November 23, 2024

Causa Kramnik: Sind Hensels Vorwürfe berechtigt?

Bernd Schneider Mit großem Interesse habe ich das Interview von Schachfreund Johannes Fischer mit Carsten Hensel gelesen, welches am 24.06.2023 bei Chessbase veröffentlicht wurde. Der Turnierorganisator der Dortmunder “Sparkassen-Chess-Trophy“ und (ehemalige) Manager von Vladimir Kramnik, wird dabei sehr persönlich, weshalb die Perlen vom Bodensee plakativ „Hensel keilt gegen Bernd Schneider und Franz Jittenmeier“ titelten. Und in der Tat schien der ehemalige Pressesprecher der Stadt Dortmund ungehalten darüber gewesen zu sein, dass durch die Initiative meines Freundes Franz Jittenmeier deutsche Schachinteressierte Kenntnis darüber erhielten, dass Vladimir Kramnik Mitglied im Kuratorium des russischen Schachverbandes ist / war. Dabei unterstellte er Franz und mir die Veröffentlichung von Falschbehauptungen, was ich in der Folge beleuchten werde. Aber der Reihe nach, erst einmal führe ich den betreffenden Teil des Interviews wörtlich auf, damit jeder Interessierte verstehen kann, um welche Vorwürfe es sich handelt:

Zitat Beginn „Frage Johannes Fischer: Wladimir Kramnik ist auch in diesem Jahr wieder dabei. Kramnik ist Mr. Dortmund und hat das Turnier zehnmal gewonnen. Von ihm stammt auch die Idee, No Castling Chess zu spielen. Bis Mai war er aber auch Mitglied im Vorstand des russischen Schachverbandes, dem unter anderem der russische Verteidigungsminister Sergej Shoigu und Dmitri Peskow, der Pressesprecher von Wladimir Putin, angehören. Shoigu und Peskow sowie zahlreiche weitere Vorstandsmitglieder wurden im Zuge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine mit Sanktionen belegt. Hat Kramniks Mitgliedschaft im Kuratorium zu Problemen im Vorfeld des Turniers geführt oder könnte sie zu Problemen führen?

Carsten Hensel: Auf Ihre Frage gibt es zwei Antworten. Zunächst antworte ich als Vertreter des Veranstalters IPS: Solange deutsches oder internationales Recht dem nicht entgegensteht, können und werden wir nicht gegen die Regeln des Weltverbandes FIDE verstoßen oder rechtsgültige Verträge, die es in diesem Zusammenhang gibt, brechen. Dies betrifft die Teilnahme aller russischen und weißrussischen Schachspielerinnen und Schachspieler, die laut FIDE unter neutraler Flagge spielberechtigt sind, solange diese Spielerinnen und Spieler nicht persönlich von der FIDE selbst gesperrt sind.

Und dann antworte ich Ihnen persönlich: Wladimir und mich verbindet nicht nur eine gemeinsame, sehr erfolgreiche berufliche Zeit. Wir sind auch seit vielen Jahren Freunde. Daran ändert auch der Krieg nichts. Ich kann nicht für Wlad sprechen, aber ich erlaube mir ein paar Anmerkungen, schon weil Ihre Frage auf falschen Annahmen beruht. Es gibt Falschinformationen im Internet, die von weniger als einer Handvoll Leuten stammen. Ich will nicht unterstellen, dass das bewusst geschieht, aber es werden Dinge behauptet, die überhaupt nicht stimmen. Und bei solchen Behauptungen sollte man vielleicht mal mit den Betroffenen selbst sprechen und nachfragen. Das geschieht in den einschlägigen Foren oft auch deshalb nicht, weil die Antworten dazu führen würden, dass diese Falschbehauptungen bis hin zu Anmaßungen unterbleiben müssten, das Einbringen der „eigenen ehrenwerten, für sich selbst Sympathie erheischenden Haltung“ würde dann dazu führen, dass diese Schmierereien unterbleiben müssten. Sie sind der erste Journalist, der diese Frage stellt.

