Mal wieder ein alliterierender Titel – worum geht es? Um das erste Turnier der neuen FIDE Grand Prix Serie mit neuem Format. Austragungsort war Moskau – Riga bzw. der Vorort Jurmala ist erst im Juli dran, der Riga-Bezug ist älteren Datums. Das Titelbild zeigt bereits, dass am Ende Nepomniachtchi gewonnen hat – und zwar alleine, das ist im KO-Format immer der Fall.
Statt der bei anderen Formaten üblichen Abschlusstabelle der derzeitige Stand in der GP-Wertung: Nepomniachtchi 9, Grischuk 7, Wojtaszek 5, Nakamura 3, Svidler, Wei Yi, Dubov 2, So 1 und dann 13 Spieler mit null Punkten. Bei fünf lag es daran, dass sie erst beim zweiten Turnier in Jurmala in das Geschehen eingreifen werden, acht sind dagegen in Moskau bereits in der ersten KO-Runde ausgeschieden (darunter auch einige recht bekannte Namen). Und dafür gibt es dann eben gar nichts – bzw. immerhin noch 5000 Euro Preis- oder Antrittsgeld für zwei bis drei Tage vor Ort, Reisekosten wurden auch erstattet.
GP-Punkte gibt es für das Erreichen der zweiten und weiterer Runden, Bonuspunkte gibt es, wenn man dafür keine Tiebreaks braucht. Ein Schnell- und Blitzschachspezialist hatte vorab prognostiziert, dass 80% aller Matches in die Verlängerung gehen würden, das war vielleicht auch Wunschdenken in eigener Sache – zweimal klappte es, dann wurde Nakamura verabschiedet. Am Ende wurden 7 von 15 Matches im Tiebreak entschieden, nur einmal gab es dabei Zehnminutenpartien, geblitzt oder gar armageddonisiert wurde nie – ein Unterschied zum Riga-Bezug im Titel.
Sinn der GP-Serie ist ja vor allem, dass sich am Ende zwei Spieler für das Kandidatenturnier qualifizieren, außerdem bekommen 10 von 21 zusätzliches Preisgeld. Warum sind es eigentlich 21 Spieler? 20 haben sich nach Elo (Mittelwert Februar 2018 bis Januar 2019) qualifiziert bzw. rückten nach da vor ihnen plazierte verzichteten. FIDE qualifizierte außerdem Daniil Dubov – wohl Anerkennung für den WM-Titel im Schnellschach, Leidtragender ist u.a. sein zuletzt aber eben für diesen WM-Zyklus zu spät erfolgreicher Landsmann Artemiev. In Moskau spielten diverse Moskauer, in Tel Aviv wird ein Israeli mitspielen. Ein Hamburger und auch ein Norweger werden später in diesem Bericht erwähnt.
Genug der Vorrede bzw. bereits etwas „Wie geht es weiter?“, hinein ins Moskauer Geschehen Runde eins – alle Fotos (auch zu weiteren Runden) von Worldchess:
Auf diesem Foto insgesamt 18 Personen – einer versucht, sich zu verstecken, und schafft es beinahe, zwei haben dann doch nicht mitgespielt.
Bühne frei – noch ist es ziemlich voll. Bei der Auslosung achtete man darauf, dass die ersten vier der Setzliste nur im Halbfinale oder Finale aufeinander treffen können, ansonsten war alles möglich. Nummer 3 und 4 sollten dann tatsächlich das Finale erreichen, obwohl sie bereits in der ersten Runde starke und im Vergleich zu ihnen selbst eher renommiertere Gegner hatten. Nummer 1 und 2 waren dagegen in der ersten Runde recht klar favorisiert, es sollte anders kommen. Die acht Matches der Reihe nach:
Giri-Dubov 0.5-1.5 !
Hinterher waren beide gut gelaunt, die Interviewdame Eteri Kublashvili offenbar auch (aber sie steht auf dem Foto nicht im Mittelpunkt). Dubov sowieso, Giri weil er nach eigener Aussage viel gelernt hat. Schon vorab hatte er sich trotz fast 100 Punkten Elovorteil keinesfalls als Favorit betrachtet.
