Markus Angst – Er zeichnet seit 2015 für die Rubrik Studien in der «Schweizerischen Schachzeitung» verantwortlich und ist Präsident der Schweizerischen Vereinigung Kunstschachfreunde: Roland Ott. 1972 wurde er Schweizer Juniorenmeister und 2018 Schweizer Meister im Lösen von Schachkompositionen.
Können Sie einem Laien kurz und knapp erklären, was eine Endspielstudie auszeichnet?
Eine Endspielstudie ist eine von einem Komponisten kreierte Schach-Komposition mit Endspielcharakter – also mit meist wenig Steinen, bei der nicht offensichtliche Züge zum Gewinn oder Remis führen.
Und welcher Hauptunterschied besteht zwischen einer Schachstudie und Problemschach?
Bei Problemschach gibt es immer eine Forderung bezüglich der Anzahl Züge bis zum Matt. Bei Endspielstudien ist die Zügezahl nicht vorgegeben. Lösungen gehen, bis ein Gewinn oder Remis offensichtlich ist.
Ein Laie findet sich nicht so schnell zurecht. Denn es gibt ja auch noch Begriffe wie Schachkompositionen und Kunstschach. Wir sind gespannt auf Ihre Differenzierung.
Es gibt keinen Unterschied zwischen den Begriffen. International spricht man von Schachkompositionen, im deutschsprachigen Raum – vor allem in der Schweiz – auch von Kunstschach.
Ihre Studien-Artikel in der «SSZ» zeichnen Sie immer gemeinsam mit Co-Autor Brian Stephenson. Wer ist das, und was trägt er zu den Artikeln bei?
Brian Stephenson ist ein seit kurzem pensionierter Brite mit breiter Tätigkeit im Zusammenhang mit Schachkomposition – speziell auch im Bereich Endspielstudien. Da ich kein Studienspezialist bin, benötige ich ihn für die Auswahl der in der «SSZ» publizierten Studien. Bis vor kurzem hat er mir dazu auch den dazugehörigen Text auf Englisch erstellt.
In den Studien-Artikeln werden die «SSZ»-Leser(innen) aufgefordert, Lösungen einzusenden. Wie gross ist die Resonanz?
Anfänglich erhielt ich einzelne Lösungen mit Kommentaren. Seit längerem ist dies aber nicht mehr der Fall. Dass es zumindest einzelne «SSZ»-Leser(innen) gibt, welche die publizierten Studien lösen, zeigt mir der kürzliche Wunsch eines SSB-Mitglieds, bei den Lösungen jeweils auch die Kontrollstellung anzugeben, damit diese einfacher nachvollzogen werden können.
Sind die Löser(innen) allesamt Kunstschachfreunde und -freundinnen?
Nein.
Worin sehen Sie den besonderen Reiz beim Lösen von Studien?
Endspielstudien sind gewissermassen das Bindeglied zwischen Partieschach und Kunstschach. Das Lösen von Studien verbessert die endspieltechnischen und taktischen Fähigkeiten der Löser(innen) und erfreut sie im Idealfall durch die Originalität der Lösungen.
Die «NZZ» schrieb 2009 provokativ, dass die Schachstudie im Schatten von Partie- und Problemschach ein Mauerblümchendasein friste. Was meinen Sie dazu?
Das trifft schon zu. Viele Schachspieler(innen) konzentrieren sich lieber auf das Studium von Eröffnungen und Problemisten als auf das Komponieren oder Lösen von Schachproblemen.
Die Rubrik Problemschach in der «SSZ» betreut Ihr Kollege Martin Hoffmann. Was ist aus Ihrer Sicht reizvoll beim Lösen von Problemen?
Auch das Lösen von Schachproblemen schärft die Sinne für Kombinationen und überraschende Zugfolgen und erfreut die erfolgreichen Löser(innen) damit.
Helmut Pfleger bietet im «Zeit»-Magazin Schachbretträtsel an, die auch digital einsehbar sind. Wie finden Sie das Konzept des Rätselautors?
Bei diesen Schachrätseln handelt es sich nicht um Kompositionen, sondern um Stellungen aus realen Schachpartien, die mit einer Kombination entschieden werden.
Sie sind Präsident der Schweizerischen Vereinigung der Kunstschachfreunde (SVKSF). Was zeichnet diese Vereinigung aus?