Und deshalb kann ich sagen, dass ich natürlich schon seit einigen Monaten mit Wladimir darüber gesprochen habe. Als diese Geschichte aufkam, war er längst zurückgetreten und seit Januar auch nicht mehr Mitglied dieses Kuratoriums des Schachverbandes, das nach seiner Erinnerung nie getagt hat und nie aktiv war. Das war die erste falsche Behauptung. Weitere Fehlinformationen, z.B. wann wer welche Verträge unterschrieben hat und wer von wem in eine missliche Lage gebracht wurde, sind freie Erfindungen. Wir haben hier alles offen und transparent mit allen Beteiligten kommuniziert. Und als sein Freund bin ich überzeugt, dass er in der Sache eine ehrenwerte Haltung hat. Er ist Pazifist, er lehnt diesen Krieg ab, er hat sich in seiner Heimat mit seinem Austritt sicher nicht beliebt gemacht. Seine Familie ist zur Hälfte russisch, zur Hälfte ukrainisch. Er hat Dutzenden von Menschen aus beiden Ländern mit viel Geld in schwierigen Situationen geholfen. und muss auf seine Familie Rücksicht nehmen. Und dann kommen ein völlig unbedeutender IM aus Solingen und ein Hobbyschachpublizist und agitieren, ohne auch nur einmal nachzufragen und sich zu vergewissern. Und das alles nur, um sich selbst zu erhöhen. Das nenne ich wirklich schlechten Journalismus und eine miese Einstellung. Mit solchen Leuten will ich nichts zu tun haben.“ Zitat Ende

Die Aussagen von Carsten Hensel möchte ich chronologisch aufgreifen, um ein Durcheinander zu vermeiden:

„Solange deutsches oder internationales Recht dem nicht entgegensteht, können und werden wir nicht gegen die Regeln des Weltverbandes FIDE verstoßen….“

Ich frage mich, ob man gegen deutsches oder internationales Recht verstößt, wenn man Vladimir Kramnik nicht zum Turnier nach Dortmund im Jahr 2023 (im 2. Jahr des russischen Angriffskrieges) einlädt?

„….oder rechtsgültige Verträge, die es in diesem Zusammenhang gibt, brechen.“

Es ist natürlich richtig und wichtig, dass der Veranstalter rechtsgültige Verträge einhält. Dennoch sollte Kritik erlaubt sein, wenn man auf „Teufel komm raus“ darauf beharrt, dass Vladimir Kramnik ausgerechnet gegen den ukrainischen GM Pavel Eljanov antritt, welcher noch im März 2023 öffentlich bei Facebook erklärte: „Ich halte es für unmöglich, bis zum Ende des Krieges (d. h. bis zu unserem Sieg) gegen einen russischen oder weißrussischen Spieler (welche Flagge auch immer er hat) anzutreten“. Quelle: Facebook. Die Perlen vom Bodensee schrieben dazu am 27.06.2023 unter der Überschrift: „Die Causa Kramnik“: Sollte der Russe Vladimir Kramnik in Dortmund spielen? Eine differenzierte Debatte darüber wäre angemessen gewesen, ebensolche Berichterstattung auch. Beides fand kaum statt. Eine, wenn nicht die Autorität, die dazu etwas hätte sagen können, saß Kramnik am Montag gegenüber. Tatsächlich hatte der ukrainische Großmeister Pavel Eljanov dazu schon etwas gesagt, vor der Europameisterschaft im März (Zitat vorgenannter Facebookpost) – und sagte die Europameisterschaft wegen der russischen Teilnehmer im Feld ab. Ein paar Monate später in Dortmund scheint er diese Haltung modifiziert zu haben.“ Zitat Conrad Schormann Ende.

„Dies betrifft die Teilnahme aller russischen und weißrussischen Schachspielerinnen und Schachspieler, die laut FIDE unter neutraler Flagge spielberechtigt sind, solange diese Spielerinnen und Spieler nicht persönlich von der FIDE selbst gesperrt sind.“

Hier wird Bezug auf eine Empfehlung der FIDE genommen, die federführend von FIDE Präsident Arkadi Dvorkovich stammt. Eben jenem Dvorkovich, der von 2012 bis 2018 einer der Stellvertretenden Ministerpräsidenten in der russischen Regierung von Vladimir Putin war. Aber auch jenem Dvorkovich, der Mitglied im Kuratorium des russischen Schachverbandes war und ist. Diese Empfehlung gilt für Offizialturniere wie Europa- oder Weltmeisterschaften. Selbst ein kremltreuer Berufspolitiker und Schachfunktionär wird nicht auf die Idee kommen, private Turnierveranstalter dazu zu nötigen, bei ungewerteten (Show-)Turnieren russische Staatsangehörige einladen zu müssen.                                                           

„Und dann antworte ich Ihnen persönlich: Wladimir und mich verbindet nicht nur eine gemeinsame, sehr erfolgreiche berufliche Zeit. Wir sind auch seit vielen Jahren Freunde.