Was war passiert? In punkto Kreativität sahen wir das Original – Carlsen ist nur eine wohl vor allem von Dubov auf Sveshnikov-Sizilianisch Detail-vorbereitete Kopie. Schon in der ersten Partie überraschte Dubov seinen Gegner mit dem Bauernopfer4.-e5!?, wobei Giri hinterher seinen Gegner überraschte: „Das hat Daniil bereit gespielt!“. „Nein“ „Doch“. Giri hatte recht, wobei Dubov diese Blitzpartie gegen Cheparinov offenbar vergessen oder verdrängt hatte. Auch einige andere hatten es schon mit verkürzter Bedenkzeit versucht – Grischuk, Mamedyarov, Ragger, Aronian in jungen Jahren mit Elo 2518. Wie dem auch sei und egal ob es völlig korrekt war: Dubov bekam mit Schwarz Oberwasser, aber dann wurde es remis.
Die zweite Partie war dann noch grösseres Kino, Höhepunkt 19.0-0-0!??!. Gut, die kurze Rochade war regelwidrig, aber am Damenflügel hatte der weisse König null Bauernschutz. Wenig später griff Giri im 22. Zug daneben, nun landete der weisse König auf f3 und stand da sicher, im Gegensatz zum schwarzen. Nach 36 Zügen gab Giri dann kurz vor einem hübschen Matt auf.
Dubov nochmal individuell – hier nicht mit seiner Frisur sondern mit dem Partieformular beschäftigt. Und aus optischen Gründen nun erst zum laut Paarungsliste dritten Match:
Duda-So 1.5-2.5
Trotzdem zeige ich den – ebenfalls in Weiß gekleideten – letztendlichen Verlierer. JK Duda war nahe an einer Überraschung („Sensation“ würde ich nicht sagen) aber hat sich dann mehr oder weniger selbst geschlagen. In der ersten Partie griff So früh daneben, musste sich im 13. Zug zwischen zwei Übeln entscheiden – Bauernverlust oder Verlust des Läuferpaars – und wählte Ersteres. Danach ging für Wesley So noch mehr schief, nach 25 Zügen war bereits Schluss.
Remis reichte dem Polen nun, warum er in dieser Situation erstmals in seinem Schachleben den sizilianischen Drachen entkorkte weiss allenfalls er selbst. Angeschaut hatte er sich das und folgte einschliesslich Qualitätsopfer bekannten Vorbildern, aber in taktischen Verwicklungen hatte er das Nachsehen.
Also nun Schnellschach. In der ersten Schnellpartie konnte So mit 22.Lxh6 oder auch 23.Lxh6 früh Oberwasser bekommen, aber das wäre ein Figurenopfer – so etwas macht Wesley Solid eben nicht. Später profitierte er von einer gegnerischen Halluzination. In der zweiten Partie gab Duda alles, kurioserweise auch 39.Lxh6 (Figurenopfer im Endspiel). Da er dafür diverse Bauern bekam war es durchaus chancenreich, aber 42.Tg3 war suboptimal und So fand darauf den einzigen Remiszug 42.-Sc1!. Ende gut, alles gut für den Wahl-Amerikaner – bis auf weiteres.
Radjabov-Nakamura 1,5-2,5
Auch hier – Interview nach einer der „Partien“ mit klassischer Bedenkzeit – beiderseits gute Laune: Hikaru Nakamura freute sich wohl bereits auf sein geliebtes Schnell- und eventuell Blitzschach. Teimour Remisabov freute sich über ein Remis und brachte dabei vielleicht etwas durcheinander: nach Elo sind sie momentan ziemlich gleichwertig, also bringt es ihm keine Elopunkte. Die beiden Partien mit klassischer Bedenkzeit sind hiermit erwähnt – 12 und 14 Züge, das zweite Mal hatten sie immerhin schon jede Menge Figuren getauscht.
Die erste Schnellpartie kann man durch die Nakamura-Fanbrille betrachtet als positionelle Meisterleistung bezeichnen, man kann es auch so sehen: in ziemlich harmloser Stellung verlor Radjabov den Überblick, erst etwas und kurz danach komplett. Das Remis in der zweiten Schnellpartie war nicht allzu gehaltvoll.