Die SVKSF ist ein Verein für die Pflege und Förderung des Kunstschachs in der Schweiz auf den Gebieten Direkte Mattprobleme, Endspielstudien, Hilfsmatts und Selbstmatts, Märchenschach sowie Retroanalyse und Schachmathematik. Sie deckt damit das ganze Spektrum von Kunstschach ab. Die Erreichung des Vereinszweckes wird insbesondere durch die folgenden Aktivitäten des Vereins angestrebt: Regelmässige Zusammenkünfte der Mitglieder, Organisation von Kompositionswettkämpfen und Lösungsturnieren, Delegierung von Schweizer Vertretern an internationale Kunstschachtagungen und andere Anlässe, Herausgabe von Problem- und Studiensammlungen schweizerischer Komponisten, Bereitstellung notwendiger personeller und finanzieller Ressourcen für das kunstschachpublizistische Wirken in elektronischen Medien, Fachzeitschriften und der Tagespresse sowie Zusammenarbeit mit anderen Schachorganisationen auf dem Kunstschachgebiet.
Wie schwierig ist es, neue Interessent(inn)en für dieses spezifische Segment des Schachs zu finden – insbesondere auch bei der jüngeren Generation?
Es ist ausserordentlich schwierig, neue Mitglieder für unseren Verein zu finden. Das liegt auch daran, dass die jüngere Generation sich fast ausschliesslich auf Partieschach konzentriert, was ich in jungen Jahren ja auch gemacht habe.
Der Schweizerische Schachbund (SSB) gewann innerhalb eines Jahres 20 Prozent mehr Mitglieder, weil viele Vereine im Rahmen des Projekts Generation CHess Aktionen lancierten. Was macht die SVKSF, um neue Mitglieder zu gewinnen?
Wir publizieren Schachkompositionen in der «SSZ» und im Bulletin der Schweizer Schach Senioren und organisieren Lösungsturniere für neue beziehungsweise ungeübte Löser(innen). Leider sind diese an den Schweizerischen Einzelmeisterschaften auf kein Interesse gestossen.
Ist das Lösen von Schachproblemen beziehungsweise Schachstudien eigentlich eine reine «Spielerei» oder kann man dadurch auch fürs Partieschach profitieren?
Für das Lösen von Schachkompositionen gibt es nationale und internationale Meisterschaften, darunter eine Weltmeisterschaft, eine Europameisterschaft und einen Weltcup. Für erfolgreiche Löser gibt es analog zum Partieschach die Titel FIDE-Meister, Internationaler Meister und Grossmeister.
Womit wir beim Thema «Roland Ott und Partieschach» wären. Sie sind ja nicht nur Präsident der SVKSF, sondern auch Mitglied von Chessflyers Kloten, der SG Zürich und der Schweizer Schach Senioren. 2022 spielten Sie jedoch nur eine einzige Wertungspartie. Haben Sie keine Lust mehr auf Nahschach?
Nach meiner Pensionierung vor zehn Jahren begann ich wieder damit, Partieschach bei den Chessflyers Kloten – dem Nachfolgeverein des ehemaligen Schachclubs Swissair – zu spielen. Zu diesem Zeitpunkt begann ich aber auch, an Löseturnieren in der Schweiz und im Ausland teilzunehmen. Beim Partieschach habe ich bald einmal feststellen müssen, dass ich meine frühere Spielstärke nie mehr erreichen kann. Meine Stärke war in jungen Jahren das Endspiel. Aber mangels Eröffnungskenntnissen gelangte ich meistens schon vorher in schlechte Stellungen. Und wenn ich dann doch einmal ein Endspiel erreichte, machte mir meist die im Alter früher eintretende Müdigkeit einen Strich durch die Rechnung. Deshalb habe ich beschlossen, mich ganz auf das Lösen von Schachkompositionen zu konzentrieren, wo ich auch im Alter noch gute Aussichten auf Erfolg habe. So wurde ich 2018 Schweizer Meister in dieser Disziplin.
1972 wurden Sie in Ennetbürgen Schweizer Juniorenmeister. Wie verlief danach Ihre Karriere?
Gleich nach der Juniorenmeisterschaft in Ennetbürgen gewann ich das Meister-B-Turnier an den Schweizer Einzelmeisterschaften in Locarno. Während der Studienzeit wurde ich 1975 Zürcher Stadtmeister.
1974 (Nizza) und 1976 (Haifa) spielten Sie gar an zwei Olympiaden für die Schweizer Nationalmannschaft und erzielten mit 3 aus 6 bzw. 4½ aus 10 respektable Resultate. Warum wurde es danach in der Schweizer Schachszene etwas ruhiger um Sie?
Mit Schach liess sich damals kein Geld verdienen, so dass ich mich auf meinen Beruf in der IT-Branche entschied. Schach bot für mich damals keinen geeigneten Ausgleich zum Beruf.
Was bot Ihnen denn einen geeigneten Ausgleich?
Squash, Tennis, Wandern, Langlauf.
Könnten Sie sich vorstellen, Ihre Nahschach-Aktivitäten in naher Zukunft wieder etwas zu verstärken?
