Juli 28, 2024

Schach und Quantenphysik: Das Indische Schachproblem quantenmechanisch betrachtet (I)

 

„Man ist geneigt, es einen mentalen Akt zu nennen…“ Erwin Schrödinger 1935

Schach und Quantenphysik: Das Indische Schachproblem quantenmechanisch betrachtet (I)

„Wenn zwei getrennte Körper, die einzeln maximal bekannt sind, in eine Situation kommen, in der sie aufeinander einwirken, und sich wieder trennen, dann kommt regelmäßig das zustande, was ich eben Verschränkung unseres Wissens um die beiden Körper nannte“ (Erwin Schrödinger 1935/1996, S. 28).  

Das indische Problem erscheint geeignet, unabhängig vom ursprünglichen Problemschach, schnell und einfach aufzuzeigen – wenn man die drei Lösungszüge nachvollzieht -, was ich als Schachanalogie zur Entstehung (und Wirkung) von Quantenverschränkung vorschlage.

SCHACH ALS ANALOGIE:
Beispiel DAS INDISCHE SCHACHPROBLEM

Eine Schachkomposition: Matt in vier bzw. drei Zügen, die wegen einer neuartigen Idee des Erfinders viel Erstaunen und Bewunderung hervorrief.

„Der geniale Einfall des in Indien stationierten Rev. Mr. Loveday stand Pate zu einer neuen Richtung im Problemschach… bei seinem erstmaligen Erscheinen [Veröffentlichung ohne Lösungsangabe in mehreren europäischen Schachzeitschriften um 1845, R.M.] fand niemand die Lösung des Problems“ (Schubirz & Brinckmann 1968, S. 94-95). Ich beziehe mich auf den „Inder“, in der Version wie er als Matt in drei Zügen in Schubirz und Brinckmann (1968, S. 94-95 & 100) zu finden ist.

Wenn Sie die Lösungsidee noch nicht kennen, würde ich vorschlagen nicht zu viel Lebenszeit dafür zu opfern!

Die Problemstellung und die richtigen Lösungszüge sehen wie folgt aus:
Weiß: König b5, Turm d1, Läufer g2 und Läufer h6, Bauer f2 und Bauer g4.


Schwarz: König e4, Springer f3, Bauer b7 und Bauer e5.

Die Züge zum Matt: 1. Läufer h6-c1, dieser Zug ist schwer zu finden, weil er zunächst sinn- bzw. wirkungslos erscheint. Der erfolgreiche Problemlöser sieht den Zug Läufer h6-c1 schon gedanklich in Wechselwirkung (mental verschränkt) mit seinem nächsten Zug – nachdem Schwarz gezogen haben wird.


– Schwarz kann nur mit dem Bauern b7 ziehen, 1…b7-b6, der Springer ist gefesselt, der König hat kein Feld, auf dem er nicht im Schach stehen würde und kann momentan nicht ziehen.

 2. Turm d1-d2, der Turm verstellt dem eigenen Läufer auf c1 damit die Wirkung auf Feld f4. Dieser Zug macht nur Sinn, durch den vorhergehenden intuitiv sinnlos erscheinenden Zug Läufer auf c1. Meines Erachtens kann man dazu sagen: die beiden weißen Züge und Figuren wechselwirken miteinander und sind real/faktisch verschränkt.


– Jetzt kann und muss Schwarz den König nach f4 ziehen (sein einziger Zug) 2…e4-f4.

3. Turm d2-d4, öffnet die Wirkungsdiagonale für den Läufer auf c1 wieder und gleichzeitig bietet der Turm auf der 4. Reihe Schach, also doppeltes Schach und matt! 

Durch die beiden Züge des Turms wird jeweils die Wirkung des Läufers c1 verändert – wie es bei verschränkten Teilchen vorkommen kann.

 

 VERSCHRÄNKUNG AUF 64 FELDERN

Schachspielern muss man nicht erklären, dass dieses Spiel auf Wechselwirkungen von Schachsteinen beruht, die beim erfolgreichen Spielen harmonisch zusammenwirken (müssen).- Oder sind es vielmehr wechselwirkende Schachgedanken?