Das Carsten Hensel mit Vladimir Kramnik eine Freundschaft verbindet ist  unbenommen. Ansonsten würde es in Dortmund aber auch kein Showturnier geben, in dem sich vier Spieler duellieren, ohne die Rochade ausführen zu dürfen. Auch wenn diese Abart des Schachspiels im Interview nochmals ausführlich von Hensel als spannendes, wissenschaftliches Experiment dargestellt wird, so ist sich die Schachwelt einig: Diese Show-Turnierform wird deshalb veranstaltet, weil ansonsten Vladimir Kramnik nicht in Dortmund teilnehmen könnte/würde. Der Ex-Weltmeister hat vor einigen Jahren seine aktive Schachkarriere beendet und spielt keine Turniere mehr im üblichen Turniermodus. Deshalb musste eine auf ihn konzipierte Variante des Schachspiels gefunden werden, bzw. kamen die Dortmunder Turnierorganisatoren dem Vorschlag von Kramnik nach, wie es auch Johannes Fischer in einer vorherigen Frage erwähnte.           

„Freunde – Daran ändert auch der Krieg nichts.“

An der Freundschaft muss sich ja auch nichts ändern. Aber wenn man schon der Freund des Vertragspartners ist, mit dem man einen Kontrakt im Auftrag der IPS geschlossen hat, dann könnte man doch Vladimir sagen, dass es aufgrund des schrecklichen Krieges ungünstig sei, wenn ein Ukrainer mit einem Russen in Deutschland bei einem Showturnier spielen soll. Deshalb bitte ich Dich aus Freundschaft auf den gültigen Vertrag mit der IPS für 2023 zu verzichten. Freunde können so etwas Wichtiges besprechen und werden dahingehend eine Lösung finden, bei der alle Parteien ihr Gesicht wahren können.       

„Ich kann nicht für Wlad sprechen, aber ich erlaube mir ein paar Anmerkungen, schon weil Ihre Frage auf falschen Annahmen beruht. Es gibt Falschinformationen im Internet, die von weniger als einer Handvoll Leuten stammen. Ich will nicht unterstellen, dass das bewusst geschieht, aber es werden Dinge behauptet, die überhaupt nicht stimmen. Ich will nicht unterstellen, dass das bewusst geschieht, aber es werden Dinge behauptet, die überhaupt nicht stimmen. Und bei solchen Behauptungen sollte man vielleicht mal mit den Betroffenen selbst sprechen und nachfragen. Das geschieht in den einschlägigen Foren oft auch deshalb nicht, weil die Antworten dazu führen würden, dass diese Falschbehauptungen bis hin zu Anmaßungen unterbleiben müssten, das Einbringen der „eigenen ehrenwerten, für sich selbst Sympathie erheischenden Haltung“ würde dann dazu führen, dass diese Schmierereien unterbleiben müssten. Sie sind der erste Journalist, der diese Frage stellt.“

Mit dieser Äußerung möchte Carsten Hensel den Lesern gleich mehrere Dinge vermitteln: 1.) Es werden Lügen verbreitet. 2.) Diese Lügen stammen von einer absoluten Minderheit. 3.) Die Kritiker hegen böse Absichten und sind nur darauf aus, sich mit der Verbreitung von Lügen wichtig zu machen. 4.) Nicht der Kritisierte trägt Verantwortung für die Situation, sondern die Kritiker haben sich schuldig gemacht.

Das Vladimir Kramnik Mitglied im Kuratorium des russischen Schachverbandes war, bestreitet Herr Hensel nicht. Und dies ist im Kern der wichtigste Vorwurf gegen Kramnik. Nämlich das er mit Kriegstreibern und -verbrechern in einem Beirat sitzt. Lediglich mit dem Datum des Kramnik´schen Ausscheiden aus dem Ehrenamt könnte man uneinig sein, zumal die Zeitschiene erstmals mit Veröffentlichung des Interviews zum Thema wurde. Von welchen Lügen / Verleumdungen spricht hier also Herr Hensel? Er bleibt im Ungefähren.   