Karjakin-Grischuk 0,5-1,5:
Ich zeige Sieger und Verlierer zusammen – offenbar hat Worldchess entschieden, dass der Verlierer immer links steht. Grischuk ist momentan elobesser, Karjakin im Zweifelsfall bekannter. Auch hier entfiel die erste Partie mit klassischer Bedenkzeit (Remis nach 14 Zügen). In der zweiten Partie hatte Grischuk aus der Eröffnung heraus ein leicht besseres Endspiel, daraus wurde dann der volle Punkt.
Nepomniachtchi-Aronian 1,5-0,5!?
Auch hier gilt, dass der Sieger aktuell leichter Elofavorit war, der Verlierer dabei „prominenter“. Auch hier steht der Verlierer links, wobei diesmal der Sieger in der ersten Partie Weiß hatte und diesen Vorteil nutzte. Nepo überraschte Aronian mit der seltenen Anti-Marshall-Nebenvariante 8.d4!? – das hatte er übrigens 5 Tage zuvor in Abidjan im Blitzschach gegen Ding Liren versucht, nach 8.-d6 entstanden relativ normale spanische Strukturen und Weiß gewann dann aus zwischenzeitlich recht verdächtiger Stellung heraus. Wenn Schwarz wie nun mit 8.-Sxd4 9.Lxf7+ usw. reagiert gilt es als remislich, aber ein paar Problemchen hat Schwarz noch. Im 41. Zug wählte Aronian das drastische 41.-Dxa3 42.DxLf5 Dxc3 – Figurenopfer für Freibauern am Damenflügel. Offenbar konnte Nepo nun schnell im direkten Mattangriff gewinnen, stattdessen gewann er langsam – Entscheidung im Damenendspiel nach 72 Zügen.
Die zweite Partie musste Aronian nun gewinnen, das schaffte er nicht einmal ansatzweise – es war eher ein „Plusremis“ für Schwarzspieler Nepomniachtchi.
Zwei Matches ohne Fotos: Bei Wei Yi-Jakovenko 1,5-0,5 dauerte die erste Partie 23 Züge bis zum Remis. Es lag hier eher daran, dass Schwarz (Jakovenko) eine Remisabwicklung fand und keinen Grund sah, dies zu vermeiden. In der zweiten Partie sah es zunächst danach aus, dass auch der Chinese die Quittung für ein schnelles Weißremis bekommen würde. 13.-g5 schwächte seinen Königsflügel, das konnte Konsequenzen haben. Kurz nacheinander machte Jakovenko dann zwei leichte Fehler: erst 20.Df3 (richtige Figur, falsches Feld – 20.Dd3 war druckvoller), dann 22.Tad1 (richtiges Feld, falsche Figur – 22.Tfd1 da der andere Turm danach auf der a-Linie eingreifen kann). Wei Yi musste zwar eine Qualität spucken aber stand nun zumindest nicht mehr viel schlechter, im weiteren Verlauf bekam er gar entscheidend Oberwasser.
Im Duell der St. Petersburger Freunde Vitiugov-Svidler 0,5-1,5 bekam der Verlierer wieder die Quittung für ein schnelles Weißremis. Svidler ist mitunter zu remisfreudig, diesmal war es nachvollziehbar warum er das Remisangebot nach 18.f4 akzeptierte: er stand subjektiv und auch Engine-objektiv schlechter! Warum Vitiugov Remis anbot müsste man ihn fragen. Die zweite Partie unter dem Motto: leicht besseres Endspiel, später 1-0 (vgl. Grischuk-Karjakin).
Wojtaszek-Mamedyarov 1,5-0,5!
Hatte ich bereits erwähnt, dass der Verlierer immer links steht? Im Gegensatz zu Giri und Aronian ist Mamedyarov dabei „unglücklich“ bzw. „unnötig“ ausgeschieden. In der ersten Partie hatte Shak Schwarz, und nach einer neuen und – so wie Wojtaszek spielte – verunglückten Grünfeld-Indischen Abwicklung zwei Figuren für einen Turm. Er schien auf dem Weg, diesen Vorteil zu verwerten. Aber dann kippte die Partie im 55. und 56. Zug komplett – zwei schwarze Ungenauigkeiten und die weissen Türme wurden zu aktiv, Schwarz verlor ersatzlos eine Figur. Also weisse Mehrqualität, „der Rest war Technik“. Die zweite Partie war wohl immer in der Remisbreite. Tschüss Mamedyarov und auch weiterer Absturz in der Weltrangliste, aktuell Platz 8. Immerhin besser als die Nummer 16, ein gewisser Levon Aronian. Und mit einem Sieg im direkten Duell gegen Giri würde er (wenn die dazwischen schlecht oder gar nicht spielen) wieder auf Platz 4 geführt.
