Markus Angst – Im Leben von Annette Waaijenberg spielt das königliche Spiel eine bedeutungsvolle Rolle. Sie ist unter anderem Präsidentin des Schachvereins ChessMates. Zusätzlich engagiert sie sich auch für die ChessSports Association. Wie gelingt es ihr, alles unter einen Hut zu bringen?
Sie präsidieren den Schachverein ChessMates. Wie haben sich die Mitgliederzahlen in den vergangenen Jahren entwickelt?
Eine erfreuliche Tendenz ist sichtbar. Fürs aktuelle Jahr 2023 haben wir offiziell 90 Mitglieder beim Kanton Zug gemeldet. Mittlerweile unterrichten wir wöchentlich mehr als 100 Kinder und Erwachsene – knapp 90 alleine von mir. Im Jahr 2019 hatten wir 55 Mitglieder – ein wirklich toller Anstieg innert vier Jahren. Betonen möchte ich auch den Mädchen- und Frauenanteil von mehr als 35 Prozent.
Worauf führen Sie den Zuwachs zurück?
Ehrlich gesagt kann ich es mir zwei Jahre nach der Corona-Pandemie weniger gut erklären. Auch «The Queen’s Gambit» von Netflix ist wieder ein paar Jahre her. Ich frage bei Interessenten jeweils direkt nach, wie oder woher sie auf uns gestossen sind. Genannt werden aktuell meist unser Internetauftritt, also wir sind auf Google rasch zu finden, sowie die Mund-zu-Mund-Propaganda. Wir werden also explizit von Eltern empfohlen.
Mit welchen Vereinsproblemen werden Sie zurzeit konfrontiert?
Gegenwärtig unterrichte ich als hauptberufliche Schachtrainerin knapp 80 Kinder und acht Erwachsene. Sie kommen nach der Schule und/oder am Wochenende ins Training. Die Erwachsenen trainieren oft vormittags oder über den Mittag. Sie können sich da sicherlich gut vorstellen, dass es Stosszeiten gibt, da erst nach der Schule Schachtrainings stattfinden können. Oder anders ausgedrückt: Das Zeitfenster fürs Unterrichten von Kindern ist begrenzt, denn ab 18 Uhr ist ein Unterricht für sehr junge Kinder kaum möglich. Um das Problem der Stosszeiten zu lösen, könnte unser Verein zusätzliche Trainer einstellen. Doch auch dies ist nicht leicht, denn sie müssten neben den didaktischen Qualifikationen auch tagsüber Zeit haben – und die meisten haben ja schon einen Beruf, der Zeit bis abends in Anspruch nimmt.
Sie sind seit sechs Jahren Präsidentin des Schachvereins ChessMates. Wollen Sie diese Aufgabe weiterführen?
Wie oben erwähnt, übe ich zusätzlich zu meiner Funktion als Präsidentin auch den Beruf als Schachtrainerin aus. Diese Funktion ist meine Einkommensquelle. Neben den finanziellen Gründen habe ich das Vergnügen, Schüler und Schülerinnen im Durchschnitt zwei bis drei Jahre lang auf ihrem Schach-Lebensweg zu begleiten und zu fördern. Einige Schüler durfte ich zum Beispiel im Alter von fünf bis sechs Jahren das erste Mal unterrichten, meist habe ich ihnen das Schach von Grund auf beigebracht. Heute sind sie neun bis zwölf Jahre alt und spielen um den Schweizer-Meister-Titel mit. Dies ist schön und motiviert mich ungemein.
Haben Sie noch weitere Triebfedern?
Ich möchte mit unserem Verein und unseren Trainingsmethoden aufzeigen, dass es unglaublich wichtig ist, den Kindern Werte zu vermitteln und folgende Fragen zu beantworten: Wie verhalte ich mich respektvoll, wenn ich gewonnen habe? Wie gehe ich mit einer Niederlage um? Wie und was muss ich trainieren, um besser zu werden? Sind Trick-Eröffnungen wirklich das Richtige? Bin ich bereit für Langzeit-Turniere, kann ich also zwei bis drei Stunden konzentriert auf einem Stuhl sitzen? Dazu kommt: Viele Eltern können nicht oder nicht gut Schach spielen, dennoch entwickeln sie vielleicht hohe Ambitionen oder haben falsche Vorstellungen, was die «Schachkarriere» ihres Kindes angeht. Wir als Trainer haben die Aufgabe, eine optimale Balance zu finden. Die Kinder zu fördern, aber nicht zu überfordern. Den Eltern klar aufzuzeigen, was möglich ist und was eben nicht. Ich denke ChessMates ist hier auf einem guten Weg.
Zeichnet dies im Kern den Verein ChessMates aus?