Nein. Die Erklärung habe ich bereits gegeben.
Und wie lange dürfen wir noch auf Ihre Studien zählen?
Da ich kein Studienspezialist bin und das Umfeld der Studienkompositionen nicht gut kenne, bin ich auf einen Unterstützer wie Brian Stephenson angewiesen.
Interview: Graziano Orsi
Lösung der Studie
Exklusiv für die SSB-Website präsentiert Roland Ott eine interessante Studie (siehe Einstiegsbild). «Ich habe die fast 100 Jahre alte Studie ausgewählt, weil sie die Feinheiten von Studien zeigt und nachvollziehbar ist, ohne die Notwendigkeit, sie auf einem Schachbrett aufzustellen», sagt er zu seiner Auswahl.
Bei Studien müssen die Löser(innen) Kenntnis über Schachendspiele haben. So muss er beispielsweise bei dieser Endspielstudie wissen, dass Weiss mit Läufer und Springer nicht gegen einen gegnerischen Läufer gewinnen kann, aber mit Läufer und Springer gegen den schwarzen König allein schon. Demnach muss Weiss entweder seinen Freibauern auf der g-Linie retten oder den schwarzen Läufer erobern. Weiss versucht es zu Beginn mit der zweiten Option.
1. Sd7! Lc7. Der schwarze Läufer muss auf der Diagonale bleiben, weil Weiss sonst seinen Bauern decken kann. Zum Beispiel: 1. … La7 2. Se5 Ld4 3. Lf8+ Kg5 4. g7. Auch nach 1. … Lf4 2. Kg4 nebst 3. Kf5 kann Weiss seinen Bauern retten.
2. Sf8. Nun ist der weisse Bauer trotzdem gedeckt, aber Schwarz kann versuchen, durch Angriff des Springers doch noch zum Ziel zu kommen.
2. … Le5 3. Kg4. Weiss wähnt sich als klarer Sieger, da er seinen Bauern im nächsten Zug mit dem Königszug nach f5 retten kann.
3. … Lb2! Hoppla! Mit dem überraschenden Läuferopfer stellt Schwarz eine Pattfalle und es macht den Anschein, dass Schwarz diese stets wiederholen kann – egal wohin der weisse Läufer auf der Diagonale a3-f8 auch zieht. Aber Weiss hat einen weiteren Pfeil im Köcher.
4. Lc5! Ld4! Schwarz erneuert die Pattfalle und wähnt sich schon gerettet, weil Weiss ihn auch jetzt nach dem Schlag des Läufers pattsetzen würde.
5. g7! Mit diesem raffinierten Bauernopfer gelingt es Weiss, den schwarzen Läufer zu erobern, wonach das Mattsetzen mit Läufer und Springer nur noch eine Frage der Zeit und somit nicht mehr Bestandteil der Lösung dieser Studie ist.
5. … Kxg7. Nach 5. … Lxg7? 6. Le3# würde Schwarz mattgesetzt.
6. Se6+ Kf6 7. Sxd4 1:0.
Roland Ott persönlich
Wohnort: Oberglatt.
Geburtsdatum: 19. August 1953.
Beruf: pensioniert.
Hobbys: Kunstschach, Langlauf, Wein.
ELO (Schweiz): 1985 (schon seit Führungsliste 5/22).
Rating (international für Löser): 2259 (per 1. Juli 2023). Damit ist er weltweit wieder unter den ersten 100 – nämlich auf Platz 95 von insgesamt 902 aktiven Lösern.
Klub: Chessflyers Kloten, Schweizerische Vereinigung Kunstschachfreunde (SVKSF), SG Zürich, Schweizer Schach Senioren.
Lieblingsschachspieler: Früher waren meine Lieblingsschachspieler Aaron Nimzowitsch und Paul Keres. Nimzowitsch hatte mich mit seinem Buch «Mein System» begeistert. Sein von ihm begründetes Prinzip der «Überdeckung» ist mir auch im privaten Leben ein wichtiges Prinzip. Den sympathischen estnischen Grossmeister Paul Keres habe ich als Mitglied der Schachgesellschaft Zürich bei einem seiner Besuche in Zürich persönlich kennengelernt. Sein Buch «Ausgewählte Schachpartien 1931–1958» habe ich als 15-Jähriger von meinem Götti zu Weihnachten bekommen, und es steht immer noch in meinem Bücherregal.
Schach-Buchtipp: «schaCHkunst – eine Auswahl der schönsten Schweizer Schachaufgaben aus den Jahren 1997–2010», herausgegeben von der Schweizerischen Vereinigung der Kunstschachfreunde (2016).
Dieses Interview hat mir gut gefallen.
Auf diesem Wege ein Gruß an Roland!
Urs