Wechselwirkungen und Kombinationen

Augenfällig wird dies besonders bei Kombinationen. Ein wesentliches Bestimmungsstück von Schachkombinationen ist eine „Zugfolge durch sinnvolles Zusammenwirken von Figuren“ (Kleines Lexikon Schach/Bönsch 1989, S. 51) die, wenn sie gut durchdacht ist, zwingend zum Vorteil des Kombinierers führt oder gleich zum Matt des Gegners (Mattkombination).

Quantenverschränkung mit Schach verständlich gemacht

Wer sich unsichtbare, komplizierte und kaum fassbare quantenmechanische Vorgänge vorstellen möchte, kann dies vielleicht anschaulicher mittels Schachfiguren und deren Wechselwirkungen. Teuere Apparate und Versuchsanordnungen, die sich nur Forschungseinrichtungen leisten können sowie das Know-how spezialisierter Forscher sind dazu nicht nötig.

Durch Züge werden die Schachsteine miteinander gedanklich (unsichtbar) und handelnd verbunden, dies kann m.E. als Verschränkung betrachtet werden. Potentiell erkennbar sind diese Verschränkungen an Hand taktischer Kombinationen bzw. durch Erläuterungen von Spielern/Experten.


 Verschränkung im modernen Quanteninformation-Ansatz / Quantensysteme als Träger von Information und Realität

Der moderne Quanteninformation-Ansatz (quantum information theory) betrachtet Quantensysteme als Träger von Informationen. Wobei wir wieder bei der Quantenverschränkung / entanglement sind: „At the heart of this field is the phenomenon of entanglement, where the information about the properties of a set of quantum particles becomes shared between all of them… One implication of quantum information experiments seems to be that information held in quantum particles lies at the root of reality“ (Brooks 2011, S. 32).

 

Ganzheitliches Zusammenwirken, aktive und passive Verschränkungskonstellation(en)


Im Indischen Problem findet verschränktes Systemgeschehen statt. Die beiden weißen Figuren und deren Züge wechselwirken miteinander oder quantenmechanisch formuliert: sie sind verschränkt. Die Verschränkung (der Figuren) beginnt im Kopf des Schachspielers bzw. Problemlösers.

Interessant ist, dass Nobelpreisträger Schrödinger nicht nur Teilchen oder Körper verschränkt sieht, sondern auch unser Wissen um die jeweilige Verbindung! (sehe oben).

Wenn ein Prolemlöser den scheinbar sinnlosen Zug Lc1 macht, dann hat er mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits den Zug Turm d2 im Sinn bzw. im Gehirn. Die beiden Züge sind dann mental, man kann auch sagen: kognitiv, verknüpft. Die angestrebte Wirkung (Mattsetzen im dritten Zug) hängt von der optimalen Verschränkung der zwei aktiven weißen Schachfiguren ab. Zunächst sind also die beiden ins Geschehen verwickelten, agierenden weißen Figuren, Läufer und Turm, sowie deren drei Züge verschränkt (Verschränkung erster Ordnung).

 

Bei genauer Betrachtung wird ersichtlich, dass die jeweils einzig möglichen Züge von Schwarz Bauernzug 1…b7-b6, 2…Zug des Königs e4-f4 von den weißen Zügen und der gesamten Stellung abhängig sind (Verschränkung zweiter Ordnung). Man beachte, dass die perfekte Problemlösung, das Mattsetzen in drei Zügen, nur möglich wird, unter der passiven Mit-Wirkung vierer Bauern, eines fesselnden Läufers (auf g2), sowie eines passiven (durch den Läufer gefesselten) Springers (passive Verschränkung). Würde z.B. der weisse Bauer auf f2 oder g4 fehlen, so hätte der Zug 1. Lh6-c1 keinen Sinn und ein Matt in drei Zügen wäre nicht möglich. 

Verschiedene aktive und passive Verschränkungen (z.B. Fesselung) können als Verschränkungskonstellationen in einem mehrfach verknüpften System verstanden werden. Will man Verknüpfungen der Problemlösung mit Schachregeln und Quantenprozessen im Gehirn bzw. in neuronalen Netzen des Spielers aufzeigen, ist es möglich von Verschränkungen höherer Ordnung zu sprechen.

Wird erweitert diskutiert…

Hinweise, Kritik und eigene Verschränkungspositionen sind willkommen!

Dr. Reinhard Munzert