Liebe Schachwelt,
Beim Sinquefield Cup 2022 traf ich die beispiellose berufliche Entscheidung, mich nach meinem Spiel in Runde drei gegen Hans Niemann aus dem Turnier zurückzuziehen. Eine Woche später, während der Champions Chess Tour, gab ich gegen Hans Niemann auf, nachdem ich nur einen Zug gespielt hatte.
Ich weiß, dass meine Handlungen viele in der Schachgemeinschaft frustriert haben. Ich bin frustriert. Ich möchte Schach spielen. Ich möchte weiterhin Schach auf höchstem Niveau bei den besten Turnieren spielen.
Ich glaube, dass Betrug im Schach eine große Sache und eine existenzielle Bedrohung für das Spiel ist. Ich glaube auch, dass Schachorganisatoren und alle, die sich um die Heiligkeit des Spiels kümmern, das wir lieben, ernsthaft darüber nachdenken sollten, die Sicherheitsmaßnahmen und Methoden zur Betrugserkennung für Over-the-Board-Schach zu erhöhen.
Als Niemann in letzter Minute zum Sinquefield Cup 2022 eingeladen wurde, habe ich stark überlegt, mich vor der Veranstaltung zurückzuziehen. Ich habe mich letztendlich fürs Spielen entschieden.
Ich glaube, dass Niemann in letzter Zeit mehr betrogen hat, als er öffentlich zugegeben hat. Seine Fortschritte über dem Brett waren ungewöhnlich, und während unserer Partie beim Sinquefield Cup hatte ich den Eindruck, dass er in kritischen Stellungen nicht angespannt war oder sich nicht einmal voll auf das Spiel konzentrierte, während
er mich als Schwarz auf eine Weise überspielte, die ich glaube nur a Eine Handvoll Spieler können dies tun.
Dieses Spiel hat dazu beigetragen, meine Perspektive zu ändern. Wir müssen etwas gegen Betrug unternehmen, und ich für meinen Teil möchte nicht gegen Leute spielen, die in der Vergangenheit wiederholt geschummelt haben, weil ich nicht weiß, wozu sie in der Zukunft fähig sind.
Es gibt noch mehr, was ich sagen möchte. Leider bin ich zu diesem Zeitpunkt in dem, was ich sagen kann, ohne die ausdrückliche Erlaubnis von Niemann, offen zu sprechen, eingeschränkt. Bisher konnte ich nur mit meinen Taten sprechen, und diese Aktionen haben deutlich gemacht, dass ich nicht bereit bin, mit Niemann Schach zu spielen. Ich hoffe, dass die Wahrheit in dieser Angelegenheit ans Licht kommt, was auch immer sie sein mag.
Mit freundlichen Grüßen
Magnus Carlsen – Schachweltmeister
Dirk Paulsen auf Facebook:
Ich gehe gerne noch weiter auf das Cheating ein und springe sozusagen auf den fahrenden Zug auf. Das Thema ist hochaktuell — und das „normalerweise“ nicht von mir bevorzugt. Aus gutem Grund. In diesem Falle mache ich nicht die erste Ausnahme. Aber diese natürlich aus (vermeintlich) ebenfalls gutem Grund: viele der von mir genannten Aspekte werden nicht genannt. Falls Erkenntnisse dazu, dann sogar in die entgegengesetzte Richtung.
Hier nun eine Aussage von mir, die gewissen Standardaussagen entgegensteht: der aktuelle Cheating-Skandal SCHADET dem Schach nicht, nein, im Gegenteil, er TUT DEM SCHACH GUT.
Ist nun Widerspruch zu erwarten? Vermutlich. Nur ist meine eigene Beobachtung schon lange so ausgerichtet und vielfach wiederholt auch bestätigt. Natürlich mit dem benötigten guten Willen.
Vergleichbar mit Formel 1 Rennen oder Boxveranstaltungen: auch hier gilt für mich schon lange, dass viele der Streitigkeiten, die oft erhebliche Ausmaße annehmen, von den Beteiligten vorsätzlich lanciert werden. Das heißt: man spricht sich ab, mit welchem „Skandal“ man nun wieder und weiterhin Interessenten für die Sportart gewinnt. Ob Boxen oder Formel 1: es scheint hier und da zu funktionieren.