Abschliessend noch ein Foto aus Runde 1:
Während den Tiebreaks war bereits mehr Platz auf der Bühne, teilweise nutzten ihn Zuschauer. Das war in den weiteren Runden natürlich auch der Fall.
Zum Viertelfinale erst vorab ein paar Bemerkungen eines Kibitzs. Seit der Fusion von chess24 und Play Magnus haben Papa und Sohn Carlsen 20% der Anteile am Konzern, seither ist er da präsenter – bzw. es zeichnete sich im Nachhinein schon vorher ab, und sein Kumpel Jan Gustafsson war da von Anfang an präsent. Beide kommentierten live, wobei wohl vor allem Carlsen redete – was er bei Heimspielen macht, sonst nicht unbedingt. Das ist der dazu gehörende Artikel.
Carlsens PR-Berater sagten wohl „macht sich gut, wenn Du über Giri lästerst“, also machte er das: „Bei ihm sah es so aus, als ob er nur da war, um in der ersten Runde zu verlieren!“, Nakamura sei ein anderes Kaliber für Dubov. Ansonsten viel Lob für den Dynamiker Daniil Düsentrieb Dubov („Düsentrieb“ stammt von mir). Zu (vermeintlichen oder unterstellten) Matchstrategien im KO-Format hatte Carlsen auch eine Meinung. Die kann er natürlich haben, das Mass aller Dinge ist er nicht unbedingt – zumal er relativ wenig Erfahrung in diesem Format hat. Ob man absichtlich oder aus Versehen Remis spielt, ausgekämpft oder nicht unbedingt – immer weiss man erst hinterher, ob das richtig oder falsch war (es sei denn, man verteidigt damit eine Führung im Match).
Nun zum bereits angedeuteten Match Nakamura-Dubov 2,5-1,5, also wieder mit Schnellschach. In der ersten Partie entkorkte Dubov mit Schwarz Tarrasch – die Reinform, nicht „Semi“. Das gilt heutzutage bereits als etwas dubios oder jedenfalls provokativ (sorry, Siegbert), seine Interpretation war erst recht ungewöhnlich. Aber er fuhr gut damit, konnte 26 Züge lang seiner Vorbereitung folgen (ab dem 20. Zug musste er es aber offenbar am Brett rekonstruieren) und erzielte ein problemloses Schwarzremis. Rochade ins Nichts gab es diesmal nicht, „nur“ zwei Doppel- und insgesamt sechs isolierte Bauern. Tags darauf dann Katalanisch-positionell – leichte Vorteile für Dubov, konkret wurde es nicht also Schnellschach.
In der ersten Schnellpartie hatte Dubov dann offenbar das Bedürfnis, dem von ihm bewunderten Carlsen Recht zu geben. Er spielte im Stil eines Carlsen-Gegners, tappte in eine leicht, aber nur leicht versteckte gegnerische Falle und verdaddelte dadurch eine Qualität. Danach verteidigte er sich zwar zäh, aber auf Dauer war es verloren. Im Gegensatz zu Duda in Runde 1 war Dubov dann nie nahe an Ausgleich und damit verlängerter Verlängerung. Eine Qualität hat er vielleicht nun eher geopfert als verdaddelt/eingestellt, Kompensation dennoch Fehlanzeige. In wohl technischer Gewinnstellung begnügte Nakamura sich dann mit Remis, das reichte ja.
Soweit alles in Ordnung für den einzigen (aktuellen) US-Weltklassespieler, der schon immer für die USA spielte (Shankland hat grosse Träume und eine grosse Klappe, Weltklasse ist er nicht). Dank 100% Tiebreaks in seinen Matches ….. .
