Hikaru Nakamura kannte die Regeln nicht. Ab welchem Zug in der Schachbundesliga Remisangebote erlaubt sind, fragte er sich. Die Partie gegen Matthias Blübaum würde remis enden, das war klar, aber Nakamura wollte keinen Konflikt mit dem Schiedsrichter provozieren. Also zog er die Nakamuragrimassen, die sich einstellen, sobald es auf dem Brett nicht rund läuft, und spielte erstmal weiter. Schließlich erlöste ihn Matthias Blübaum, indem er seinerseits ein Remisangebot übers Brett schickte. Die Partie endete nach 23 Zügen unentschieden. Schon nach 21 Zügen wäre diese Vereinbarung regelkonform gewesen.
Hikaru Nakamura fand seine Partie wenig aufregend, aber eine Isolani-Meisterklasse fürs Publikum kam trotzdem heraus. | Foto: Angelika Valkova
Schwarzremis gegen einen Großmeister von internationaler Klasse: Ergebnis okay, Partie langweilig, lautete Nakamuras Fazit. Die Zuschauenden mögen das anders empfunden haben, denn sie kamen hinterher im Stream in den Genuss einer Meisterklasse. Ilja Zaragatski zeigte Nakamura diese Stellung aus der Partie…
…und fragte, warum denn, bitteschön, hier Weiß nicht besser steht: Läuferpaar, Spiel gegen den Isolani – Matthias, was willst du mehr?, könnte man fragen. Nakamura gab eine überzeugende Antwort.
Warum eigentlich Viernheim? Eine weitere Frage, die Nakamura beantwortete. Die Geschichte begann beim Norway Chess 2023, das Nakamura gewann (Magnus Carlsen wurde 6.). Bei der Abschlussfeier fragte ihn Shakhriyar Mamedyarov, ob er womöglich interessiert sei, für sein Bundesligateam zu spielen. Es folgte eine Kontaktaufnahme mit den Viernheimern – mit dem bekannten Ergebnis.
Hikaru Nakamura hat schon in mehreren europäischen Ligen gespielt. Die meisten von denen werden am Stück oder in wenigen zentralen Runden ausgetragen. Dort mitzuspielen, ergab für den Schachprofi und US-Bürger mehr Sinn, als für ein Wochenende und zwei Partien in der deutschen Liga über den großen Teich zu jetten.
Nun hat sich Nakamuras Beruf verschoben und damit seine schachlichen Prioritäten. Der hauptberufliche Schachstreamer sucht sich seine Turniere jetzt danach aus, was er spannend findet bzw. noch nie gemacht hat. Bundesliga fand er spannend.
Schon seit Montag ist Nakamura in Deutschland. Am Dienstag spielte er, Hauptberuf!, verjetlagt vor laufender Kamera zwei Titled Tuesdays aus seinem Viernheimer Hotelzimmer. Tags darauf verbrachte er den Abend mit Viernheimer Vereinsführung und Sponsor, am Donnerstag erst Pressetermine, dann ein Essen mit der Mannschaft im Mannheimer Sternerestaurant “Doblers”, und nun Bundesligaschach.
Für deutsche Schach findet Nakamura ausschließlich freundliche, anerkennende Worte. Deutsche seien in seinem Publikum die am zweithäufigsten vertretene Nation nach den USA, der deutsche Durchnittsschachspieler sei viel stärker als der von anderswo. Nakamura machte das unter anderem daran fest, dass Zaragatski in seiner Frage zum obigen Diagramm “IQP” sagte (Isolated Queen’s Pawn, Isolani), ein Begriff, den nach Nakamuras Einschätzung die Mehrheit des Online-Schachpublikums anderswo gar nicht kennt.
In der Bundesliga “fühle ich mich alt”, sagt Nakamura lachend. In Viernheim hat er diverse bekannte Gesichter gesehen, die ihm zuletzt vor Jahrzehnten begegnet waren. Explizit nannte er Gerald Hertneck. Mit dem habe er 1998 das “Trinidad und Tobago International Masters” gespielt.
Der einstige Nationalspieler Hertneck bestätigt im Gespräch mit schachbundesliga.de diese Begegnung, glaubt allerdings, dass es eher 1999 war. Seinerzeit gewann Hertneck das Karibik-Turnier, Nakamura musste sich hinten anstellen. Der damalige Steppke, Ende 1987 in Japan geboren, sei ihm gar nicht als überragendes Talent aufgefallen, erinnert sich Hertneck. Umso beeindruckter ist der Münchner heute nicht nur davon, was Nakamura schachlich aus sich gemacht hat. Auch dessen Erfolg als Schachstreamer nötigt Hertneck Respekt ab.
Allerdings war sich Hertneck über Jahrzehnte gar nicht sicher, ob es wirklich Nakamura gewesen ist, dem er Ende der 90er auf Trinidad begegnete. Je mehr der Stern des US-Großmeisters in den frühen 2000ern aufging, desto mehr fragte sich Hertneck, ob der Bub von damals Nakamura war oder nicht. “Heute erst erfahre ich, dass er es wirklich war”, sagt Hertneck.
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