Kramnik schreibt in seinem Interview mit Martin Breutigam vom 06.03.2023 von einer Hexenjagd gegen ihn. Waren es die Handvoll Leute, die Hensel hier erwähnt? Reichte eine Handvoll böswilliger Menschen, die Kramnik nach eigener Interviewaussage total wütend gemacht haben? Franz Jittenmeier und ich können nicht gemeint sein, denn wir hatten zu diesem Zeitpunkt noch kein Wort über den großartigen Schachspieler in dieser Sache verloren.

Das Kramnik (als einziger Schachspieler unter 18 Mitgliedern) einen Platz im Kuratorium inne hat, wurde durch eine Veröffentlichung im März 2023 von ru.chess-news einem größeren Personenkreis bekannt (jedoch nur für russischsprachige Leser identifizierbar). Die (vermutlich) größte russische Schachnachrichtenseite, die alleine bei Facebook 56.000 Follower hat, veröffentlichte zu diesem Zeitpunkt einen Link zur aktuellen Eintragung von Vladimir Kramnik als Kuratoriumsmitglied auf der Seite des russischen Schachverbandes. Die Auflistung mit Vladimir K. wurde vielfach gespeichert und somit als „Beweis“ gesichert. Übrigens, die Seite der ru.chess-news wurde vor einigen Monaten von „echten russischen Patrioten“ gehackt und somit zwischenzeitlich zum Stillstand gebracht. Es passte wohl den hohen Schach- und Politikkreisen nicht, dass die Betreiber der Seite den Krieg als Solchen bezeichneten und neben Karpow, Karjakin und Shipov auch weitere Schachmeister wegen deren Haltung / Taten / Schweigen im Zusammenhang mit dem Krieg kritisierten. Ich halte die Betreiber für Helden, die sich der Diktatur widersetzen und unbequeme Wahrheiten veröffentlichen.                 

„Und deshalb kann ich sagen, dass ich natürlich schon seit einigen Monaten mit Wladimir darüber gesprochen habe. Als diese Geschichte aufkam, war er längst zurückgetreten und seit Januar auch nicht mehr Mitglied dieses Kuratoriums des Schachverbandes, das nach seiner Erinnerung nie getagt hat und nie aktiv war. Das war die erste falsche Behauptung.“ 

Die Mitgliedseintragung von Kramnik auf der Seite des russischen Schachverbandes war bis zum 08. Mai 2023 vorzufinden. Das Kramnik bereits im Januar 2023 zurückgetreten sein soll, war anhand der fortwährenden Eintragung nicht ersichtlich. Wenn Kramnik Anfang 2023 aus dem Kuratorium ausgetreten ist und es ihm so wichtig war, warum hat er den fehlerhaften Eintrag in der Folge nicht reklamiert, bzw. nicht auf eine Löschung gedrungen? Sind die wahren Schuldigen vom „Team Kramnik“ nicht falsch identifiziert worden und stattdessen beim russischen Schachverband zu suchen? Die vielfach geäußerte Reaktion aufgrund der Interviewaussage ist, dass Kramnik erst nach Aufkommen der russischen und ukrainischen Proteste und ggf. auch deutschen Hinweisen, den Austritt kurz vor dem 08. Mai 2023 vollzog, um Ruhe in die Angelegenheit zu bringen. Dies ist jedoch nur eine These, bei der Fakten (Interneteintrag eines großen Verbandes) gegen die Aussagen von Hensel stehen. Wenn ich zum Beispiel auf der Homepage des Deutschen Schachbundes lese, Jan Gustafsson ist neuer Bundestrainer, dann kann ich diese Information verbreiten, ohne einer Falschbehauptung beschuldigt zu werden. Gilt dies nicht für Veröffentlichungen auf der Seite des russischen Schachverbandes, so muss dies deutlich gemacht werden, oder?  

Aber selbst wenn der Austritt um den Jahreswechsel stattgefunden hat, wie kann ein überzeugter Pazifist, der gegen jeden Krieg ist, geschlagene 10 Monate seit dem 24.02.2022 mit dem Vollzug warten?

