Von GM Gerald Hertneck
Ausgangslage
Die Förderung des Frauenschachs ist in Deutschland leider immer noch ein Stiefkind. Während es bei den Männern eine hohe Dichte an starken Spielern gibt, darunter auch viele Spieler über
2600, und somit auch eine starke Nationalmannschaft, ist es bei den Frauen (natürlich mit Ausnahme von Großmeisterin Elisabeth Pähtz) nicht gelungen, Spielerinnen im Bereich von Elo 2400+ zu etablieren. Man kann sogar sagen: das deutsche Frauenschach tritt auf der Stelle, während es international einen Aufschwung gibt – sowohl in der Breite als auch in der Spitze.
Die Ursachen hierfür sind sicherlich komplex: man darf aber mit gutem Grund annehmen, dass das Finanzielle eine große Rolle spielt. Da sich im Schach generell wenig Geld verdienen lässt, und bei den Frauen noch weniger, ist es illusorisch, als Schachspielerin den Lebensunterhalt durch Schach zu bestreiten. Einzige Ausnahme ist hier wiederum Elisabeth Pähtz, die im deutschen Schach eine Sonderstellung einnimmt. Es kann daher nicht Ziel dieses Konzepts sein, mehr Profis für das Frauenschach zu gewinnen, sondern vielmehr muss es Ziel sein, unter gezielter Förderung spielstarke „Amateurinnen“ oder Halbprofis zu gewinnen, die das Frauenschach bereichern. Doch nicht nur in der Spitze, sondern auch in der Breite müsste sich im deutschen Frauenschach einiges tun. Der Mitgliedsanteil im DSB ist viel zu niedrig, was zu reinen Männergesellschaften in Vereinen und auch auf Turnieren führt. Man mag einwenden, dass das schon immer so war, und auch schwer zu ändern sein wird, jedoch glaubt der Autor, dass man zumindest noch mal den Versuch machen sollte, und zwar über starke Spielerinnen als Promotorinnen.
Sollkonzept
Was wir brauchen, ist eine bessere Förderung im Spitzenschach, und zwar vor allem bei talentierten Nachwuchsspielerinnen. Ziel ist hier die Schaffung von schachlichen Vorbildern, wie dies bei den Männern zum Beispiel mit Matthias Blübaum, Alexander Donchenko und Rasmus Svane sowie einigen anderen bereits gelungen ist. Bekanntlich war das Prinzenprogramm ein voller Erfolg (der eigentlich auch fortgeführt werden sollte), und so liegt der Gedanke nahe, ein analoges Programm bei den Frauen einzuführen. Ob man sie dann die Prinzessinnen oder die Königinnen nennen wird, ist zweitrangig. Wichtig ist vor allem, dass eine solche Förderung für die talentiertesten Spielerinnen im Nachwuchsbereich schnell und zielorientiert angegangen wird. Damit werden unter anderem folgende Ziele verbunden:
- Stärkung der Frauennationalmannschaft
- Verbreiterung des Pools von Spitzenspielerinnen
- Vorbildfunktion für junge aufstrebende Spielerinnen
- Verringerung des Rückstands zum dominierenden Männerbereich
- Ausstrahlung auch auf die Breite; mehr weibliche Mitglieder in Vereinen und auf Turnieren
- Mehr Interesse für Schach in den Medien zu wecken; starke Schachspielerinnen ziehen in den Medien Aufmerksamkeit an, weil sie Seltenheitswert haben; dies kommt wiederum dem gesamten Schach zugute.
Voraussetzungen und Durchführung
Voraussetzung zur Förderung ist ein auf mehrere Jahre angelegtes Budget im fünfstelligen Bereich, vor allem zur Finanzierung von Turnierteilnahmen und zur Finanzierung von starken Trainern. Wie hoch dieses Budget letztlich ausfallen wird, muss mit dem DSB abgestimmt werden; aber gerade jetzt sind ja bekanntlich hohe Rücklagen vorhanden, auf die zurückgegriffen werden kann. Folgende Ausgaben werden über das Budget abgedeckt:
- Ersatz von Turnierkosten (ausgewählte Spitzenturniere oder Opens mit starker Konkurrenz)
- Ersatz von Trainerkosten (auch hier natürlich ausgewählte Trainer*innen)
- Teilnahme an Lehrgängen und spezifischen Fördermaßnahmen
- auch Finanzierung von Eröffnungsmaterial (Tutorials und Schachbücher)
Die Fortschritte in der schachlichen Entwicklung werden laufend überprüft und in der Kommission Leistungssport beraten und die Zusammensetzung ggf. angepasst. Die Laufzeit der Maßnahme beträgt 4 Jahre und könnte bereits ab der neuen Amtszeit des Präsidiums (Juni 2021) starten. Die Fördermittel müssen bereits zu Beginn der Maßnahme für alle 4 Jahre fest zugesagt werden, da das Programm nicht frühzeitig unterbrochen werden darf. Die Koordinierung des Programms inkl. des Finanzcontrollings erfolgt über den Referenten für Leistungssport, der sich wiederum gegenüber der Kommission für Leistungssport und natürlich dem Sportdirekter und dem Präsidium verantworten muss. Natürlich werden die Landesverbände auch eingebunden; allerdings werden definitiv nur die besten 3 oder 4 Spielerinnen Deutschlands im Förderprogramm zum Zuge kommen (analog zum Prinzenprogramm).
Kandidatinnen für die Förderung
Die Kandidatinnen für das Programm lassen sich leicht mit Blick auf die Elo-Liste leicht eingrenzen, wenn man ein maximales Alter von 20 bzw. 21 Jahren ansetzt;
WIM Fiona Sieber ELO 2275 geb. 2000
FM Jana Schneider ELO 2272 geb. 2002
FM Lara Schulze ELO 2269 geb. 2002
WIM Annmarie Muetsch ELO 2266 geb. 2002
Dazu unbedingt noch unser jüngstes und wohl vielversprechendstes Talent, das in dieser Auflistung nach ihrem starken Auftritt beim Kaderturnier in Magdeburg als gesetzt gelten dürfte:
WFM Antonia Ziegenfuss ELO 2101 geb. 2005
Bei Reduzierung auf drei Spielerinnen müssten zwei aus der Liste gestrichen werden. Da die Spielerinnen sowohl im Alter als auch in der Spielstärke (sie liegen tatsächlich nur 11 Punkte auseinander!) sehr nah beieinander liegen, muss hier eine sorgfältige Auswahl nach eingehender Analyse und Diskussion getroffen werden. Evtl. könnte man das Einstiegsalter auch noch anpassen.
Ziel ist, dass diese Spielerinnen sich im Förderungszeitraum um mindestens 100 Elo-Punkte steigern, und diese Zahl auch halten. Bei Antonia Ziegenfuss, die unterbewertet ist, sogar um 300 Punkte!
München, den 25. April 2021
GM Gerald Hertneck
Tabellarischer Teil: Ausgewählte Nationen und ihre Spitzenspielerinnen
- A) Spitzenspielerinnen in Frankreich
Hinweis: Marta Michna, Tatjana Melamed und Zoya Schleining spielen nach Querelen mit dem DSB nicht mehr für die Nationalmannschaft. Keto Kachiani leider auch nicht mehr. Hier liegt leider einiges im Argen!
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