Markus Angst – IM Christian Maier ist Rekordspieler in der Schweizerischen Mannschaftsmeisterschaft. Nur wenige aktive Spieler bestritten in der SMM so viele Nationalliga-A-Partien wie der 65-Jährige. Wie konnte er sein Niveau halten?
Sie stehen vor Ihrer 41. NLA-Saison und spielen übermorgen Sonntag mit dem ASK Réti Zürich gegen Titelverteidiger Riehen. Was geht Ihnen zurzeit durch den Kopf?
Eigentlich genau wie am Schachbrett: nichts Besonderes. Ich freue mich des Lebens.
Wie konnten Sie über all die Jahre Ihr Niveau halten?
Wenn Sie das Niveau meines Schachs meinen: Genau das konnte ich ja leider nicht.
Und trotzdem können wir folgendes erwähnen: Sie wurden zwischen 1982 und 2014 mit Allschwil, Biel und Réti zwölf Mal Schweizer Mannschaftsmeister. Wie war das möglich?
Die sieben Mannschaftskollegen waren in den jeweiligen Saisons gut genug, mich zu kompensieren.
Tiefstapeln ist eine gute Strategie. Bleiben wir weiterhin bei den Erfolgen. Welcher Titelgewinn war aus welchem Grund der schönste?
Eigentlich gleich der erste Titel 1982. Wir waren mit Allschwil höchstens als Nummer 3 hinter Zürich und Biel gesetzt. Es gelang uns dann noch drei weitere Male, mit einer nicht topgesetzten Mannschaft den Titel zu holen.
Erinnern Sie sich an eine Ihrer 237 Nationalliga-A-Partien besonders gerne?
1985 hielt ich mit Schwarz am ersten Brett eine verrückte Partie gegen Viktor Kortschnoi remis. Er attestierte mir dann auch nach der Partie, dass ich zwar Kaffeehausschach spiele, aber immerhin erfolgreich…
Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn wir ans Schachjahr 1984 zurückdenken?
George Orwell.
Und würden Sie eine SMM-Partie am liebsten aus Ihrer Erinnerung löschen?
Wohl etliche. Am schlimmsten waren diejenigen, die beim Stand von 3½:3½ verloren oder beim Stand von 3½:4½ remis ausgingen.
Inwiefern sind Mannschaftswettbewerbe sportlich besonders reizvoll?
Ich denke, das gilt für jeden Schachspieler und auch für alle anderen Mannschaftssportarten gleich: einer für alle, alle für einen.
Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie in einer Mannschaft oder in einem Einzelturnier spielen?
Ich denke schon.
Spielten Sie parallel zur SMM auch Mannschaftswettbewerbe in anderen Ländern?
Ich spiele noch gelegentlich einige Partien in der badischen Oberliga und selten auch in Belgien und Frankreich.
Welches waren Ihre grössten Erfolge neben den zwölf SMM-Titeln?
Zweimal Badischer Meister, dreimal Badischer Pokalsieger, Teilnahme an drei deutschen Einzelmeisterschaften – unter anderem die «Jahrhundertmeisterschaft» 1998. Am Grenke-Open 2016 in Karlsruhe verpasste ich in der letzten Runde die GM-Norm um einen halben Punkt. Zudem freue ich mich, ab und zu mal einen ganz guten Gegner geschlagen zu haben. Ansonsten lief es mir im Blitzschach meistens besser…
Sie waren während all der Jahre ja auch beruflich als Sales bei IBM erfolgreich unterwegs. Wie liessen sich Ihre Jobkarriere und der Schachsport auf hohem Niveau miteinander vereinbaren?
Indem man weder in das eine noch in das andere 100 Prozent seiner Energie investiert (schmunzelt). Die meiste Energie hat ohnehin die Familie benötigt.
Apropos Job: Sie wurden am 29. Januar 65 Jahre alt. In der Schweiz ist dies das Pensionsalter. Wie sieht es diesbezüglich bei Ihnen aus, da Sie ja im benachbarten Deutschland wohnen?
