November 30, 2024

Generation CHess: Wie der ukrainische Kriegsflüchtling Oleksii Musiienko in den Schachklub Olten kam

Und wie er sich als Taubstummer in der Schweiz zurechtfindet

Markus Angst Mit Oleksii Musiienko haben der Schachklub Olten und der Schweizerische Schachbund seit einem halben Jahr ein besonderes Neumitglied. Der 66-jährige Ukrainer ist Kriegsflüchtling und ebenso wie die mit ihm in die Schweiz gekommene Ehefrau Hanna taubstumm. Im

Oleksii Musiienko präsentiert stolz seine Silbermedaille, die er mit dem ukrainischen Team an der ICCD World Deaf Team Chess Championships (Mannschafts-Weltmeisterschaft der Hörbehinderten) in Warschau gewonnen hat.

September gewann er an der ICCD World Deaf Team Chess Championships (Mannschafts-Weltmeisterschaft der Hörbehinderten) in der polnischen Hauptstadt Warschau mit der Ukraine hinter Kroatien die Silbermedaille.

Wir unterhielten uns mit Oleksii Musiienko über seine Erfahrungen mit der WM in Warschau und fragten ihn, warum er dem Schachklub Olten beigetreten ist und wie er sich trotz seines Handicaps in der Schweiz zurechtfindet.

Wie zufrieden sind Sie mit dem Abschneiden der ukrainischen Gehörlosen-Nationalmannschaft an der ICCD World Deaf Team Chess Championships in Warschau?

Sehr zufrieden. Denn erstens waren wir nur die Nummer 5 der Startrangliste. Und zweitens war der Kampf um den 2. Platz äusserst hart, denn Polen und Deutschland lagen nur einen Mannschaftspunkt hinter uns.

Sind Sie mehr glücklich über die Silbermedaille mit der Ukraine oder etwas traurig, dass es nicht zu Gold gereicht hat?

Wir haben zu keinem Zeitpunkt Gold nachgetrauert, sondern uns über unsere erste Silbermedaille gefreut. Denn es war das beste Resultat für die Ukraine an der ICCD World Deaf Team Chess Championships, nachdem wir zuvor vier Mal Bronze gewonnen hatten.

Wie bewerten Sie Ihr Einzelresultat?

Auch in dieser Beziehung bin ich zufrieden. Zwar scheinen 2½ Punkte aus neun Partien auf den ersten Blick etwas mager. Doch auf Anweisung unseres Coachs spielte ich am ersten Brett, obwohl ich mit 1808 ELO der klar schwächste Spieler unserer Mannschaft war und meine Teamkollegen Tara Owtscharow (2006), Oleksii Filippskikh (1993) und Wolodimir Zabolotny (1966) ein deutlich höheres Rating aufwiesen. Neben einem Sieg gegen den Usbeken Sobirjon Saidow (1533 ELO) spielte ich dreimal Remis – darunter als mein wertvollstes Resultat gegen den Internationalen Meister Branko Vujakovic (2286) aus Kroatien.

Sie haben Ihre Teamkollegen angesprochen. Sind auch sie Kriegsflüchtlinge, oder leben sie noch in der Ukraine?

Wir sind alle vier Flüchtlinge und leben in der Schweiz und in Norwegen.

Wie verlief Ihre Reise von der Schweiz nach Warschau und wieder zurück in die Schweiz?

Absolut problemlos, ich flog von Zürich nach Warschau.

Mussten Sie die Reise nach Polen selber bezahlen?

Ja, die Kosten für das Flugticket musste ich selber übernehmen. Die Unterkunft und Verpflegung in Warschau bezahlte jedoch der ukrainische Sportverband.

Stichwort Ukraine: In welcher Stadt haben Sie vor Kriegsausbruch gelebt?

In der Hauptstadt Kiew, in der ich 1956 auch geboren wurde.

Wie schwierig war und ist es für Sie als Taubstummer, sich in der Schweiz zurechtzufinden?

Das geht eigentlich ganz gut. Meine ebenfalls taubstumme Frau und ich freuen uns insbesondere, dass wir den öffentlichen Verkehr gratis benützen dürfen. Das entlastet natürlich unser Budget. Klar ist die Kommunikation mit anderen Leuten manchmal etwas schwierig, da ich weder Deutsch noch Englisch verstehe. Doch mit dem Handy und Google Translate können wir von Ukrainisch auf Deutsch und umgekehrt kommunizieren.

Wie lange spielen Sie schon Schach?

Seit meinem 16. Lebensjahr.

In welchem ukrainischen Schachklub haben Sie gespielt?

Im Verein Kaschtan in Kiew.

Seit wann spielen Sie in der ukrainischen Hörbehinderten-Nationalmannschaft?

Seit 2016.                                                                        

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dem Schachklub Olten beizutreten?

Das Schöne am Schachsport ist ja, dass er weltweit ausgeübt werden kann und die Regeln überall die gleichen sind. Deshalb wollte ich nach meiner Ankunft in der Schweiz unbedingt auch wieder Schach spielen. Ich sah mich mit meinem Betreuer Peter Suter in der Region etwas um und fand das Turnierangebot des Schachklubs Olten attraktiv. Ich schaute dann an einem Klubabend vorbei und wusste sogleich: hier möchte ich spielen.

Wie gefällt es Ihnen im Schachklub Olten?

Bestens! Ich wurde herzlich aufgenommen und konnte gleich in alle Turniere einsteigen. Besonders gefreut hat mich, dass mir der Verein den Jahresbeitrag für 2022 erlassen hat.

Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus?

Es gefällt mir und meiner Frau in der Schweiz wirklich sehr gut. Aber wenn der Krieg vorbei ist, möchten wir wieder in die Ukraine zurückkehren.

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Ein Gespräch am Tisch, Telefon, Skype, WhatsApp, Mail – viele Wege führen heutzutage zu einem spannenden Interview. Beim ukrainischen Kriegsflüchtling Oleksii Musiienko war alles etwas anders. Er ist taubstumm und versteht weder Deutsch noch Englisch. Wir schickten ihm deshalb die via Google Translate von Deutsch auf Ukrainisch übersetzten Fragen. Er schrieb, da er keinen Computer besitzt, die Antworten von Hand auf Ukrainisch auf ein A4-Blatt. Seine in Reiden wohnhafte Nichte wiederum übersetzte den Text ebenfalls von Hand auf Deutsch und gab so den Startschuss für die Story.

Hier finden Sie die Resultate der Mannschafts- Weltmeisterschaft der Hörbehinderten in Warschau.