Und nebenbei gefragt: Warum spielt ein Pazifist beim sogenannten „Z-Turnier“ der Chess-Stars im September 2022 in Moskau mit, zu dem nur regimetreue Schachmeister wie Karjakin eingeladen wurden? Als Statement gegen den Krieg?  

„Weitere Fehlinformationen, z.B. wann wer welche Verträge unterschrieben hat und wer von wem in eine missliche Lage gebracht wurde, sind freie Erfindungen. Wir haben hier alles offen und transparent mit allen Beteiligten kommuniziert.“

Um auf diese Aussage eingehen zu können, musste ich mich kundig machen. Wer wann welche Verträge geschlossen hat, entzieht sich meiner Kenntnis. Dies erachte ich auch nicht für relevant. Dass Pavel Eljanov nicht in eine missliche Lage geraten ist und anderweitige Behauptungen freie Erfindungen seien, möchte ich wie folgt beantworten:

„Wie aus Chat-Nachrichten ersichtlich ist (der Wortlaut dieser vertraulichen Chats soll hier nicht veröffentlicht werden), kennt Pavel Eljanov sehr wohl die negativen Auswirkungen, die sein Antreten gegen Kramnik in Dortmund bei ukrainischen Schach- und Sportorganisationen hat. Schließlich gibt es eine bindende Vorgabe seitens des ukrainischen Staates, dass Sportler der Ukraine nicht gegen russische Sportler antreten dürfen, z.B. hier nachzulesen: https://www.welt.de/sport/article244817604/Ukraine-verbietet-Sportlern-bei-Wettkaempfen-mit-Russen-zu-starten.html

Ebenso ist es Eljanov sehr wohl bewusst, dass er in der ukrainischen Schachgemeinschaft mit seiner Entscheidung potentiell auf wenig Verständnis treffen wird. Der Ukrainer wohnt inzwischen mit seiner Familie in Deutschland. Nach seiner Ausreise aus der Ukraine wurde er vorübergehend von Walter Rädler beherbergt. Wie bestätigt wurde, hat sich der bekannte Schulschach- und DSJ-Förderer aufgrund der misslichen Situation Eljanovs schriftlich an den Sparkassenverband gewandt, um gegen die zweifelhafte Politik der Dortmunder Schachorganisatoren, in Zeiten des Krieges, zu intervenieren. Rädler ist der Auffassung, dass seinem Schachfreund aufgrund des unrühmlichen Festhaltens an einem Kremlgünstling große Nachteile aufgebürdet wurden. Daraus lässt sich ableiten, dass vom angeblichen „Friede (welch ein Wort), Freude, Eierkuchen“ unter den Vertragspartnern nicht gesprochen werden kann.

„Und als sein Freund bin ich überzeugt, dass er in der Sache eine ehrenwerte Haltung hat. Er ist Pazifist, er lehnt diesen Krieg ab, er hat sich in seiner Heimat mit seinem Austritt sicher nicht beliebt gemacht. Seine Familie ist zur Hälfte russisch, zur Hälfte ukrainisch. Er hat Dutzenden von Menschen aus beiden Ländern mit viel Geld in schwierigen Situationen geholfen. und muss auf seine Familie Rücksicht nehmen.“

Die zugeschriebene ehrenwerte Haltung und pazifistische Einstellung hat in ukrainischen Schachkreisen für mächtige Empörung gesorgt. Obwohl die Hälfte seiner Familie aus der Ukraine stammt, habe ich noch mit keinen Ukrainer kommuniziert / getroffen, der diese Aussage auch nur im Ansatz bestätigen wollte. Vielmehr nehmen Ukrainer, auch in Deutschland lebende Kriegsflüchtlinge, in privaten Unterhaltungen kein Blatt vor den Mund. GM Mikhail Golubev beispielsweise bezeichnet Vladimir Kramnik als einen Heuchler und russischen Chauvinisten. Wer Zweifel hat, wie die meisten Ukrainer (und freiheitsliebende Russen) über den Exweltmeister denken, der könnte auf die Facebookseite von Eljanov schauen:

https://www.facebook.com/eljanov/posts/pfbid02sFfYpYVCEo4zCwCF683g2jNK4FbzRP77rbQN4cVhciRrnUbeSSConoPfpvoKQ4xMl