Mit Bestimmtheit fördern wir auch die individuellen Stärken unserer Schüler, Schülerinnen und der erwachsenen Personen. Ich kenne jeden einzelnen Schüler und mindestens einen Elternteil davon. Wir bringen den Kindern ein solides Grundwissen bei und lassen uns Zeit. Trick-Eröffnungen sind bei mir verboten. «Du kannst genug gut Schach spielen, dass du auch ohne diesen Trick gewinnen kannst», bekommen sie dann jeweils von mir zu hören, sollten sie etwas Mal versuchen. Ebenfalls legen wir grossen Wert auf ein abwechslungsreiches, aber ruhiges Training
Was bedeutet dies konkret?
Es wird nicht in der Stunde herumgealbert. Und Teamgeist ist mir persönlich extrem wichtig. Bei den Qualifikationsturnieren kann man das gut sehen. Die Schüler wünschen sich untereinander viel Erfolg, fiebern gegenseitig mit und bauen sich gegenseitig auf, falls jemand mal traurig sein sollte. Auf das bin ich persönlich sehr stolz.
Sie besitzen beim Schweizerischen Schachbund die Trainerlizenz C. Wird dies so bleiben?
Sie sprechen hiermit ein sehr heikles Thema an. In der Schweiz muss man gewisse Kriterien erfüllen, damit man die B-Lizenz erhält. Grundsätzlich erfülle ich alle, bis auf die ELO-Zahl. Meine höchste ELO-Zahl lag bei 1609, die Anforderung liegt aber bei 1800, und es sei erwähnt, dass ich, seitdem ich wieder Schach spiele – ich hatte viele Jahre Pause gemacht – nicht gross zum Turnierspielen und dem eigenen Training komme. Ich gebe es offen zu, dass es mich traurig stimmt, die B-Trainer-Lizenz nicht zu bekommen, vor allem weil es in der Begründung hiess, ich zitiere: «…es ist kaum zu bestreiten, dass eine 1600 Spielerin nur sehr begrenzt einem höher gewerteten Spieler etwas beibringen kann…» Ich bin fest davon überzeugt, dass jeder engagierte Trainer ELO-stärkere Schüler unterrichten kann. Und zwar mit entsprechender Vorbereitung anhand spezifischer Literatur oder modernen Trainingsmethoden und/oder -programmen.
Bleiben wir noch ein bisschen bei diesem Thema. Wie lauten denn Ihre «Aufstiegs-Argumente» zur B-Trainer-Lizenz?
Ich bin seit sechs Jahren vollberufliche Schachtrainerin – wie viele andere Frauen gibt es in der Schweiz oder im nahen Ausland, die diesen Beruf professionell ausüben? ChessMates bringt mehr als 20 Kinder in allen Alterskategorien zu den Quali-Turnieren, zwei meiner Schüler haben bereits ein Quali gewonnen und weitere sind schon in den Final eingezogen. Der Unterricht scheint somit gefruchtet zu haben, denn ich bin es mir gewohnt, grosse oder kleine Gruppen, vor Ort oder online mit entsprechenden Tools zu unterrichten. Ich leite an den Zuger Schulen Mentorate und bin neu offiziell auch bei der Pro Senectute als Trainerin angestellt, weil ich neben Privatunterricht für Erwachsene auch gerne Senioren unterrichte. Bei den internationalen FIDE-Trainerkursen gibt es natürlich auch Kriterien, die es zu erfüllen gibt. Eine zu tiefe ELO-Zahl kann aber dort mit grosser Trainererfahrung kompensiert werden. Gerade auch der Erfolg der Schüler oder die Anzahl Stunden, die man unterrichtet, werden für den Trainer-Titel anerkannt und berücksichtig.
Gibt es noch weitere Argumente?
Ich bin Vereinspräsidentin, Trainerin, Turnierorganisatorin, Schiedsrichterin und habe seit 2018 kein einziges Quali- oder Finalturnier der Junioren mehr verpasst. Deshalb kenne ich höchstwahrscheinlich mehr Junioren als die meisten anderen Trainer oder Verantwortlichen. Ich habe diverse Weiterbildungen des Schweizerischen Schachbundes besucht, durfte 2018 als offizielle Mädchenverantwortliche zur Junioren-Weltmeisterschaft und begleitete meine Tochter zweimal an die Junioren-Europameisterschaft. Ich kenne deshalb den Schachsport von ganz vielen Seiten und darf behaupten, dass es nicht viele Trainer gibt, die wöchentlich knapp 90 Schüler unterrichten und all diese Kenntnisse vorweisen können.
Die letzte Frage zu dieser Problematik. Wollen Sie daher Ihr Herzblut weiterhin in den Verein und in Ihre Trainertätigkeit stecken oder in die persönliche ELO-Zahl, um die B-Lizenz zu bekommen?
Glücklicherweise erhalte ich viel Anerkennung von meinen Schülern und von deren Eltern. Ich hatte es 2017 alles andere als einfach, ChessMates zu gründen und mich als Frau hier zu behaupten. Ich bin Mutter von zwei Töchtern, und oft muss ich genau dann arbeiten, wenn sie aus der Schule kommen und auch an den Wochenenden bin ich stets am Unterrichten oder mit den Schülern an Turnieren. Natürlich würde ich gerne einmal für mich persönlich trainieren, mich zum Beispiel den Endspiel-Strategien widmen, meine Eröffnungen intensiv studieren und üben, denn meine Schüler müssen nicht «meine» Eröffnung lernen. Ich verbringe somit viel Zeit damit, «fremde» Eröffnungen zu studieren, damit meine Schüler ihr eigenes Repertoire aufbauen können. Da bleibt einfach zu wenig Zeit für mich und meine schachlichen Bedürfnisse. Die Zeit wird sicher kommen, aber noch nicht heute oder morgen.
