Wobei auch der Blechpreis noch 15.000$ war, Motto der Turnierserie im Internet ist ja „mach reiche Spieler reicher“. Es waren zwei unterschiedliche (Doppel-)Matches zum Abschluss des Airthings Masters: Im Finale gewann der Spieler, der hinterher selbst sagte „ich wollte gewinnen, nicht das Publikum unterhalten“. Das Spiel um Platz 3 war dagegen total dobjowaratnim – dieses russische Wort gibt es zwar (vermutlich) nicht, aber es bedeutet „abwechslungsreich und chaotisch“.
Damit war zu rechnen angesichts der Protagonisten Daniil Düsentrieb Dubov und MVL Maximal Vollgas in Lichtgeschwindigkeit (im Pass steht Maxime Vachier-Lagrave), wobei er Lichtgeschwindigkeit nur in zwei von acht Partien erreichte. Entscheidend war, dass der Russe nicht alle Gewinnstellungen gewinnen konnte, während der Franzose neben Gewinn- auch Verluststellungen gewann. Dieses Match wird tendenziell Schwerpunkt des Berichts, aber ich beginne mit dem Finale:
Radjabov-Aronian 2,5-1,5 und 2-1: Am ersten Tag dreimal Remis, und dann von Radjabov eine Berliner Mauer – also wieder remis? Nein, Radjabov hatte das zwar angedeutet aber Aronian wollte keine Zugwiederholung und landete direkt in einer Verluststellung. Davor und auch danach war es ein relativ unruhiges Stadtviertel von Berlin, da der schwarze König anfangs nach c8 wanderte und nicht etwa zurück nach e8. Livekommentator Peter Leko erinnerte sich, dass dieses Abspiel auf höchstem Niveau 2013 ausgiebig diskutiert wurde. Danach versuchten es nur zwei Schwarzspieler mit Elo 2700+: 2017 Nakamura gegen den relativen Patzer Grigoriants, 2019 Topalov – eröffnungstheoretisch eben nicht auf dem aktuell-modischen Stand – gegen Vachier-Lagrave. Mit 23.f6 hat Aronian gegnerische Figuren aufgeweckt, die bis dahin auf der Grundreihe abwarteten – erst landete der Le8 auf e6, dann wurde der Lf8 abgetauscht und so konnte auch der Th8 mitspielen.
Am zweiten Tag wähnte man sich erst im verkehrten Film: Ist das wirklich das Finale, nicht das Spiel um Platz 3? Tal Dubov Aronian opferte inkorrekt, Radjabov fand die Widerlegung nicht, Aronian stand auf Gewinn, hat dann sein eigenes Opfer mit einem mouse slip widerlegt und am Ende Dauerschach. Blickt der Leser da noch durch? Ich auch nicht!!! Statt 21.-dxe3 musste Radjabov erst 21.-d3 spielen, und dann den doppelt geopferten Se3 mit dem f-Bauern verspeisen. Warum verstehe ich nach Betrachten der Computervarianten jedenfalls ansatzweise. Aronian verwendete dann fast seine gesamte Restbedenkzeit für 28.exf6 was „im Prinzip“ gewinnt, während alles andere verliert. Einen Zug später ging entweder 29.Td1 „mit Dominanz“ (auch wenn Weiß einen Turm weniger hat) oder 29.Txe8+ und nach 29.-Txe8 das ohrenbetäubend stille 30.b3 (verhindert -Dc4+, nur so!). Aber nicht 29.Te6, da Schwarz hier mehr als genug für seine Dame bekommt und Weiß nur noch eine Dame und keine anderen Figuren behält. Aus dem Dauerschach entwischen war danach für Schwarz jedenfalls nicht trivial, Radjabov hat es offenbar gar nicht versucht.
Dann machte Aronian den MVL und spielte Grünfeld (ganz neu war es für ihn dabei auch nicht), und Radjabov machte den Aronian – 4.Lg5 wie im Halbfinale Aronian-MVL. Mit 21.-c5 gab Aronian einen Bauern, war aus Engine-Sicht nicht nötig. Im Endspiel mit Türmen und ungleichfarbigen Läufern waren zwei Ergebnisse denkbar – es wurde ein Weißsieg und die Vorentscheidung im Match.
In der, wie sich herausstellte, letzten Partie versuchte Aronian einiges, auch noch im Turmendspiel, aber es wurde Remis. Von Radjabov danach vor noch laufender Kamera Emotionen, zuvor hatte er gar keine oder zeigte jedenfalls gar keine. Ein Schachfreund bezeichnete Radjabov schon nach dem Sieg am ersten Tag als „Spieler des Jahres“. Das ist aus meiner Sicht voreilig: 2021 hat gerade erst begonnen, möglicherweise gibt es dieses Jahr noch wichtigere Turniere wie z.B. das Kandidatenturnier.
Auch Aronian zeige ich. Fotos auf Twitter stammen wohl aus dem Archiv, von Aronian gibt es nettere als von Radjabov.
MVL-Dubov 2-2 und 2,5-1,5: Sieben Remisen und ein Sieg für den Franzosen? Nein, ein Remis in acht Partien, die alle kurz besprochen werden:
MVL-Dubov 0-1: Sie unterhielten sich Italienisch, und dann gab Schwarz mit 22.-Txf3 eine Qualität. Engines sagten dazu zunächst 0.00, aber am Brett oder Monitor war die Stellung für Schwarz jedenfalls leichter zu spielen, und er bekam nach und nach und immer mehr Oberwasser.
