Juli 18, 2024

Nicht nur Remisen beim Gashimov Memorial

Aus redaktionsinternen Gründen hatte der Schachticker nur über die beiden Remisrunden in Shamkir berichtet, aber in Runde zwei, drei und fünf gab es durchaus Partien mit Sieger und Verlierer. Wer Schach ein Remisproblem unterstellt hat ja mehrere Möglichkeiten: Man kann statt Superturnieren Opens verfolgen, aktuell z.B. das Dubai Open – da gibt es immer entschiedene Partien. Man kann sich auf Schnell- und Blitzschach konzentrieren – das geht schneller und da wird mehr gepatzt.

Man kann sich eventuell auch die Partien anschauen statt nur die Ergebnisse. Es gibt diverse Gründe warum eine Partie remis endet: alle Ressourcen sind erschöpft, oder – das gab es mehrfach in Shamkir – beide denken, dass eine Zugwiederholung für sie am besten ist (muss objektiv nicht stimmen, Menschen denken subjektiv), oder auch – aber das ist nur eine Möglichkeit – beide sind von Anfang an friedfertig.

Wenn Shamkir Chess bei der Auswahl der Teilnehmer Fehler machte, dann bei drei recht remislichen Spielern. Radjabov ist eben Lokalmatador und passt nach Elo zum Rest, meine beiden anderen Namen überraschen das Publikum vielleicht: Topalov ist nicht mehr der Spieler der er mal war, sondern – wenn er überhaupt noch Schach spielt – eher ambitionslos. Aber er war eben Teil der SOCAR-Startruppe, also darf er in Shamkir mitspielen. Carlsen spielt bevorzugt nach dem Motto „Ähm äh ich mach nichts mach Du doch einen Fehler“ – wenn der Gegner dann keinen (groben) Fehler macht wird es halt remis. Diese Spielweise reichte für die Tabellenführung. Mitspielen darf er, weil er eben eine Elozahl hat (die anderen natürlich auch) und eine Lobby.

Alle Fotos stammen von der Turnierseite – das Titelbild gebe ich nicht dem pragmatisch-effizienten Norweger, sondern dem Spieler, der bisher am seltensten remis spielte und wenn es passierte kann man ihm keine Absicht unterstellen. Vishy Anand hatte bisher ein turbulentes und insgesamt erfolgreiches Turnier. Ob sie Kramnik auch einladen wollten weiss ich nicht – aber er will ja nicht mehr und sein alter Kumpel aus Chennai/Madras übernimmt nun vielleicht die Rolle von Big Vlad. In Russland macht das Vlad Artemiev, aber der bekam noch keine Superturnier-Einladungen.

Einen hat Shamkir Chess auch diesmal ignoriert, und das obwohl er die Remisquote wohl so oder vielleicht auch so senken würde und obwohl ein genannter Grund für seinen alphabetisch kleinen Schritt von Baden-Baden nach Baku war „so kann ich mehr Superturniere spielen“. Seither findet Dortmund ohne Arkadij Naiditsch statt, beim Gashimov Memorial hat er diesmal immerhin eine andere Rolle und kommentiert. Das war aber anscheinend Zufall – nur weil enfant terrible Ljubojevic Probleme bei der Anreise hatte. So wichtig dass er auch mal fotografiert wird ist es den Organisatoren offenbar nicht, auch bei den Pressekonferenzen ist er nicht dabei.

Nach dieser recht langen Vorrede nun der Stand nach fünf von neun Runden: Carlsen 3.5/5, Anand und Karjakin 3, Ding Liren, Navara, Grischuk, Radjabov 2.5, Mamedyarov und Topalov 2, Giri 1.5. Perfekt im Sinne von fünf Remisen ist nur Radjabov, Giri schaffte das nicht. Und nun erst einmal Bilder:

Die Bühne am Tag der Eröffnungsfeier noch ziemlich leer. Die Flaggen links deuten an, wer sich später an die noch nicht aufgebauten Tische setzen würde – dabei auf diesem Foto unvollständig: die zehn Spieler kommen aus acht Ländern, nur Aserbaidschan und Russland ist doppelt vertreten. Vugar Gashimov ist quasi dabei, SOCAR ist auch dabei – zwar nicht mehr als Sponsor einer Gelegenheits-Mannschaft beim Europacup, aber dieses Superturnier ermöglichen sie weiterhin.

