An vielen Schulen ruht Schach seit März 2020. Der Münchner Schachlehrer Helge Frowein* war beschäftigter denn je. Nun will er seine Kollegen mobilisieren.
* Helge Frowein ist Schachlehrer in München und Leiter des Arbeitskreis Schulschach der DSJ.
Viele Schachlehrer wurden im März 2020 inaktiv, viele Schulschachprogramme sind seitdem unterbrochen. Ich habe das so oft gehört, und es entsetzt mich jedes Mal, weil ich befürchte, dass einige von ihnen nie zurückkommen werden. Meine eigene Erfahrung während der Pandemie ist genau das Gegenteil. Ich habe mehr denn je unterrichtet.
Ein Schulschachprojekt, in dem ich arbeite, wurde von der Schachabteilung des FC Bayern München am 1. März 2020 im Rahmen der „Sport-nach-1-Initiative“ der Stadt München gestartet. Zwei Wochen später schlossen alle Schulen ihre Pforten. Wir haben dann eine Woche gebraucht, um unser Programm online über Zoom und Lichess bereitzustellen. Speziell die Erst- und Zweitklässler brauchten viel Hilfe mit den technische Gegebenheiten. Die größte Herausforderung bestand darin, die Eltern mit den technischen Anforderungen vertraut zu machen.
Wir richteten zwei wöchentliche Turniere ein, um den Schülern aus allen Gruppen einen Anlaufpunkt zu geben, das Erlernte auch in der Praxis anzuwenden. Alle Übungen aus unseren von Roman Vidonyak erstellten Arbeitsbüchern übertrugen wir in Lichess-Studien, die interaktiv lösbar sind. Den Eltern schickten wir regelmäßig E-Mails mit den Hausaufgaben, Turnierankündigungen und über die Fortschritte ihrer Kinder. Das Feedback der Eltern war überwältigend dankbar. Wir hörten oft, dass der Schachunterricht in der ganzen Zeit das einzige gewesen sei, was zuverlässig funktioniert hätte, ein echter Ankerpunkt für die Kinder im Wochenplan. Der FC Bayern hat aufgrund seiner Schach-AGs einen Mitgliederzuwachs, der viele Kollegen im Bezirk mit offenem Mund staunen ließ.
Wie kann es sein, dass ein neu gestartetes Projekt mit der unerwarteten neuen Situation zurechtkam, obwohl alle Planungen über den Haufen geworfen wurden? Warum waren so viele andere Schulschach-Projekte nicht in der Lage, sich auf die neue Situation einzustellen? Natürlich dachten viele, es ginge alles schnell vorbei. Ein Vereinsvorsitzender, bei dem ich nach zwei Wochen Lockdown nachfragte, wann wir etwas unternehmen, um online zu kommen, beschuldigte mich des „Lagerkollers“. An die alte Weisheit, dass eine Krise auch eine Chance sei, haben viele im Schulschachbereich nicht gedacht.
Im Schuljahr 2020/21 begann ich, für eine Schule in Erding Schach zu unterrichten. Normalerweise wäre mir der Weg dorthin zu weit gewesen, aber da es von Anfang an online war, klappte es gut. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Schule bereits ihr eigenes Videokonferenzsystem, und ich musste nur noch Lichess integrieren.
Schulen können eine Menge Vorgaben und Einschränkungen an den Online-Unterricht stellen. Sie haben Bedenken wegen Datenschutz, Kindersicherheit und kommerzieller Angebote. Verwende nie das Wort Problem, wenn du mit einer Schule sprichst! Zeig Lösungen! Denk nicht an all die zusätzliche Zeit, die du brauchst, um den Eltern technische Einzelheiten zu erklären! Tu es einfach!
Die Entscheidung für Lichess war einfach, weil es kostenlos ist. Der Zugang zu den online gespielten Partien der Schüler hilft ungemein. So kann ich ihre Fortschritte sehen und aus ihnen Lernmaterial herausholen. Es gibt auch jede Menge bereits vorhandenes Lehrmaterial. Sachen wie Mattsetzen mit der Dame kann man auf Lichess sogar schneller üben als auf Brettern. Das Spielen, oder wenn man ein erstes Übungsturnier macht, kann mit weniger als zehn Kindern in der Schach-AG schon zäh werden. Dann kann es sinnvoll sein, sich mit anderen Gruppen zu koordinieren, die zur gleichen Zeit unterrichtet werden. Oder die Spielzeiten zweier aufeinander folgender Gruppen überlappen zu lassen. Außerdem gibt es wöchentlich zwei von der DSJ organisierte Lichess-Turniere eigens für Grundschulkinder. Kahoot-Schach-Quizspiele sind auch eine schöne Ergänzung.
Es gibt jetzt eine Generation von Kindern, die Schach nur online kennt. Sie sind es nicht gewohnt, die Figuren aufzustellen, geschlagene Figuren beiseite zu stellen, zwischen erlaubten und unerlaubten Zügen zu unterscheiden, die Schachuhr zu drücken und im Auge zu behalten, Aufgaben im Buch zu lösen oder eine Partie mitzuschreiben. Ich bin zuversichtlich, dass sie sich an all dies leicht gewöhnen werden. Die größere Herausforderung sind all die Schachlehrer, die von der Technologie überwältigt wurden.
Während der Pandemie war es nicht hilfreich, auf sich allein gestellt zu sein. In Teams konnte man einander gegenseitig helfen. Als Schulschachorganisationen müssen wir den Schachlehrern jetzt technische Fortbildungen und Support bieten. Wir müssen praxisnahe Blogs schreiben und Erklärvideos produzieren. Doch in ehrenamtlicher Selbstausbeutung wird das nichts werden.
Dass die FIDE und die ECU während der Pandemie eine teure Studie über den weltweiten Stand des Schulschachs vor der Pandemie finanziert haben, hat mich verwundert. Der Online-Unterricht war in dieser Umfrage nicht einmal ein Thema. Ebenso wenig wie Blended Learning, also die Kombination von Präsenz- und Online-Unterricht, auf die wir in Zukunft zusteuern.
Jetzt brauchen wir bessere technische Lösungen. Open Source sollte die Grundlage sein, da die meisten Schulen keine kommerziellen Websites oder das Sammeln von persönlichen Daten zulassen werden. Wir brauchen Minispiele, um Anfänger zu unterrichten. Wir brauchen mehr verschiedene Arten von Übungen. Wir brauchen Quizze im Stil von Kahoot, bei denen man die Figuren tatsächlich bewegen kann. Als Schachlehrer müssen wir kontrollieren können, welche Aufgaben unsere Schüler lösen und wie sie dabei abschneiden. Vor allem können wir nicht ewig Videokonferenz und Spielplattform kombinieren, sondern wir brauchen eine Schachplattform mit integriertem Video.
Eine kürzere, englische Fassung dieses Artikels erschien bei ChessTech.
https://www.chesstech.org/2021/this-is-the-time-for-change/
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