Ich habe lange mit diesem Vorbericht gewartet, denn ich rechnete damit, dass das Turnier doch nicht stattfindet. Aber nun sind fast alle Spieler vor Ort – einer hat eine spontan notwendige späte Einladung spontan angenommen. Also wird es wohl stattfinden – wie das Titelbild zeigt, in kleinem aber relativ feinem Kreis: 14 Spieler verteilen sich über eine Fläche, auf der sich viele Jahre lang hunderte Amateure tummelten. Die dürfen momentan nicht Schach spielen bzw. nur im Internet, zuschauen dürfen sie auch nicht.
Der Lockdown in den Niederlanden wurde zwar diese Woche bis 9. Februar verlängert, aber „Topsport“ kann stattfinden – gilt für Fussballer und auch für Schachspieler.
Wer spielt mit? Am 10. Dezember waren es diese 14 Spieler: Carlsen, Caruana, Nepomniachtchi, Vachier-Lagrave, Mamedyarov, Giri, Firouzja, Duda, Dubov, Esipenko, Anton Guijarro, Jorden van Foreest, Abdusattorov, Tari. Einige Namen habe ich da durchgestrichen bzw. das machten sie selbst – nur im letzten Fall wurde ein sehr konkreter Grund angegeben. Ersetzt wurden sie nach und nach von Harikrishna, Wojtaszek, Grandelius und Donchenko – zu Donchenko (und Dubov) später mehr. Von Anfang an galt dass das, was jahrelang der Fall war, nicht mehr gilt: „erst Elo 2700, dann Tata Steel Masters – Ausnahmen nur für Niederländer und Hou Yifan“. Hou Yifan wollten sie laut einem niederländischen Zeitungsbericht auch diesmal, aber sie darf China nicht verlassen da im Rest der Welt eine Pandemie wütet – gilt wohl auch für ihre Landsleute, die den Eloschnitt des Turniers nicht senken würden. Natürlich gab es immer einen anderen Weg in die A-Gruppe: Sieger der Challenger-Gruppe des Vorjahrs – deshalb ist der Spanier Anton Guijarro dabei.
Inzwischen ist Esipenko einziger Vertreter der „Sowjetunion“, sonst gilt: Wohnsitz in oder Pass der Schengen-Zone. Caruana profitiert wie bei Norway Chess wohl davon, dass er nach wie vor (auch) Italiener ist. Der Fidestaner Firouzja wohnt in Frankreich, der Inder Harikrishna in Prag.
Das Titelfoto hat Harikrishna getwitschert, darauf sehe ich nur fünf Schachtische. Haben etwa vier weitere Spieler abgesagt oder wurden nach positivem Corona-Test bereits disqualifiziert? JK Duda, ebenfalls auf Twitter, widerlegt diese These mehr oder weniger:
Zwei weitere Schachtische stehen bereit, wenn auch im Abseits. Und ich zähle auch vierzehn Stühle.
Dubov wurde gestern disqualifiziert, oder hat sich selbst disqualifiziert: Corona-Fall in seinem engeren Umfeld. Daraufhin hat Turnierdirektor Jeroen van den Berg Alexander Donchenko angerufen, der schaute erst in seinen Kalender – nein, es ist nicht der 1. April – und akzeptierte dann die Einladung in (fast) letzter Minute. Er ist fast gleichwertiger Ersatz für Dubov: nahe im Alphabet, ebenfalls russischer Name und ebenfalls alliterierender Doppel-Vorname – statt Daniil Düsentrieb Dubov spielt nun Alexander Aufsteiger Donchenko.
Die Niederlande haben übrigens mit so etwas Erfahrung: Einmal sprang Gerald Hertneck beim Batavia-Turnier kurzfristig für einen erkrankten Teilnehmer ein. Aber es gibt schon diverse Gründe, ihn diesmal zu ignorieren: er würde den Eloschnitt deutlich senken und den Altersschnitt stark anheben. Außerdem ist sein Doppel-Vorname Gerald Gaudi Hertneck (bzw. seine Aktivitäten auf Facebook, die das rechtfertigen) international wohl nicht so bekannt. Vielleicht wurde er aber auch (zuerst) gefragt und bekam von Markus Söder keine Ausreise-Erlaubnis aus Bayern. Wie dem auch sei, zurück zu Donchenko:
Über diesem Foto steht auf der Turnierseite „Ein Traum wird wahr für Alexander Donchenko“. Nun wird sich zeigen, was seine neuesten Ergebnisse bei zweitklassigen Turnieren (die es immerhin gab) wert sind. Die meisten seiner Gegner kennt er immerhin schon, zumindest (zuletzt) aus dem Internet und zuvor von Mannschaftskämpfen, Opens usw. . Am besten kennt er offenbar Wojtaszek, sieben Partien im Laufe der Jahre. Am längsten kennt er Jorden van Foreest: das erste Ergebnis war van Foreest (1970) – Donchenko (2089), Groningen 2010 – damals waren beide noch jünger als sie nun immer noch sind (auch bei Jorden ist es die damalige Elo, nicht das Geburtsjahr). Die Niederlande kennt Donchenko also auch bereits: in Groningen hat er mehrfach mitgespielt und erzielte 2014 eine seiner GM-Normen. Diesen Titel bekam er 2015 zeitgleich mit Bluebaum, Richter (Michael, nicht Thomas) und Wagner. Matthias Bluebaum hat dann später in Wijk aan Zee mitgespielt, allerdings in der Challenger-Gruppe.
Gespielt wird vom 16.-31.1. mit Ruhetagen am 20., 25. und 28. Januar – jeweils ab 14:00, letzte Runde eine Stunde früher. Die recht lange Bedenkzeit haben sie beibehalten: 100 Minuten für 40 Züge, 50 weitere bis zum 60. Zug und 15 Minuten für den Rest mit 30 Sekunden Zugabe von Anfang an. Zu fortgeschrittener Stunde wird das Infektionsrisiko dabei wohl sinken, da nicht alle Partien so lange andauern. Und natürlich haben sie diverse Schutzmaßnahmen.
Dazu gehört auch eingeschränkter Zugang für Medien: nur für PmP’s (Profis mit Pressekarte), Zugang zum Presseraum nur zu bestimmten Zeiten – wo sollen sie sich dazwischen aufhalten? – und offenbar generell nur tagesweise, Interviews mit Organisatoren und Spielern nur über den Medienmanager. Ich zähle nicht zum erlauchten Kreis aber die Reise nach Wijk aan Zee würde sich für mich ohnehin nicht lohnen – Spielerzitate bevorzugt spontan.
Übrigens kann man sich immerhin auf eines offenbar verlassen: „Es gibt Regeln für alle, und Ausnahmen für Carlsen“ – nur der Norweger ist anscheinend noch nicht vor Ort. Man kann ihm wohl nicht zumuten, seinen Dauer-Urlaub auf irgendwelchen tropischen Inseln länger als unbedingt nötig zu unterbrechen. Wettervorhersage für Wijk aan Zee übrigens: morgen offenbar etwas Schnee, später dann Regen – auch das ist wie oft oder immer.
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