Nach 32 Berufsjahren in der Schweiz geniesse ich bereits seit etwas über drei Jahren das Rentnerdasein.
Spielen Sie auch Seniorenturniere, beispielsweise die Europa- oder Weltmeisterschaft?
Ich habe etwa vor zwei Jahren damit begonnen, bei den Senioren zu spielen. Allerdings bevorzuge ich gemischte Turniere, an denen auch jüngere Spieler teilnehmen.
Wie Amateure verlieren auch Spitzenspieler mit zunehmendem Alter an Spielstärke. So wiesen Sie vor acht Jahren noch 2405 FIDE-ELO auf, heute sind es «nur» noch 2260. Gibt es dafür eine Erklärung?
Man kann wohl nicht alles auf die deflationäre ELO-Entwicklung schieben. Das Alter fordert seinen Tribut, man ertappt sich öfter dabei eher dem Bauchgefühl zu folgen statt Varianten zu Ende durchzurechnen. Die Herangehensweise ans Schach hat sich verändert: Warteten wir früher sechs Monate auf den neuen «Schachinformator», hat heute ein jeder in Sekundenschnelle Zugriff auf schier unbegrenzte schachliche Information, und die jüngeren Spieler können diese dann auch noch rasch verarbeiten. Sie lernen sehr effizient mit und von Schach-Engines. Wenn man online auf den diversen Servern unterwegs ist, trifft man öfters auf Gegner, die Schach ausschliesslich im Internet gelernt haben. Das war vor 20 Jahren noch unvorstellbar.
Wie gehen Sie damit um?
Entspannt. Das lässt sich nicht aufhalten, höchstens bremsen.
Was tun Sie konkret im Bereich des Schachtrainings, um den ELO-Niedergang zu bremsen?
Zu richtigem Training konnte ich mich schon lange nicht mehr durchringen – es sei denn, 3+0-Blitzpartien (Anmerkung: drei Minuten Bedenkzeit ohne Zeitzuschlag pro Zug) auf dem Schachserver zählen dazu. Ich fürchte, das Einzige, was hilft, ist nicht mehr zu spielen, was für mich jedoch keine Option ist.
Früher spielten Sie in Mannschaften mit Meisterambitionen. Kann man sagen, dass Sie nun mit Réti gegen den Abstieg kämpfen?
Sicherlich nicht.
Wie lange werden wir Christian Maier noch in der Nationalliga A spielen sehen?
Solange ich noch aufgestellt werde und mich allein ans Brett schleppen kann.
Interview: Graziano Orsi
Facts & Figures zu Christian Maier
Wohnort: Staufen (Baden-Württemberg).
Alter: 65.
Beruf: Rentner.
Hobbys: Reisen, Sprachen, Kochen, Essen und Wein geniessen, Wandern, Radfahren.
Klub: ASK Réti.
Titel: Internationaler Meister seit 2004.
Höchste FIDE-ELO: 2405 (2016).
Aktuelle FIDE-ELO: 2260.
Höchste SSB-ELO: 2404 (2005).
Aktuelle SSB-ELO: 2346.
Erfolge in der SMM: zwölf Mal Meister (1982, 1984, 1985, 1988, 1992, 1993, 1994, 1995 mit Allschwil, 2000 und 2001 mit Biel, 2013 und 2014 mit Réti). Nationalliga-A-Bilanz in 40 Saisons 1982–2023: 237 Partien, 95 Siege, 90 Remis, 52 Niederlagen, Erfolgsquote 59 Prozent. Höchste ELO-Performance in der Nationalliga A: 2680 im Jahr 2004 mit Sorab (4½ Punkte aus 5 Partien, 4 Siege/1 Remis).
Lieblingsschachspieler: Volodar Murzin.
Schach-Buchtipp: Weniger ist mehr.
ich weiss warum Volodar Murzin Dein Lieblingsspieler ist…sehr symphatisches Interview.