Dort stellt Pavel. E. am 15.08.2022 seinen Facebookfreunden die Frage, wer 2015 in einem Interview folgende Aussage zum Ukraine-Konflikt tätigte (automatisch übersetzt):                                 

„Um ehrlich zu sein, bin ich sehr ängstlich. Es hat ein harter Kampf zwischen der westlichen und der östlichen Zivilisation begonnen. Nach dem Krieg gab es eine klare Vorherrschaft des Westens, und jetzt bricht dieses System zusammen. Ich habe den Eindruck, dass sich die USA des beginnenden Verlusts an China und möglicherweise an Russland, Indien und den gesamten Osten bewusst sind. Und jeder Schachspieler wird Ihnen sagen: Wenn die Trends nicht zu Ihren Gunsten ausfallen und die Dinge zu verlieren drohen, müssen Sie ein verworrenes Spiel machen – bluffen, um die Situation aus ihrem üblichen Rhythmus zu bringen. Genau das geschieht jetzt.               Meiner Meinung nach ist Russland nicht das Hauptziel in diesem Spiel. Wir stehen einfach in der ersten Reihe. Denn im Moment ist Russland wahrscheinlich das einzige Land, das offen versucht, sich dem Diktat der Vereinigten Staaten zu widersetzen. Deshalb stehen wir so sehr unter Druck. Dieser Druck wird sich verstärken, egal was in der Ukraine passiert. Die Ukraine ist nur ein Vorwand. Der Westen will seine Führungsposition nicht an den Osten abgeben und scheint eine massive Kampagne zur Aufrechterhaltung seiner Vorherrschaft zu starten. Ich denke, wir sollten uns auf eine lange Belagerung einstellen, so leicht werden sie uns nicht im Stich lassen. Und ich hoffe wirklich, dass wir durchhalten werden. Eine unipolare Welt, unabhängig davon, wer am Ruder ist, ist von Natur aus destruktiv.“ Quelle: https://aif.ru/sport/person/kto_blefuet?fbclid=IwAR1Rg63lxFbu96yJSaWqW_hVefOeqIgGzpSbn9jbuDZZZuyIxisONFSFc6g

Eine Antwort auf die Frage gab Eljanov höchstpersönlich: „Ja, das sind wirklich Kramniks Worte aus dem AIF Interview 2015. Ich erinnerte mich an ihn anlässlich seiner Aufnahme in ein neues FIDE-Vorstand und auch an die fehlende Reaktion nach dem 24. Februar. Lassen Sie mich Sie daran erinnern, dass er die ganze Zeit in einem „Sieg“ in Genf gelebt hat.“  

Ich würde den Interviewten nicht nach Deutschland zu einem Turnier einladen. Auch wenn er aktueller Weltmeister und zugleich mein bester Freund wäre. Wie sehr bewundere ich Schachfreund Dieter Auer aus Hockenheim, der 2022 mit seinem besten Freund Anatoly Karpov gebrochen hat, nachdem dieser ähnliche Aussagen tätigte.      

„Und dann kommen ein völlig unbedeutender IM aus Solingen und ein Hobbyschachpublizist und agitieren, ohne auch nur einmal nachzufragen und sich zu vergewissern. Und das alles nur, um sich selbst zu erhöhen. Das nenne ich wirklich schlechten Journalismus und eine miese Einstellung. Mit solchen Leuten will ich nichts zu tun haben.“                         

Erstmals gehe ich mit Herrn Hensel, zumindest was den ersten Halbsatz angeht. Ich bin in der Tat unbedeutend. Aber auch ich gehöre zur Schachbasis und die Basis sollte sich auch zu Wort melden dürfen. Oder bedarf es einer Elozahl von über 2600 um zum Krieg eine Meinung zu haben? Carsten Hensel wird vermutlich in seiner Laufbahn als Berufsschachfunktionär wenig mit der Basis in Kontakt gekommen sein. Unbestätigten Gerüchten zufolge war der bedeutende Manager nie Mitglied oder gar aktiver Spieler in einem Schachverein. Würde er sich für die Basis interessieren, so wäre ihm vielleicht bekannt, dass der unbedeutende IM von 2008-2023 aktiver Spieler eines Vereins in der Dortmunder Nachbarstadt Bochum war. Das der Bochumer Spieler sich nicht mit den Dortmunder Organisatoren in Verbindung gesetzt hat, ist ein Irrglaube. Am 12.04. habe ich über Facebook den Pressesprecher der Schachtage Patrick Zelbel angeschrieben, jedoch keine Antwort erhalten.