Es wäre nun nur naheliegend, eine derartige Überlegung auch auf den Schachsport bezogen anzustellen: es wird eine Kontroverse in die Welt gesetzt, von derartig großem Ausmaß, und im Grunde geschieht sie in Form einer Absprache? „Komm, wir machen Schach richtig groß. Dazu muss ein Skandal her. Was meinst du?“ „Ok, einverstanden, ich hätte sogar schon eine Idee.“
Nun ja, höchst spekulativ und eigentlich absurd, zugegeben.
Ich erinnere mich nur, dass ich 1972 zum Schach gefunden habe. Damals spielte bekanntlich Bobby Fischer gegen Boris Spassky um den Weltmeistertitel in einer Art „Echzeit-James-Bond“. Bin ich demnach ein „gebranntes Kind“? Jedenfalls hat es eine Vielzahl von Spielern zum Schach geführt. Ob beabsichtigt oder nicht.
Gerry Hertneck auf Facebook:
Die Erklärung war natürlich überfällig. Aber es bleibt immer noch die Frage nach dem „Wie“ offen! Wie kann ein Spieler der vor der Partie auf elektronische Hilfsmittel überprüft wird, in der laufenden Partie betrügen?
Bernd Schneider auf Facebook:
Das war sie jetzt? Die lange angekündigte Erklärung von Carlsen? Er hat mich in einer Turnierpartie geschlagen, dies vermögen jedoch nur wenige Menschen auf dieser Erde. Das ist der Beweis: Er hat während der Partie nicht angestrengt geschaut. Ansonsten Politikergewäsch ohne Inhalt. Zum Schluß wurde dem Gegner dann noch der schwarze Peter zugeschoben. „Ich könnte alles aufklären, brauche dafür aber die Zustimmung des Betrügers“. Toll.
Tina Ohler schreibt auf Facebook:
Es ist für den Laien schon erstaunlich, dass Magnus Carlsen so schlecht geredet wird, seinem Urteil so wenige zu vertrauen scheinen und auch dem anderer Super GM wie Caruana, Nakamura, Nepomniachtchi etc.
Kein Wunder, dass normalen Spielern überhaupt nicht geglaubt wird, die Cheating anzeigen.
Das Signal, das bei Betrügern ankommt, ist also ‚Betrüge schlau, beteuere deine Unschuld und online Betrug kannst du ruhig zugeben, vor allem wenn du unter 20 bist, das verzeiht man ganz offiziell.‘
WOW. Wenn man selbst dem besten Spieler der Welt nicht glaubt, dann ist Turnierschach bald tot, denn viele werden jetzt mehr riskieren.
Allerdings glaube ich immer noch, dass die Geschichte sich aufklärt.
Fest steht, bei wahrscheinlich 99% der Turniere weltweit ist es gar kein Problem zu betrügen, wenn man möchte. Und es passiert nichts. Ich habe selber schon 2018 in Bayern zufällig während eines Opens einen Betrug gesehen (per Handy, draußen, vor aller Augen, danach wieder ans Brett), gemeldet und es ist nichts passiert (nein, kein Gegner meines Sohnes, ich kannte keine Partei). Nichts. Mein Eindruck: man möchte keinen Ärger, den Ablauf nicht stören, keine Unruhe ins Turnier bringen, immer schön alles unter den Teppich kehren.
Genau wie bei den vielen Cheating Fällen in DSOL und Schulschachturnieren, online Meisterschaften, alles unter den Teppich gekehrt. Sind ja nur Kinder.
Grauenvoll, fair play ist im Schach eine hohle Phrase, cheater werden belohnt, ehrliche Spieler gelten eher als neidisch oder als schlechte Verlierer. Es passiert nur etwas, wenn es die berühmten Toilettenfotos gibt, Handys in der Hosentasche sind vollkommen normal für die Mehrheit der Spieler. ‚Ist ja aus‘. Manchmal kann ich nur mit dem Kopf schütteln angesichts der Naivität der meisten Menschen.
Auch wenn sicherlich die allermeisten Spieler ehrlich sind, die wenigen Betrüger richten immensen psychologischen und monetären Schaden an.
Als Magnus Carlsen hätte ich auch keine Lust mehr.