Von Matthias Langrock
Schach ist Sport. Schach ist aber auch Kunst, schön anzusehen und offen für Interpretationen. Eines der größten Kunstwerke des königlichen Spiels wird in diesem Sommer 48 Jahre alt: die Dortmunder Schachtage. Zeit für einen Rückblick auf dieses Turnier, das einer Oper gleicht: Auf eine Ouvertüre folgen fünf Akte voller Spannung und Dramatik, mit Höhen und Tiefen.
DIE OUVERTÜRE: SPASSKI GEGEN FISCHER
Neujahrstag 1972. Morgens um 9.30 Uhr klingelt bei Dortmunds Oberstadtdirektor Hans-Dieter Imhoff das Telefon. Am anderen Ende der Leitung sitzt Eugen Schackmann, Leiter des Presse- und Informationsamtes der Stadt. Er will Imhoff in Sachen Schach sprechen. Dortmund soll die Weltmeisterschaft ausrichten. Spasski gegen Fischer, Sowjetrusse gegen US-Amerikaner, Ost gegen West, ein Duell, das die Augen der Welt auf Schach lenken soll. Und damit auf Dortmund, wünscht Schackmann, der kaum die Figuren ziehen kann. Er will das Image seiner Stadt verbessern, die in der deutschen Öffentlichkeit als Hauptstadt des Bieres und der Zechen gilt und deren einst glorreicher BVB im Sommer aus der 1. Bundesliga absteigen wird. „Das landläufige Image war doch, ‚Das sind fleißige Leute, die können vor den Ball treten, haben aber sonst nicht viel drauf’“, sagt Schackmann, als er 2003 auf die Szenerie angesprochen wird.
Kurz gesagt: Die Dortmunder galten als die Doofen aus dem Ruhrgebiet. Schach sei da „genau der Kontrapunkt, den wir brauchten“ gewesen. An jenem Neujahrstag 1972 überzeugt Schackmann den Stadtdirektor Imhoff und fährt zum Restaurant des Fernsehturms. Dort trifft er auf Klaus Neumann, einen Schachverrückten, der sich in ganz Europa mit seinem Freund und Schachspieler-Kollegen Friedhelm Bachmann umtut. Auch DSB-Spielleiter Helmut Nöttger, DSB-Präsident Ludwig Schneider und Westfalenhallen-Chef Hermann Heinemann sind beim Essen dabei. Schneider sagt später zu Schackmann, er habe noch nie erlebt, dass eine Stadt eine so weitreichende Entscheidung innerhalb von 24 Stunden getroffen habe.
Dortmund bekommt die WM zwar nicht. Reykjavik erhält den Zuschlag und dort wird Bobby Fischer nach einem Aufsehen erregenden Kampf mit einem 12,5:8,5 Sieg über Spasski der 11. Weltmeister der Schachgeschichte.
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