Juli 17, 2024

Zur Quantenphysik mentaler Prozesse – auch beim Schach (I)


Zur Quantenphysik mentaler Prozesse -auch beim Schach

DER QUANTEN-SCHMETTERLINGSEFFEKT

„Man ist geneigt, es einen mentalen Akt zu nennen…“ (Nobelpreisträger Erwin Schrödinger 1935/1996, S. 29).

Alles was ein Mensch erlebt und tut, verändert sein Gehirn. Durch neue Erfahrungen, Informationen und Handlungen bilden sich neue Verknüpfungen. Der Mensch handelt als Ganzes. Deshalb bieten Handlungstheorien wichtige Ergänzungen zur Gehirnforschung 

Physik-„Software“ im Gehirn / ProStructures


Was wäre, wenn unser Gehirn Quantenprozesse der Umwelt oder in uns selbst direkt als solche wahrnehmen könnte? Es würde von einer Informationsflut überschwemmt. Nehmen wir einmal an, unsere Vorfahren wären in ihren Höhlen von hungrigen Bären besucht worden; hätten diejenigen einen Vorteil oder Nachteil gehabt, die nicht nur den Bären, sondern auch seine Quantenzustände wahrnehmen konnten? Die Verarbeitung der zusätzlichen Informationen hätte vermutlich die Reaktionszeit verlängert und die Lebenserwartung verkürzt.

Könnten wir Licht als elektromagnetische Wellen mit Photonen als Quanten sehen, hätten wir wohl einen völlig anderen Sehsinn entwickelt. Und bräuchten ein anderes Gehirn, Barrow beschreibt dies treffend (1992, S. 26): „Die natürlichen Grenzen, die die Natur der Empfindlichkeit unserer Augen und Ohren setzt, verhindern eine Überlastung mit Information über die Welt… Würden wir alles bis in den subatomaren Maßstab sehen, müßte die Gehirnkapazität zur Informationsverarbeitung ungeheuer groß sein.“

Physikprofessor Susskind führt aus, dass klassische physikalische Konzepte wie Geschwindigkeit und Kraft gleichsam von der Evolution in unser „Nervensystem fest verdrahtet wurden. Ohne diese vorprogrammierte Physik-Software wäre ein Überleben nicht möglich“ (2010, S. 10). Unser Gehirn wendet sie ständig an, natürlich nicht über Draht, sondern – bislang am besten beschrieben – über neuronale Netze evtl. in Form von ProStructures / Prozess- und Strukturverschmelzung (Munzert, 2015, 2022).

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Neuronen: „Schmetterlinge der Seele“


Der bahnbrechende Histologe und Nobelpreisträger Ramon y Cajal (1852-1934) bezeichnete Neuronen „poetisch als rätselhafte Schmetterlinge der Seele, deren Flügelschläge eines Tages womöglich das Geheimnis geistigen Lebens enthüllen würden“ (siehe Fischbach 1992, S. 32). Der Neurobiologe Prof. Fischbach betrachtet die elektrischen Impulse, die Nervenzellen aussenden, als jene „Flügelschläge“ (1992, S. 32): „…entsenden alle Nervenzellen ihre Signale in Form kurzer elektrischer Impulse, die sich über das Axon [Nervenfaser] fortpflanzen. Jedes dieser Aktionspotentiale – jeder Flügelschlag der Cajalschen Schmetterlinge – hat eine Amplitude von etwa 100 Millivolt und ungefähr eine Millisekunde Dauer.“


Ich möchte ergänzen, dass bei der Entstehung von Aktionspotentialen und der Ausbreitung von „Erregungswellen“ Quantenprozesse eine wesentliche Rolle spielen. Ausserdem gibt es in Gehirn- und Nervensystem – vor allem in Synapsen – zahlreiche weitere Möglichkeiten für mehr oder weniger geheimnisvolle Quantenprozesse – auch im Schach.


„Der Schmetterlingseffekt“: Sensitive Abhängigkeit von den Ausgangsbedingungen & Beeinflußbarkeit von außen


Auch in der Chaostheorie – ein Ansatz zur Beschreibung und Erklärung dynamischer (nonlinearer) Vorgänge und Systeme (siehe z. B. Gleick 1990) – wird der Schmetterling bemüht. Der „Schmetterlingseffekt“ beschreibt annähernd die allgemeine Erfahrung, dass kleine Ursachen grosse Wirkungen haben können. Ein wesentliches Merkmal chaotischer Systeme ist ihre extreme Abhängikeit vom Ausgangszustand bzw. von den es umgebenden Bedingungen und Einflüssen. 