Haben Sie denn einen Wunsch an die Verantwortlichen des Schweizerischen Schachbundes?
Es wäre wunderbar, wenn die Verantwortlichen nochmals in sich gehen und überlegen, ob ich nicht doch mindestens so viel geleistet haben, wie andere, die aktuell diesen B-Trainertitel tragen.
Zurück zum Thema ChessMates. Ist es klar, wie die Zukunft des Vereins aussehen könnte?
Wir wollen das hohe Niveau in der Ausbildung halten, Förderprogramme sowohl für Knaben, Mädchen als auch Erwachsene umsetzen und natürlich die Mitgliederzahl von offiziell 90 halten oder leicht erhöhen.
Engagiert sind Sie auch bei der ChessSports Association (CSA). Worum geht es denn bei dieser Organisation?
Es handelt sich dabei um eine internationale Organisation mit Sitz in Wien, die das Schachspiel mit anderen Sportarten verknüpfen will. Zum Beispiel führte die CSA Ende Juni einen Schach-Orientierungslauf-Event durch, im August wird zum zweiten Mal zum internationalen Schach-Tennis-Masters nach Wien eingeladen, und eine Woche später folgt der aussergewöhnliche Anlass «Tauchschach». Beliebt ist auch unsere Online-Akademie, bei der Top-Referenten wie GM Rustam Kasimdschanow oder WGM Regina Theissl-Pokorna zu verschiedensten spannenden Themen referieren. Ein Imagefilm zum Schach-Tennis-Masters (siehe untenstehenden Link) existiert ebenfalls. Da erfährt man einiges über die CSA.
Welche aktive Rolle spielen Sie bei der CSA zurzeit?
Ich bin Vizepräsidentin und für den Bereich Schweiz zuständig.
Können Sie einen Blick in die Zukunft werfen bei Ihrer Rolle rund um die ChessSports Association?
Mein Ziel ist es, 2024 ein Schach-Tennis-Turnier in der Region Zug durchzuführen. Wir warten noch gespannt auf die Zusage des Tennisclubs. Auch die Kombination Schach und Jassen könnte hier in der Schweiz sicher mal stattfinden. Ab Herbst leite ich auch wieder den beliebten Frauen-Onlinekurs für Anfängerinnen und für leicht Fortgeschrittene, denn die CSA engagiert sich auch speziell im Bereich Frauen- und Mädchenschach.
ChessMates und ChessSports Association sind zwei Schach-Pfeiler in Ihrem Leben. Privat kommen noch weiter Schachzüge hinzu.
Wir sind eine kleine Schachfamilie: Meine zwei Töchter, die zwölf und neun Jahre jung sind, spielen leidenschaftlich gerne Schach, und mein Lebenspartner Markus Regez übt selbst auch den Beruf eines professionelles Schachtrainers aus. Er ist FIDE-Trainer und hat seine Schachschule in Küsnacht bei Zürich.
Wie gelingt es Ihnen, alles unter einen Hut zu bringen?
Von Beruf bin ich ursprünglich Eventmanagerin. Organisieren und Planen liegt mir. Ohne diese Fähigkeiten würde ich wohl rasch an meine Grenzen kommen, gerade weil ich wie gesagt noch Mutter von zwei jungen Kindern bin. Es bleibt nichtsdestotrotz stets eine Herausforderung, alles unter einen Hut zu bringen.
Herausforderung? Dieses Wort ist für mich «abgedroschen». Können Sie es umformulieren?
Es gelingt mir meistens, alles unter einen Hut zu bringen. Ich liebe es zu unterrichten und selbst Schach zu spielen. Aber gelegentlich wünsche ich mir, es würde in meinem Leben nicht immer um die 64 Felder gehen…
Interview: Graziano Orsi
Annette Waaijenberg persönlich
Wohnort: Oberägeri.
Alter: 43.
Beruf: Schachtrainerin.
Hobbys: Schach und Tennis.
ELO (Schweiz): 1573.
Klubs: ChessMates, SK Baar, SK Markus Regez.
Lieblingsschachspieler: Beth Harmon, Judith Polgar und Paul Morphy. – Anmerkung: Bei Beth Harmon handelt es sich um die fiktive Figur aus dem Netflix-Hit «The Queen’s Gambit». Diese Antwort ist daher mit einem Schmunzeln verbunden und nicht ganz ernst gemeint.
Schach-Buchtipp: Das U10-Projekt von GM Thomas Luther.
Weblinks
Reportage über den Verein ChessMates und Annette Waaijenberg in der «Schweizerischen Schachzeitung» 5/18
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