Da die Spieler nicht allzu bunt gekleidet sind standen auch einheitlich bunte Damen auf der Bühne, die später eine wichtige Rolle hatten, aber erst nochmals die Spieler:

Anand und Karjakin mit Mut zu grau, Topalov mit farblich etwa zu den Damen passender Krawatte.

Anand (und auch die anderen Spieler) musste sich dann entscheiden, welche der Damen ihm am besten gefällt – alle haben Lippenstift aufgetragen, aber nur eine lächelt.

Giri entschied sich, ohne es zuvor zu wissen, für die Nummer 1. Das bedeutet zweimal Weiß zu Turnierbeginn, davon konnte er dann jedoch nicht profitieren. Wie Remispartien zustande kommen können, habe ich bereits angedeutet – Siege entstanden mitunter auch aus schlechten bis verlorenen Stellungen, und das obwohl Valentina Gunina gar nicht mitspielt. Aber da bin ich bereits bei Runde 2, und davor kommt

Runde 1:

Hier zu sehen, dass auf der Bühne inzwischen Schachtische stehen, dass acht Länder im Turnier vertreten sind und auch, dass fast alle sich für 1.e4 e5 entschieden. Nur David Navara ist Individualist, spielte Najdorf-Sizilianisch und wurde von Anands 6.Ld3!? überrascht (oben links auf dem Monitor). Zu dieser Partie komme ich noch, erst zwei andere Spieler vor Partiebeginn:

Carlsen harrt der Dinge, die da kommen sollten. Andere lächeln auch mal für Fotografen oder Fotografinnen, seine Spezialität ist eben betont gelangweilt dreinblicken.

Grischuk denkt „das kann ich auch“, unrasiert ebenfalls – bei ihm üblich, bei Carlsen je nach Lust und Laune (seiner PR-Berater?). Grischuk steuerte dann mit der Schlafwagen-Variante 5.Te1 gegen Mamedyarovs Berliner sein Schiff sicher in den Remishafen – das war aber die einzige Remispartie ohne besondere Aufregungen.

Anand-Navara 1-0 1/2 war das andere Extrem. An fast einer halben Stunde für 6.-g6 und 7.-Lg7 (nach dem bereits erwähnten 6.Ld3) lag es nicht, dass Navara in einer sehr schlechten bis verlorenen Stellung landete. Aber Anand übersah gleich zweimal tschechisches DTT (Desperado Turmtrick) – das erste Mal reduzierte es seinen Vorteil, der dann wieder anwuchs, das zweite Mal forcierte es Dauerschach – also Remis.

Zu den anderen Remispartien nur soviel: Zwei Partien endeten mit Zugwiederholung auf noch relativ vollem Brett: bei Giri-Topalov war es (auch für Engines) erzwungen, bei Karjakin-Ding Liren war die Zugwiederholung nicht alternativlos aber beide waren eben damit einverstanden. Bei Radjabov-Carlsen stand Schwarz zwischendurch verdächtig, aber die Schlusstellung mit beiderseits Turm und zwei Bauern war offensichtlich remis.

Nach Remispartien (oder gar Niederlagen) ignoriert Carlsen mitunter Autogrammwünsche, heute war er dazu bereit.

Wie auch Lokalmatador Mamedyarov älteren Fans gegenüber,

mit Damen gab es auch ein Selfie.

Da Grischuk auf dem letzten Foto nur eine Nebenrolle hatte, zeige ich ihn nochmal mit ganzer Bartpracht auf der Pressekonferenz.

Runde 2 hatte drei Sieger und drei Verlierer, dabei passte nur Ding Liren-Grischuk zum allgemeinen Partieverlauf (auch wenn es insgesamt 77 Züge dauerte). Aber ich beginne wieder vor der Runde:

EdA – Einmarsch der Anzugsträger

Hier war Giris Welt noch in Ordnung, zwischenzeitlich dann gar mehr als in Ordnung – aber er verdarb eine überwältigende Angriffsstellung noch komplett, Giri-Karjakin 0-1 statt 1-0.