Eine Lanze brechen muss ich jedoch für Franz Jittenmeier. Der 83-jährige Schachenthusiast aus Herne führt seit über 20 Jahren den Schach-Ticker. Dort verbreitet er mit unglaublichem Fleiß tagtäglich Schachberichte und -informationen aus aller Welt. So zum Beispiel auch Informationen von ru.chess-news, was ihm hier als miesen Journalismus ausgelegt wird. Der Schach-Ticker hat über 1 Mio. Seitenzugriffe monatlich. Nicht umsonst wurde Franz wegen seines grandiosen, unentgeltlichen Einsatzes für das Schach 2015 mit dem „Deutschen Schachpreis“ des Deutschen Schachbundes ausgezeichnet. Ob Hensel für sein publizistisches Werk aus dem Jahr 2018: „Wladimir Kramnik Aus dem Leben eines Schachgenies“ eine ähnliche Ehrung widerfahren wird, ist ungewiss. Laut Teilnehmern an der Schachbuchauktion in Braunschweig vom 24.06.2023 trägt das Werk ohnehin einen falschen Titel. Der zutreffende Titel hätte lt. Expertenmeinung: „Carsten Hensel: Ich und Kramnik“ heißen sollen.

Natürlich wurde der Teilausschnitt des Hensel´schen Interviews auch in den sozialen Medien heftig kommentiert und ablehnend beurteilt. Ich erlaube mir zum Abschluss von den zahlreichen Reaktionen zwei beispielhafte Posts der Basis widerzugeben:  

1.) Dr. Udo Käser (FM und Universitätsdozent):  

„Diese Inszenierung einer eben doch nur vermeintlich gerechten Empörung ist fast schon unterhaltsam. Zwar mehr lächerlich und lachhaft als lustig, aber doch auch ein wenig belustigend, wenn ich mir vorstelle, wie bei Herrn Hensel wohl der Blutdruck gestiegen ist, als er Bernds Kommentar gelesen hat … “

 

2.) Andreas Warsitz (Rechtsanwalt und ehemaliger Vorsitzender des Schachclub Hansa Dortmund)

„Ich bin dankbar, in all meinen Jahrzehnten in der Schachszene solch wunderbare Menschen wie einen Schachpublizisten aus Herne und einen IM aus Solingen kennengelernt zu haben. Zu der Sorte der achtbaren Menschen gehört der selbst ernannte Zampano des Chess Meetings, der selbst ernannte Top Manager, der sich wider besseres Wissens berühmt, die Dortmunder Schachtage groß gemacht, die Beziehung zwischen Kasparov und Dortmund hergestellt zu haben, ganz sicher nicht.

Die Sicht der meisten Schachspieler – ob dieser selbst ernannte Zampano tatsächlich ein Schachspieler oder bloß ein wenig achtbarer Zeitgenosse ist, sei einmal mit einem Fragezeichen versehen.- ist sehr begrenzt auf das kleine Brett, über dessen Rand sie nicht hinausblicken. Sie wollen die einzigen sein, die als Sieger dieser sehr beschränkten Welt hervorgehen. So kann eine Koexistenz nicht funktionieren. Dieser selbst ernannte Zampano ist zwar kaum ein Schachspieler, es trifft aber auf ihn zu.

Lieber Franz Jittenmeier und lieber Bernd Schneider, ich bin froh und dankbar, zwei solch achtbare Menschen wie Euch kennengelernt zu haben. Mit solchen Menschen mag ich zu tun haben.“

Die 50. Dortmunder Schachtage starten – ein Interview mit Carsten Hensel

Kramnik bricht sein Schweigen zum Krieg

Wie ist das Fazit des geneigten Lesers? Sind die Verunglimpfungen gegen Franz Jittenmeier und mich gerechtfertigt? Ihre Meinung würde mich interessieren!