Dubov-MVL 1-0 begann mit 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.Lb5+ Sd7. Schwarz verzögerte die kurze Rochade und entkorkte dann, statt sie doch noch umständlich-geduldig vorzubereiten, 18.-Kd7?!. Weiß gewann einen Bauern und später die Partie. Vorentscheidung im ersten Match? Ein Remis brauchte Dubov nun noch, aber er bekam es nicht.
MVL-Dubov 1-0: 9.-Sxe4!??! war ein origineller Versuch, die Stellung zu vereinfachen. Erfolgreich war er, aber Weiß behielt etwas Druck. Dubov konnte diesen eigentlich abfedern, aber 24.-Te6? 25.Txe6 Dxe6 war ein Abtausch zu viel – danach war der weisse a-Freibauer viel stärker als der schwarze b-Freibauer. Ein Weißremis brauchte Dubov noch, aber ….
Dubov-MVL 0-1. Dieselbe Eröffnung wie in der zweiten Partie, aber vom Franzosen unter Siegzwang ein schärferes Abspiel. Er überspannte den Bogen und landete in einer Verluststellung. Dubov wählte eine Variante mit Qualitätsgewinn, aber MVL hatte mit seinem Läuferpaar Kompensation – nicht weniger und nicht mehr, vor und nach dem anschliessenden Damentausch. Im Endspiel war der Pfad zum Remis aber aus weisser Sicht schmal, und Dubov fand ihn nicht. Ausgleich im Match! Stand auf der Uhr am Ende fast 12 Minuten für MVL, und knapp 2 1/2 Minuten für Dubov.
Der zweite Tag:
Dubov-MVL 0-1: am Ende ein glatt gewonnenes Springerendspiel für den Franzosen – so glatt gewonnen, dass er es nur einmal gewinnen musste (im Halbfinale musste Radjabov ein Springerendspiel gegen Dubov zweimal gewinnen). Andere Ergebnisse dieser Partie: 2-1 für Dubov betrifft Anzahl Gewinnstellungen unterwegs – aber nur eine gewonnene Gewinnstellung gewinnt die Partie. 10-1 für MVL betrifft Anzahl Minuten auf der Uhr am Ende der Partie. Im Blitztempo erreichte er seine erste Verluststellung nach etwa 12 Zügen. Aber Dubov verpasste es, den Sack zu zu machen und dann war es zwei Züge lang etwa ausgeglichen. Erneut bekam er Oberwasser, vor allem da der französische König immer noch auf e8 stand. Ich hätte Dubov zugetraut, dass er das hübsche 19.Lg7!?! findet (auf 19.-Lxg7? 20.Sxd6+ nebst 21.SxDb7). Das war nicht der Fall, der Vorteil war später wieder dahin und ab dem 30. Zug übernahm MVL das Kommando. Ein bis zwei Damenopfer gehörten dazu – das zweite war die beste Verteidigung gegen Dh6-g7 matt: 40.-Dxh2+ 41.Kxh2 Sg4+ 42.Kg3 Sxh6 mit drei Mehrbauern im Springerendspiel.
MVL-Dubov 1/2: Wie bitte, sie spielen Remis? Es war wieder Italienisch, aber diesmal vermied der Franzose mit 17.Se1 ein potentielles Qualitätsopfer auf f3. 22.-Txf3 kam trotzdem und gewann einen Bauern, aber später steuerte MVL sein schwankendes Schiff in den Remishafen. Dubov verschmähte ein weisses Dauerschach, das wollte (und musste) er direkt danach selbst machen.
Dubov-MVL 1-0: Wieder 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.Lb5+, aber nun von Schwarz das solidere 3.-Ld7. Da wird dann lange manövriert, Weiß machte das besser und gewann.
MVL-Dubov 1-0: In der Eröffnung wanderte der Franzose von Italien nach Spanien, Dubov wählte einen Aufbau mit 6.-Lc5 – theoretisch wohlbekannt, aber irgendwie schafften sie es doch schnell Neuland zu betreten. Dubov beurteilte eine Abwicklung im 27. Zug falsch, nun hatte Weiß Oberwasser. Deja vu für den Russen: wieder war ein weisser a-Freibauer stärker als ein schwarzer b-Freibauer. MVL musste einige im Gewinnsinne einzige Züge finden und schaffte das. Ganz am Ende waren die Freibauern sozusagen irrelevant: Weiß trieb den schwarzen König ins Freie und konnte ihn da mit Dame und Turm mattsetzen.
Spiel, Satz und Sieg für den Franzosen! Immerhin zwei seiner vier Siege waren überzeugend im Sinne von „ohne Umwege“. Laut Leko hat er das Match Dubov „gestohlen“ – dabei machte er nur regelkonforme Schachzüge, den Rest machte Dubov selbst.
Das freute ihn sichtlich – nein, auch dieses Foto wohl aus dem Archiv. Dubov wurde nicht gezeigt, aber ich hatte ihn ja schon bei anderen Gelegenheiten öfters „fotografiert“.
Wie geht es weiter? Laut Siegerinterview feiert Radjabov momentan Silvester nach – Einladungen am 31.12. hatte er ausgeschlagen um sich auf das Turnier zu konzentrieren. MVL hat nach eigener Aussage keine Zeit zu feiern: er muss noch einige Dinge in Paris erledigen bevor er sich schon bald auf die Reise nach Wijk aan Zee macht – Quarantäne will er vor dem Turnier hinter sich bringen. Damit ist bereits erwähnt, dass es ab Mitte Januar mal wieder Schach am Brett gibt – jedenfalls nach derzeitigem Stand. Die chess24-Turnierserie respektiert das und wird daher erst im Februar fortgesetzt.
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