest! Oder ein nachträglicher Salatteller im Anschluss an die Partie – doch die meisten Gasthöfe haben so spät dann schon geschlossen.

– österreichischer Gegner mit kurzer Anfahrt: nach allen bisherigen findings ist das günstig für die Aussicht auf zumindest einen halben Punkt.

Prognose: bis auf das Ei spricht gemäß unserem Modell nichts oder zumindest wenig gegen einen erfolgreichen Turnierabend.

Heute nacht werden wir mehr wissen. Die Studie wird – Finanzierung und Mittel vorausgesetzt – auf alle Fälle fortgeführt!

Olaf Steffens, Diplom-Handelslehrer, unterrichtet an einer Bremer Berufsschule. FIDE-Meister seit 1997, ELO um die 2200, aufgewachsen in Schleswig-Holstein. Spielte für den Schleswiger Schachverein von 1919 (moinmoin!), den MTV Leck (hoch an der dänischen Grenze!), den Lübecker Schachverein, die Bremer Schachgesellschaft und nun für Werder Bremen. Größte Erfolge: Landesmeister von Schleswig-Holstein 1994, Erster Deutscher Amateur-Meister 2002, 7.Platz beim Travemünder Open 2010. Größte Misserfolge: werd´ ich hier lieber nicht sagen! Liegen aber gar nicht so lang zurück (leider). Größte Leidenschaften: irgendetwas mit Randbauer-Eröffnungen auszuprobieren, und die Partie dann trotzdem nicht zu verlieren. Klappt aber nicht immer.