Eine Runde vor Schluss der Team-EM in Montenegro steht der Deutschland-Vierer um Bundestrainer Jan Gustafsson vor dem größten Erfolg seit 2011, als man in Porto Carras in Griechenland mit eben jenem Jan Gustafsson als Spieler Mannschaftseuropameister wurde.
In der 8. und vorletzten Runde und gelang dem Quartett um Spitzenspieler Vincent Keymer ein verdienter 2,5:1,5-Sieg gegen die starken Franzosen. Das ist umso erstaunlicher, da das deutsche Lazarett weiterhin gut gefüllt bleibt.
Matthias Blübaum nutzte am dritten Brett die Chance, sich ein wenig Erholung für den Finaltag zu sichern. Mit den weißen Steinen moderierte er die Gewinnversuche von Laurent Fressinet souverän durch die Wahl eines ruhigen Lf4-Damengambits ab und lenkte die Partie rasch in die Punkteteilung. Doch so ruhig der Mannschaftskampf begonnen hatte, umso mehr sollten sich die Ereignisse im Folgenden überschlagen. Denn sowohl Jan Gustafsson als auch der Kapitän der Franzosen, Sébastian Mazé, hatten sich das Ziel gesetzt, diesen Mannschaftskampf für sich zu entscheiden!
Am zweiten Brett wählte Rasmus Svane gegen Jules Moussard die solide Berliner Variante. Der Franzose verschärfte in beiderseitiger Zeitnot die Stellung und goss immer mehr Öl ins Feuer, nur um dann von Rasmus erst im Zentrum und dann am Königsflügel mustergültig ausgekontert zu werden. Damit lag Deutschland in Führung – und sollte diese auch bis zum Schluss nicht mehr abgeben.
Hätte Vincent Keymer am Spitzenbrett gegen den ehemals jüngsten Großmeister der Schachgeschichte, Étienne Bacrot, gewusst, dass Rasmus seine Partie gewinnen würde, er hätte nach eigener Aussage die Chance beim Schopfe gepackt, die Partie durch dreimalige Stellungswiederholung zu beenden. Doch in Unkenntnis des Ausgangs am zweiten Brett schlug Vincent das Remis aus und spielte selbst konsequent auf Sieg – und übersah ein Turmopfer Bacrots! Glück jedoch für Deutschland, dass auch Bacrot in Zeitnot auf dem schmalen Weg zum Sieg strauchelte. Mit der folgenden Abwicklung ins Dauerschach konnten sowohl Vincent als auch Bundestrainer Jan Gustafsson mehr als gut leben.
So war der halbwegs genesene Alexander Donchenko am vierten Brett in der besonders komfortablen Lage, ein besseres Endspiel ohne Druck verwalten zu können. In Anbetracht des Standes von 2:1 für Deutschland bot Alexander seinem Gegner Maxime Lagarde die Punkteteilung in einem klar besseren und unverlierbaren Endspiel an. Mehr als die Annahme blieb dem Franzosen nicht.
Damit geht Deutschland morgen als Führender in die letzte Runde der Team-Europameisterschaft in Budva und wir dürfen gespannt sein, ob unsere Männer den Titel nach Hause holen. Ab 15:15 Uhr heißt es: Daumen drücken!
Bei unseren Frauen ist die Chance auf eine Medaille leider nur noch theoretischer Natur. Ein beachtliches 2:2 gegen die bis dahin so souveränen Französinnen ist leider nicht genug, um hier morgen noch ein Wörtchen mitreden zu können.
Den Anfang machte Josefine Heinemann. Zu Beginn machte sie mächtig Dampf: Sicherer König, bessere Entwicklung, zentralisiertere Figuren – während bei ihrer Gegnerin Mitra Hejazipour noch die halbe Mannschaft schlief. Doch so richtiger Zugriff auf den schwarzen König gelang nicht, sodass Schwarz gerade noch rechtzeitig Gegenspiel aufziehen könnte. Aus dem sich abzeichnenden Dauerschach kam Josefine leider nicht mehr heraus, sodass sie sich mit der Punkteteilung begnügen musste.
Ebenfalls nicht über ein Remis hinaus kam Dinara Wagner am zweiten Brett. Mit den schwarzen Steinen hatte sie lange Zeit eine eher unangenehme Stellung gegen Sophie Milliet zu verteidigen, da die Bauernstruktur vor ihrem König ramponiert und in der Folge der eigene König anfällig für Angriffe war. Doch dank umsichtiger Verteidigung gelang es Dinara, zuerst ihre Bauernschwächen aufzulösen und dann nach dem Tausch der Damen auch noch die restlichen Figuren vom Tisch zu nehmen.
In Rückstand geriet die deutsche Mannschaft durch eine Niederlage von Jana Schneider am vierten Brett. In einer scharfen Variante des Ragozin-Damengambits griff unsere Nationalspielerin leider im 9. Zug fehl. Die Aufgabe des schwarzfeldrigen Läufers sollte sich als verhängnisvoller Fehler erweisen, denn nach Öffnung des Zentrums sorgte das weiße Läuferpaar der Französin für viel Ärger. Und wenn man schon kein Glück hat, dann kommt auch noch das Pech hinzu: Eine taktische Abwicklung verschaffte Weiß einen starken Freibauern auf a7, der schlussendlich auch die Partie zu Ungunsten Janas entscheiden sollte.
Für den Endstand zum 2:2-Unentschieden sorgte unsere Spitzenspielerin und langjährige Nummer eins, Elisabeth Pähtz. In einem königsindischen Angriff bot Elisabeth ein vergiftetes Bauernopfer an, das ihre Gegnerin im Nachhinein wohl besser abgelehnt hätte. So gewann Elisabeth in der Folge nicht nur ihren Bauern zurück, sondern bekam als Zins auch noch erst eine, dann eine zweite Qualität hinzu. Der Rest war für Elisabeth Routine: Abtauschen und Abwickeln in ein gewonnenes Endspiel Turm gegen Läufer.
Mit dem 2:2 am heutigen Tag wartet morgen sicherlich nochmal ein starkes Los. Unsere Frauen werden noch einmal alles geben, um für einen versöhnlichen Abschluss der Team-EM zu sorgen.
GM Gerry Hertneck schrieb auf Facebook:
Heute geht es für die Nationalmannschaft der Männer um alles, nämlich um die Goldmedaille! Doch eines ist sicher: selbst wenn der heutige Kampf unglücklich verloren gehen sollte, ist uns die Silbermedaille bereits sicher, weil wir 2 MP Vorsprung haben und eine gute Brettpunktwertung. Eine hervorragende Leistung des Teams und des Bundestrainers Jan Gustafsson! Man beachte auch, dass favorisierte Teams wie Rumänien (Platz 13) und Azerbeidschan (Platz 18) weit hinter uns stehen. Jungs und Burschen, ich bin jetzt schon stolz auf euch!
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