Noch vor wenigen Jahren lockte ein Schnellschach- oder Blitzturnier nicht selten zwischen 150 und 200 Teilnehmer an. Ganze Schachkarawanen zogen Woche für Woche von Turnier zu Turnier. Man kannte sich, oder man lernte sich kennen. Der Reiz, seinen Gegner leiden und in die Augen zu sehen war groß und das war sicher auch einer der Gründe, warum diese Turniere so erfolgreich waren. Doch dann begann der Siegeszug im Onlineschach.
Jetzt konnte man Zuhause spielen. Nicht nur am Wochenende, sondern täglich. Zu jeder Zeit! Das man seinen Gegner nicht sieht, hat ja auch gewisse Vorteile. Man kann des Gegners Züge laut kritisieren, sich lustig über ihn machen und seinen menschlichen Bedürfnissen nachgehen. Dazu eine Flasche Bier in der Hand.
Sieht ja keiner. Auch gegen das Rauchen hat kein Schiedsrichter etwas einzuwenden. Man kann auch seinen Gegner beschimpfen, ohne Sorge, dass es zu Handgreiflichkeiten kommt.
Heute werden täglich ein, oder gar mehrere Turniere, auf den Schachservern angeboten. Ohne Startgeld und ohne Fahrtkosten. Kleine Preise sind ausgesetzt. Aber das hat ja den Durchschnittschachspieler ohnehin nie interessiert.
Es wird sicher durch das Onlinespielen viel mehr Schach gespielt. Auch kann man nicht bestreiten, dass die Spielstärke durch das viele Spielen gesteigert wird. Doch im zwischenmenschlichen Bereich werden Defizite aufgebaut. Das Familienleben leidet, weil das dauernde Spielen im Internet zur Sucht wird und für andere sinnvolle Dinge, wie z. B. Bewegung, keine Zeit mehr da ist.
Man kann die Entwicklung nicht aufhalten. Die Vereine müssen nach neuen Wegen suchen und das Spielen im Verein und bei Turnieren attraktiver machen. Die Konkurrenz ist nicht der Nachbarverein, sondern das Spielen im Internet.
Text: Franz Jittenmeier
Kommentare auf Facebook:
Dieter Migl
Es ist halt bequem im Internet zu spielen. Aber es ist eine andere Disziplin.
Patrick Bensch
Auch in meinem Club hat das Vereinsleben durch das Schachspielen im Netz sehr gelitten. Am Vereinsabend trifft man oft nur wenige Schachfreunde an. Mir selber ist lieber, gegen einen Gegner zu spielen, der mir gegenübersitzt, weil dabei mehr sozialer A… Mehr anzeigen
Dirk Paulsen
Zunächst mal finde ich, dass wir (Schachspieler) uns freuen sollten, dass es dieses riesige und ständig wachsende Interesse am Schach gibt. Das werte ich auf jeden Fall positiv. Dann sollte man dringend berücksichtigen, dass die Zeiten des Lockdown die Tendenz erheblich unterstützt haben. Dies gilt allerdings sowohl für das (im Artikel von Franz Jittenmeier leicht angezweifelte, angeprangerte) online-Spiel als auch die genannte Tendenz des vermehrten Interesse am Spiel überhaupt. Heißt: alteingesessene Schachspieler konnten kaum anders, Neueinsteiger fanden immerhin überhaupt eine Beschäftigung und den Zugang zum Schach.
Nun müsste man erstmal abwarten, wie es sich weiter entwickelt, wenn es wieder ohne Corona-Maßnahmen weitergeht und wir wieder die Schachclubs und Turniere besuchen KÖNNEN. Wer wird welches Angebot in Anspruch nehmen? Hier erneut differenziert zwischen den neu hinzugewonnenen Schachspielern und den Alteingesessenen. WER wird WIE reagieren? Übrigens finde ich in dem Zusammenhang bemerkenswert — aber sicher auch schon vielfach besprochen und angemerkt –, dass die Eskalation Russland-Ukraine (die Wortwahl ist nicht leicht und hier keineswegs optimiert und bemühte Neutralität ohne direkte Positionierung auch fast schon „politisch“ zu werten, natürlich gegen den Anwender derselben) quasi „en Passant“ die Pandemie beendet hat. Oder hat sie?
Für mich persönlich sieht es so aus: ich spiele selten online und schon gar keine Turniere (wobei es selbst hier eine Ausnahme gibt; beim twitch-Streamer, dem Schachopa, spiele ich gelegentlich nachts mit, sozusagen unter „Bekannten“, mit sechs, sieben Teilnehmern). Es macht mir wenig Spaß, gegen mir Unbekannte zu spielen, zu denen sich auch nie mehr ein Verhältnis ergibt (das war früher, in den späten 90ern, noch etwas anders, als sowohl ich als auch meine Gegner vielleicht danach suchten und man diesen oder jenen durch ein paar Partien kennenlernte und sich auch sonst mal austauschte). Ich spiele fast immer nur eine einzige schnelle Partie gegen Mr.X, kenne ihn nicht und möchte ihn auch gar nicht kennenlernen. Man verhält sich im Grunde „feindschaftlich“ und möchte eigentlich nur schnell gewinnen und ein paar Rating-Punkte ergattern (wem geht es da anders?). All dies ist „over-the-board“ nicht so. Jedenfalls nicht bei mir. Ich möchte eher mit dem Gegner analysieren nach der Partie, versuche dabei, nicht nur objektiv zu sein, sondern auch ihn zu loben oder anzuerkennen, fast schon eine Art Freundschaft oder Bekanntschaft anbahnend, wie es sich dann auch oft ergibt (man grüßt sich zumindest, hat aber auf jeden Fall einen Bezugspunkt, so wie es eigentlich wünschenswert ist). Auf diese Zeit freue ich mich, wenn es wieder (uneingeschränkt) möglich ist. Und erst das „zählt“ dann wieder richtig, unabhängig von Rating-Entwicklungen.