Bei Carlsen-Anand waren anfangs noch andere beteiligt, dann waren sie auf sich alleine gestellt. Carlsen erreichte mit Weiß gar nichts, dann machte Anand Fehler und der Norweger gewann – so ähnlich verlief auch die Partie derselben Spieler dieses Jahr in Wijk aan Zee.

Bei der Pressekonferenz war Anand anfangs mit dabei und durfte dann auf eigenen Wunsch gehen. In Shamkir müssen auch Verlierer Rede und Antwort geben, bei anderen Superturnieren nicht immer.

Bei Giri und Karjakin gab es offenbar eine komplett gemeinsame Pressekonferenz.

Und auch bei Mamedyarov und Radjabov, deren Partie erwartungsgemäss geräuschlos Remis endete. Derlei Remisen gab es, aber nicht alle Remisen waren gehaltlos.

Auch Topalov hat Fans und erfüllt Autogrammwünsche. Zuvor versuchte er gegen Navara gar auf Gewinn zu spielen – nicht unberechtigt aber es wurde remis.

Runde 3 – wieder erst Fotos vor der Runde:

Navara gut gelaunt

Carlsen, nun ja – dabei stimmt doch alles, Frisur, Sponsorenlogos und isklar-Wasserflasche. Und auch der Gegner war dann lieb zu ihm.

Navara-Carlsen 0-1, weil Weiß früh in der Partie eine Qualität verdaddelte.

Anand-Mamedyarov 1-0 dagegen auf dem Umweg über eine ziemlich verlorene Stellung. Dann übersah Shak innerhalb weniger Züge gleich zweimal eine Springergabel, die erste nach klassischen Mustern: 38.Dh8+! (ein Ausrufezeichen reicht da wohlbekannt) 38.-Kxh8 39.Sxf7+ und 40.SxDd6. Und schon war die Partie komplett gekippt. Insgesamt hatte Anand nun ein zu seinen Partien passendes Ergebnis: in den ersten beiden Runden war jeweils ein halber Punkt mehr plausibel, nun ein ganzer Punkt weniger.

Grischuk-Giri 1/2 war das nächste Beispiel für eine Zugwiederholung auf recht vollem Brett. Grischuk hatte mit 10.g4 (hier neu und offenbar vorbereitet) randaliert, Ergebnis dann Dauerschach ab dem 17. Zug.

Karjakin-Topalov 1/2 war, trotz farbiger bulgarischer Garderobe, das nächste Beispiel für eine Zugwiederholung auf recht vollem Brett.

Radjabov-Ding Liren 1/2 war dagegen formal voll ausgekämpft, nur noch die beiden Könige auf dem Brett. Dabei haben sie ein Marshall-Endspiel ziemlich heruntergeblitzt und hatten nach dem 43. Zug mehr Bedenkzeit als vor dem ersten. Letzte Vorgängerpartie war zwischen Spielern mit Elo unter 2700: Nakamura(2613)-Aronian(2684), Gibraltar 2005 – Radjabovs Neuerung im 31. Zug war recht irrelevant.

In Runde 4 wie bereits auf dem Schachticker erwähnt wieder alles remis

Topalov vor der Runde cool, rechts von ihm wohl Silvio Danailov. Auf die Sonnenbrille hat er dann drinnen verzichtet, er ist ja nicht Nakamura oder So. Auf Ambitionen in der Partie verzichtete er auch.

Er und Carlsen spielten beide in Weiß, der Bulgare bekam die dazu passenden Figuren und es wurde remis. Mehrfach hatte Topalov zuvor Partien gegen Carlsen brav vergeigt, heute mal nicht. Allgemein wurde es als kurios bezeichnet, dass sie am Ende fast dieselbe Schlusstellung hatten wie Karjakin und Grischuk – zweimal am selben Tag und Ort ist ungewöhnlich, aber im Jahr gibt es das vielleicht 20-mal: Turm und drei Bauern gegen Turm und drei Bauern am Königsflügel ist wahrlich keine ungewöhnliche Materialverteilung.