Grischuk-So 2,5-1,5: Carlsen betrachtete Grischuk als recht klaren Favoriten – offenbar hat er wenig Respekt für Wesley So, der zeitweise als Carlsen-Kopie (Ähm äh ich mach nichts mach Du doch einen Fehler) recht erfolgreich war. Auch hier zunächst zweimal Remis mit klassischer Bedenkzeit – in der zweiten zeigte sich mal wieder, dass Sveshnikov-Hauptvarianten auf hohem Niveau eben remislich sind. Den Tiebreak dominierte Grischuk dann noch mehr als das Ergebnis verrät. In der ersten Partie zeigte sich, dass Sveshnikov durchaus giftig sein kann, wenn Weiß den typischen Aufmarsch am Königsflügel unterschätzt. Aber zum Schluss begnügte Grischuk sich mit einer Zugwiederholung, statt mit 27.-De7 e4-e3 vorzubereiten.
Das hätte er unter anderen Umständen vielleicht bereuen können, aber die zweite Schnellpartie lief wieder nach dem Motto „leicht besseres Endspiel = voller Punkt“. Sos 51.-c5? hat die Sache zumindest beschleunigt.
Wei Yi-Nepomniachtchi 1,5-2,5: Auch hier war in den beiden Remispartien mit klassischer Bedenkzeit nicht allzu viel los. In der ersten Schnellpartie machte Nepo es etwas spannend: die Najdorf-sizilianische Mutter aller Bauernraubvarianten gilt heutzutage als remislich, aber im Endspiel gab er unnötigerweise eine Figur für einige Bauern. Nun hatte Wei Yi im Prinzip Oberwasser, aber seine Technik reichte nicht aus – wenn man mit Sizilianisch gegen ihn verlieren will, muss man sich im Mittelspiel Matt setzen lassen (machen bevorzugt Spieler mit Elo klar unter 2700).
In der zweiten Schnellpartie machte Wei Yi dann in unorthodoxer Stellung einiges falsch und verlor glatt. Das war’s dann für den Chinesen, den aktuell wohl ohnehin niemand mehr als potentiellen WM-Kandidaten einstuft. Dafür hat China Ding Liren, der angesichts sehr guter Chancen für einen Eloplatz auf die GP-Serie verzichtete.
Svidler-Wojtaszek 0,5-1,5 – es geht also auch in der zweiten Runde ohne Tiebreaks! Man könnte sagen, dass auch Svidler für ein (vor)schnelles Weißremis bestraft wurde. Gerade hatte Carlsen Wojtaszeks 18.-Da7 als „grosse Konzession“ bezeichnet und das aktivere 18.-g5!? vorgeschlagen – als Kibitz kann man alles vorschlagen, ob der Erfinder des Ähm äh Schachs Carlsen selbst so gespielt hätte, wer weiss. Und schon bot Svidler mit 20.Lg3 auf vollem Brett Remis. Laut Engines war 18.-Da7 jedenfalls nicht total schlecht.
Und dann die zweite Partie, in der Svidler aus 1.d4 Sf6 2.c4 g6 3.f3!? quasi-Benoni machte – Kampf mit offenem Visier! Dann opferte er eine Qualität – Engines gefiel es nicht, für Menschen war es „unklar“ aber Weiß gewann danach. Carlsen hatte auch Svidler als klaren Favoriten bezeichnet, aber zuvor hatte er gegen Wojtaszek immer remis gespielt (Datenbasis drei Partien mit klassischer Bedenkzeit, Schnell- und Blitzschach Fehlanzeige und dabei bleibt es vorläufig).
Russland gegen den Rest der Welt endete also unentschieden, das war im Halbfinale nicht der Fall. Insgesamt wurden acht Partien gespielt, also wieder Entscheidungen im Schnellschach? Nein, Nakamuras Wünsche/Hoffnungen/Prognosen wurden nicht erfüllt:
Nakamura-Grischuk 0,5-1,5
In der ersten Partie opferte Grischuk mit Schwarz einen Bauern und hatte dafür mit Läuferpaar und überhaupt gute Kompensation. Dann bot er remis, und Nakamura war (wie immer!?) einverstanden. Laut Grischuk wäre es dabei „verrückt“ gewesen, das Remisangebot abzulehnen – schlechter stand Weiß auch nicht wirklich, aber dann müsste er ja auf Gewinn spielen und dabei Risikos eingehen. Nakamura-Fans kritisierten Grischuk und waren sich sicher, dass ihr Liebling im Schnellschach, eventuell auch Blitzschach das Finale erreichen würde.
