Die erste Herausforderung wartete früh. Gert Schulz, der Referent des Deutschen Schachbundes für Inklusion, nennt es „mein erstes Highlight im Bereich Organisation“. Wie funktioniert das, wenn ein blinder Schachspieler gegen einen gehörlosen Schachspieler antritt? „Ich wusste es vorher nicht“, so Schulz. Soviel vorneweg: Das hat gut geklappt bei der ersten Offenen Deutschen Einzelmeisterschaft für Schachspieler mit Behinderung. Auch dank einer jugendlichen Helferin, wenn man so will: einer Sekundantin der besonderen Art.
„Ein Turnier ohne Hektik und Stress.“ Die erste Deutsche Meisterschaft der Behinderten lebt von den besonderen Geschichten
Die Paarung lautete IM Sergej Salov, einst in Lübeck Trainer der Brüder GM Frederik Svane und GM Rasmus Svane und Senioren-Weltmeister der Gehörlosen, gegen Matthias Steinhart – dem als blinder Teilnehmer ein festes Brett zu geordnet ist. Am Ende siegte Salov, der 84-Jährige ist noch immer ein Meister seines Fachs. Aber das Ergebnis war nicht entscheidend bei diesem Duell. Wie die Partie ablief, vor allem das war spannend zu sehen. Die 13-Jährige Barbara Wachtel, Spielerin der Schachfreunde Augsburg und Schülerin der Schachschule von GM Artur Jussupow und WFM Nadja Jussupow, „sorgte dafür, dass die Kommunikationslücken zwischen einem Blinden und einem Gehörlosen perfekt geschlossen wurde“, schwärmte Gert Schulz.
Salov hatte die weißen Steine. Seine Züge sagte Barbara dem blinden Steinhart an – dann drückte sie die Uhr. Matthias führte den Zug des Gegners auf seinem Spezialbrett aus, machte seinen Zug – den wiederum führte Barbara auf dem Brett von Salov aus, und drückte die Uhr. „Auch für mich war es das erste Mal, dass ich so ein Erlebnis hatte“, sagte Gert Schulz, der selbst blind ist. Turnier-Mitorganisatorin und Haupt-Schiedsrichterin Nadja Jussupow, betonte danach: „Für Barbara, die das sehr gerne gemacht hat, war das auch harte Arbeit. Es ist sehr anstrengend, eine fremde Partie so intensiv zu begleiten.“ Aber: „Sie war sofort sehr neugierig auf diese Erfahrung und hat gleich zugesagt, als ich sie um Hilfe gebeten habe.“
Das zeigt, wie wichtig bei dieser besonderen Meisterschaft das Team hinter dem Organisationsteam ist. Barbara gehört mit ihrer 15-Jährigen Schwester Alexandra Wachtel zu einer Helfergruppe mit mehreren jungen Leuten. Auch wenn Zarko Vuckovic, 23-Jähriger Helfer der Schachfreunde Augsburg sagt, er sei „erstaunt, wie gut die Leute klarkommen. Man fühlt sich fast überflüssig“, hält Gert Schulz dagegen: „Zarko mag das so fühlen, aber das ist Quatsch. Entscheidend ist: Nur weil diese Assistentinnen und Assistenten da sind, können die Behinderten ganz ohne Stress Schach spielen – was für diese Menschen extrem wichtig ist.“ Beispiel zwei: Der Helfer Robert Vuckovic, 22 Jahre alt, führte die Figuren für Amar Sinanovic. Der sitzt in einem elektrischen Rollstuhl und kann seine Arme und Hände nicht zielgerichtet bewegen. Sinanovic spielt hier außer Konkurrenz eine Partie mit – denn er hat noch keinen Verein. Gut möglich, dass dieser Besuch in Augsburg das geändert hat – erste Gespräche gab es jedenfalls bereits. Sinanovic gehört zu einer Gruppe von Schülern des Fritz-Felsenstein-Hauses in Königsbrunn. Eine Schule für körperlich eingeschränkte Schüler, die einen Abstecher zum Turnier gemacht haben. „Leider hat sich von meinen Schülern keiner getraut, mitzuspielen – obwohl sie alle die entsprechende Voraussetzung mit einem Grad der Behinderung von 60 Prozent hätten“, sagt Lehrer Michael Martin, der selbst auch begeisterter Schachspieler ist: „Aber vielleicht klappt das dann ja beim nächsten Mal. In jedem Fall ist es eine spannende Sache, ein echtes Schachturnier mitzuerleben. Das ist noch einmal etwas ganz anderes, als auf lichess.org online zu spielen.“ Wohl wahr.
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