Mamedyarov und Navara hatten am Ende die ebenfalls nicht ungewöhnliche Materialverteilung König gegen König, zuvor hatte der Tscheche tief im Turmendspiel den Sieg verpasst. Das war allerdings ein Moment in der Partie – Mamedyarov hatte einmal daneben gegriffen und wurde nicht bestraft, insgesamt war das Turmendspiel wohl trotz Mehrbauer für Schwarz (Navara) remis.

Ding Liren-Anand war das nächste Beispiel für Zugwiederholung auf relativ vollem Brett. Wenn Anand das Computerurteil gekannt hätte hätte er wohl weitergespielt, aber er kannte es eben nicht. Bis zum Sieg wäre es dabei zumindest noch ein sehr weiter Weg gewesen.

Nochmals ein paar Fotos:

Mamedyarov, weil er Titelverteidiger und Lokalmatador ist

Karjakin für seine Bartversuche

Giri gibt auch draussen Autogramme (Schnurrbart hat er sich offenbar wieder abgewöhnt).

Runde 5 wieder mit drei Siegen.

Carlsen-Mamedyarov 1/2 gehört nicht dazu – zwar erinnerte mich ihre Partie an das Duell zuvor in Wijk aan Zee, aber diesmal hat der Azeri nicht gepatzt oder absurde Gewinnversuche unternommen die direkt zum Partieverlust führten. Radjabv-Karjakin gehört auch nicht dazu, Radjabov spielt nun einmal immer Remis.

Anand-Giri 1-0 – diesmal kann man nicht sagen, dass Anand mehr bekam als er „verdiente“. Eine anti-Berliner Stellung war zunächst unklar, wobei Vishy meinte „für Schwarz leichter zu spielen“. Aber dann hat er sie besser behandelt als der Gegner und war selbst überrascht, wie gut er „plötzlich“ stand.

Navara-Ding Liren 1-0 – soso, der Chinese ist nicht unschlagbar und der Tscheche kann auch auf diesem Niveau gewinnen. Es war ein Meraner – wohlbekannt aber auf hohem Niveau zuletzt aus der Mode gekommen, abgesehen von einer Blitzpartie Mamedyarov-Ponomariov anno 2016 zuletzt im WM-Match Kramnik-Anand 2008. Später war Navaras Turm besser als Ding Lirens Läufer und Springer: die Leichtfiguren waren gar nicht koordiniert, der Springer irrte auf dem Brett herum und ging am Ende verloren. Unbedingt nötig war es wohl nicht, aber Ding Liren konnte auch mit recht komfortabler Bedenkzeit seinen Laden nicht zusammenhalten.

Grischuk-Topalov 1-0 war vom Partieverlauf her logisch aber nicht unbedingt offensichtlich. Weiß hatte Läuferpaar gegen Springerpaar und stand offensichtlich besser, reicht es für den vollen Punkt? Am Ende lautete die Antwort „ja“.

Wie geht es weiter? Die sechste Runde in Shamkir läuft bereits, wenn auch ohne GM-Kommentar: Naiditsch spielt Bundesliga für Baden-Baden gegen Solingen, Shamkir musste also wieder improvisieren und bietet nun noch mehr Elopunkte: ein Trio Jeroen van den Berg, Sarkhan Gashimov und Silvio Danailov. In der Bundesliga fehlen bei Baden-Baden Anand (Shamkir) und Gustafsson (jährlicher Thailand-Schachurlaub) und bei Solingen Giri (ebenfalls Shamkir, aber er fehlte diese Saison immer). Loek van Wely spielt dagegen für Solingen, offenbar gibt es in den Niederlanden am Wochenende keine Politik: Loek schrieb mir auf Anfrage, dass er seinen Abgeordneten-Sitz für Forum für Demokratie akzeptiert. Wer oder was ist Forum für Demokratie? Dazu schreibe ich mal nichts bzw. nur, dass ich seine politischen Ansichten nicht teile. Es ist ja auch nicht Thema dieses Beitrags.