Aber vor dem Endspiel kommt – so wollten es die Götter – das Mittelspiel, und vor dem Tiebreak kam noch eine Partie mit klassischer Bedenkzeit. Nakamura bestand auf „seinem“ 7.-b5 im Katalanen – so spielt er aktuell immer, andere versuchten es nur mal sporadisch. Grischuk war gut vorbereitet. Einmal wiederholte er und gab Nakamura damit Hoffnung auf sein geliebtes Schnellschach, aber dann wollte er doch weiterspielen und bekam Oberwasser, eine Abwicklung ins Leichtfigurenendspiel half Nakamura auch nicht mehr. Grischuk bezeichnete diese Partie später als eine seiner drei besten im Schachleben. Und Nakamura-Fans kritisierten ihren Liebling nun dafür, dass er tags zuvor Remis akzeptiert hatte.
Nepomniachtchi-Wojtaszek 3,5-2,5
Das ging also in die verlängerte Verlängerung, und Wojtaszeks Ausscheiden hatte sich eher nicht abgezeichnet. Beide Partien mit klassischer Bedenkzeit endeten remis. In der ersten Partie hatte Nepo zwar nach 26 Zügen gut 50 Minuten mehr auf der Uhr, aber vertraute seiner Stellung nicht mehr – objektiv war es ausgeglichen und dabei noch nicht „tot“. Also bot er remis, Wojtaszek war einverstanden. In der zweiten Partie wurden einige Figuren abgetauscht, das Remis nach 22 Zügen schien durchaus plausibel. Wie Grischuk zuvor im Turnier sagte: Remis ist besser als verlieren, und schlechter als gewinnen. Das beantwortet allerdings nicht die Gretchenfrage, ob das Glas eher halb voll oder eher halb leer ist.
Man war geneigt, diese Frage zugunsten des Schnell- und Blitzschachspezialisten Nepomniachtchi zu beantworten, aber anfangs lief der Tiebreak besser für Wojtaszek. In der ersten Schnellpartie misslang Nepo die Eröffnung, wohl eher aus der Not geboren wollte er eine Qualität geben – aber der Gegner sah irgendwelche Gespenster, grübelte 8 1/2 Minuten und nahm die Qualle dann nicht! Das Endspiel war danach immer noch besser für ihn, aber vielleicht objektiv nie gewinnträchtig – Remis. In der zweiten Schnellpartie ritt Nepo bei 26.Lxh6?! plötzlich der Gaul – hier war dieses Opfer nicht ganz korrekt. Schwarz konnte den weissen Angriff durchaus neutralisieren, aber war mit Dauerschach einverstanden. Nepo ebenfalls, also wieder remis.
Weiter ging es nun mit zehn Minuten plus zehn Sekunden Inkrement. In der ersten Partie hatte Wojtaszek ab dem frechen 18.Sxa7 einen Mehrbauern. Es dauerte 18 weitere Züge, bis der Gaul dieses Feld wieder verlassen konnte, und danach konnte Wojtaszek seinen Gegner „im Prinzip“ zumindest noch lange quälen. Aber schon drei Züge danach übersah er einen kleinen taktischen Trick, und nun war es sofort Remis. Dann das abrupte Ende des Matches. Diesmal war Wojtaszeks 18. Zug nicht frech sondern schlicht und ergreifend grottenschlecht – es war fast direkt aufgaberei, aber tapfer spielte er noch 10 Züge weiter.
Trotzdem war Wojtaszeks Glas insgesamt eher voll als leer – mit dem Turnier insgesamt konnte er sehr zufrieden sein.