Dieser Gedanke wurde bereits vom französischen Mathematiker Poincare 1903 geäußert: „Eine sehr kleine Ursache, die wir nicht bemerken, bewirkt einen beachtlichen Effekt, den wir nicht übersehen können, und dann sagen wir, der Effekt sei zufällig“ (zit. nach Crutchfield et al. 1989, S. 10).

Gleick beschreibt dies in Konzepten der Chaostheorie (1990, S. 18/19): „Geringe Abweichungen beim Input können unversehens zu ungeheuren Verschiebungen im Output führen, ein Phänomen, das man mit der Bezeichnung ’sensitive Abhängigkeit von den Ausgangsbedingungen‘ charakterisierte. Auf die Meteorologie übertragen, versteht man darunter die Erscheinung, die unter dem nur halb scherzhaften Begriff ‚Schmetterlingseffekt‘ bekannt ist: die Vorstellung, wonach ein einzelner Schmetterling, der mit seinen Flügeln in Peking die Luft bewegt, einen Monat später Sturmsysteme über New York beeinflussen kann.“ Man kann den Schmetterlingseffekt gleichermaßen für die Beeinflußbarkeit eines Systems von innen wie von außen postulieren.

DER QUANTEN-SCHMETTERLINGSEFFEKT

Im Folgenden möchte ich die Metaphern bzw. Konzepte „Schmetterlinge der Seele“ und „Schmetterlingseffekt“ zusammenbringen, was bisher meines Wissens nicht geschehen ist, und auf mögliche Quantenprozesse im Gehirn übertragen. Um im Bilde zu bleiben, spreche ich vom „Quanten-Schmetterlingseffekt“. Unser mentales Zentrum ist ein ganzheitliches System, auf das es viele Einwirkungsmöglichkeiten gibt – von innen und außen. Beispielsweise können geringste Unterschiede in den Anfangs- und/oder Randbedingungen von Neuronen und neuronalen
Netzen zu grossen Unterschieden in Verlauf und Ergebnis von Hirnprozessen, Aktivitäten und Handlungen führen. Solche geringsten Unterschiede können durch Quanteneffekte entstehen.

Bohr erklärte bereits 1927 (nach Heisenberg 1988, S. 112): „Wir haben allen Grund anzunehmen, dass eine Nachprüfung der quantenmechanischen Gesetze in einem lebendigen Organismus diese Gesetze dort genauso bestätigen würde wie in der toten Materie.“

Hawking bemerkt direkt aufs Hirn bezogen: „Doch auch das menschliche Gehirn ist dem Unbestimmtheitsprinzip unterworfen. Also gibt es in unserem Verhalten ein aus der Quantenmechanik folgendes Zufallselement. Allerdings sind die an der Hirntätigkeit beteiligten Energien nicht sehr gross. Deshalb wirkt sich die Unbestimmheit der Quantenmechanik nur geringfügig aus“ (1996, S. 91-92).

Auch hier kommt der von mir postulierte Quanten-Schmetterlingseffekt ins Spiel.

Hawking hat Recht mit dem relativ geringen Energieaufwand von gehirnphysiologischen und mentalen Vorgängen, dennoch ergibt sich allein durch die astronomische Zahl von Neuronen und ihren Verknüpfungen genügend Spielraum für (anscheinend) zufällige Quantenprozesse.

(Wahrscheinlichkeitstheoretiker sprechen in ähnlichen Kontexten vom Gesetz der grossen Zahl.) Auch ohne Input von aussen finden im Gehirn ständig millionenfach Quantenprozesse statt.

Spontane Quanteneffekte können durchaus im Gehirn z. B. bei Wahrnehmungen, schnellen Reaktionen, Versprechern, raschen Entscheidungen usw. relevant sein Ausserdem bei mental aktiv hervorgerufene Quantenvorgängen.

Auch an den mittlerweile bekannten häufigen Spontanentladungen im Gehirn dürften Quantenfluktuationen beteiligt sein. Die von mir beschriebenen Basismechanismen des „psychischen Betriebssystems“ des Menschen (Munzert 1998, S. 101,  2000) wären ohne permanente herkömmliche Quantenprozesse überhaupt nicht möglich

Der Quantenschmetterlings-Effekt könnte sogar in Gehirn und Nervensystem bei der Umwandlung von Energie in Information und umgekehrt von Bedeutung sein. 

Schon hier sei auch festgehalten: Ebenso wie ich durch Betätigung eines Lichtschalters aktiv Quantenprozesse (LIcht) hervorrufen kann, vermag ich durch interne Vorgänge absichtlich Quantenprozesse auszulösen, z.B. durch inneres Reden und Selbstaufforderungen (Munzert 2000).

Dr. Reinhard Munzert