Finale Grischuk-Nepomniachtchi 1,5-2,5
Um nun das Rätsel anfangs aufzulösen: Schon im Finale des ACP Cups 2013 trafen sie aufeinander, Austragungsort Riga. Damals gab es gar keine Partien mit klassischer Bedenkzeit, sondern Schnellschach, dann eventuell Blitz, dann wenn nötig Armageddon – nach turbulentem Matchverlauf gewann Grischuk ebendiesen. Ich hatte darüber anderswo berichtet und war von der Resonanz für Richter angenehm überrascht, vielleicht deshalb hatte ich es nun noch parat – wer wusste es sonst?
Zurück nach Moskau anno 2019. In der ersten Partie mit klassischer Bedenkzeit experimentierte Grischuk in der Eröffnung – nach seltenen aber nicht unbekannten Mustern. Letzte Vorgängerpartie war Fedorovsky-Wagner 1/2, Bundesliga 2013/14, ich kannte es aus einer Blitzpartie Fedorovsky-Richter 1-0, München 2019. Verloren habe ich wohl, weil der Gegner IM ist und ich nicht, eher nicht weil die Variante so toll ist für Weiß. Idee von Grünfeld-Abtausch mit Sf3 und Le2 ist, dass Weiß dann eine Qualität opfert, diese recht forciert zurück bekommt und dann wird es Remis. Jedenfalls wenn der Gegner es kennt – Nepo kannte es, Grischuk nicht unbedingt, ab dem 15. Zug verbrauchte er viel Bedenkzeit. Dann stand eher Schwarz einen Tick besser, aber es wurde remis. Die zweite Partie war auch eröffnungsmässig wenig ergiebig: 5.Te1 gegen die Berliner Mauer, also Remis – Nepo hatte wohl trotz langem Tiebreak im Halbfinale Lust auf noch mehr Schnellschach.
Tags darauf machte Nepo etwas zum ersten Mal im Schachleben: er spielte Russisch, und das funktionierte besser als der Duda-Drachen in der ersten Runde – Remis. 3.d3 von Grischuk war auch kein allzu kritischer Test ….. . Mit vertauschten Farben wieder 1.e4 e5 und nun Italienisch. 14.Sc4 war neu, üblich zuvor 14.Sf1 mit derselben Idee Springer eventuell nach f5, wobei er dann die Zwischenfelder e3 und g3 hat. Aber die Neuerung wirkte: zunächst verbrauchte Grischuk 6 1/2 Minuten für 6 1/2 Minuten für 14.-d5, was ihm im Nachhinein nicht gefiel. Engines sagen „geht schon“, nur musste er sich danach von seinem schwarzfeldrigen Läufer verabschieden – 16.-Lxe3 oder, da Nepo zunächst wiederholte, 18.-Lxe3. Das wollte er nicht sondern erlaubte 19.b5 Sa5 – Springer am Rand bringt Kummer und Schand!? So war es, da der Gaul fast bis Partieende da bleiben musste – Grischuk tauschte diverse Figuren ab und so wurde seine de fakto Mehrfigur immer relevanter. Zum (aus Nepo- und allgemeiner Sicht) hübschen Schluss hatte der Bauer auf c6, der den Sa5 dauerhaft aussperrte, noch eine andere Funktion: er ermöglichte die kleine Kombination 36.Dxe7+! (36.-Dxe7 37.Td7 Dxd7 38.cxd7 und 39.d8D). Dazu kam es nicht, da Grischuk aufgab.
Beide im anschliessenden Interview, ausnahmsweise steht der Verlierer rechts – wobei auch Grischuk mit seinem Turnier insgesamt durchaus zufrieden war.
Wie geht es weiter? Was die GP-Serie betrifft, Mitte Juli im lettischen Jurmala. Da ist das angedeutete Duell Mamedyarov-Giri möglich, nach derzeitigem Stand aber nur im Finale (Aronian, der auch Nachholbedarf hat, hat vielleicht etwas dagegen). Wenn GP-Punkte das Mass aller Dinge sind, ist Hamburg im November stärker besetzt – nicht obwohl sondern weil dann Giri, Mamedyarov, Aronian und Karjakin pausieren. Von den Spielern, die in Moskau punkten konnten, fehlt nur Wesley So. Zum Abschluss der Serie können die Spieler sich in Tel Aviv (10.-24. Dezember) selbst zu Weihnachten beschenken, oder Weihnachtsgeschenke vergeben.
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