Juli 16, 2024

Frischer Wind beim Airthings Masters

Im Viertelfinale war Schluss mit der Remiserei, oder jedenfalls mit gehaltlosen Remisen. Die drei Opportunisten hätten wohl nichts dagegen gehabt, wenn sie mit sieben Remisen und einem Sieg durch gegnerischen Fehler das Halbfinale erreicht hätten – es kam anders. Immerhin schaffte Wesley So es, einmal mit Weiß in neun Zügen zu remisieren. Vielleicht hat Caissa ihn dafür bestraft – wobei er es tags zuvor bereut hatte, dieselbe Partie nicht so zu Ende zu spielen.

Weiter sind drei Spieler, die – so sehe ich es – als Schachspieler und Menschen interessanter sind. Eben frischer Wind statt am Horizont mal wieder/schon wieder ein Finale zwischen Carlsen und Nakamura oder So.

Am klarsten verlor Nakamura gegen Aronian, da war nach sechs Partien alles vorbei für den amerikanischen Corona-Profiteur. Carlsen spielte gegen Dubov sieben Partien. Die beiden anderen Matches gingen über die volle Distanz einschließlich Armageddon, sowohl So-MVL als auch das bisher noch nicht angedeutete und am Ende total chaotische „sowjetische“ Duell Nepomniachtchi-Radjabov. Das war am ehesten auf Augenhöhe, vielleicht weil beide zur selben lokalen Uhrzeit spielten.

Der Reihe nach, wobei ich jeweils die Favoriten – bzw. die Spieler, die allgemein die Favoritenrolle bekamen aber dann 0/4 erzielten – zuerst nenne:

Carlsen-Dubov 2-2 und 0.5-2.5: Carlsen zeigte bekannte Stärken und bekannte Schwächen. Seine Stärke ist, dass die Gegner patzen – vor allem aber nicht nur in Remisendspielen. Seine Schwäche ist, dass er taktisch verwundbar ist. Daher vermeidet er komplizierte Stellungen generell, aber gegen Dubov schafft das niemand.

Tag eins begann nach Wunsch: Dubov patzte im Remisendspiel. In der zweiten Partie dagegen verkehrte Welt: Dubov stand in einem Endspiel oder damenlosen Mittelspiel klar besser, Engines sagten bis zu +6. Das konnte ich so nicht nachvollziehen, aber wer bin ich schon? Dubov konnte es allerdings auch nicht nachvollziehen oder beweisen, am Ende Remis.

In der dritten Partie war Carlsens 31.Dxa5?? mit einer genialen Idee verbunden. Zwar konnte Dubov sich im Gegenzug auf d4 bedienen, damit hatte Carlsen wohl gerechnet. Nach Damentausch hätte Carlsen dann im Turmendspiel einen entfernten Freibauern. Das wäre zwar wohl remislich, aber dann kann der Gegner ja einen Fehler machen. Wenn nicht dann nicht, im Match führte er ja bereits. Unklar, wie Weiß Damentausch erreichen will, aber der Plan hatte ohnehin einen anderen Haken: Carlsen gibt gerne damit an, dass er Klassiker kennt, aber Tarrasch kennt er anscheinend nicht: Vor das Endspiel haben die Götter das Mittelspiel gesetzt! Nach 31.-f5! war Weiß mausetot. Übrigens entschied am Ende doch ein Rand- und Freibauer: nach Generalabtausch (zuvor 37.-Dxh2+) ist Schwarz mit h3-h2-h1D etwas schneller als Weiß mit a2-a4-a5-a6-a7-a8D.

In der vierten Partie waren offenbar beide mit Remis einverstanden. Dubov sagte im anschliessenden Interview, dass er gegen Carlsen möglichst viele Partien spielen will – tags darauf gerne auch Blitz und womöglich Armageddon.

Tag zwei begann wieder mit einem Weißsieg, aber diesmal hatte Dubov zuerst die weissen Figuren. Wieder war es taktisch, das führte zu norwegischem Qualitätsverlust. Irgendwie bekam Carlsen verzögert Kompensation für die Qualle, bevor er erneut und nun definitiv taktisch das Nachsehen hatte.

Nun hatte Dubov ein Problem: er wollte ja gegen Carlsen auch Blitzpartien spielen, dafür muss Carlsen im Match ausgleichen. Er hat alles versucht: in der zweiten Partie wollte er in diesem Turnier das dritte Remisendspiel gegen Carlsen verlieren, aber Carlsen war nicht einverstanden – Remis. In der dritten Partie daher nach zuvor wildem Verlauf der Figureneinsteller 27.Sc5???, aber Carlsen überkompensierte das sieben Züge später. Nach 34.Td6 hatte er sechs plausible Felder für die angegriffene Dame auf d8 und wählte mit 34.-De7???? das schlechteste – es blockierte ein Fluchtfeld für den schwarzen König, der so mattgesetzt wurde.

Dubov war im anschliessenden Interview gut gelaunt und hatte doch gemischte Gefühle: Nun muss er an Silvester und Neujahr Schach spielen, während andere Russen sich betrinken. Wo (zu Hause oder auch in der Öffentlichkeit) und mit wie vielen Personen das in Russland erlaubt ist, dazu habe ich nicht recherchiert. Carlsen war dagegen auf Twitter äußerst beleidigt. Dubov hat sich daraufhin bei ihm entschuldigt, dass er seinen Sieg vor laufender Kamera feierte. Das verursachte einen weiteren Carlsen-Tweet: er hatte das gar nicht mitbekommen, und noch schlimmer wäre, wenn Gegner Siege gegen ihn nicht feiern. Nun sollte Carlsen zwei Dinge studieren: T & T Taktik und Tarrasch.

Man kann dabei nicht unbedingt sagen, dass Dubov verdient gewonnen hat. Aber Carlsen hat verdient verloren, und generell triumphierte Kreativität über Ähm äh. Und das ist gut so.

So – Vachier-Lagrave 1-3, 2.5-1.5, 1-1, 1/2 Vorteil MVL: So galt als Favorit, da er generell konstanter spielt, während der Franzose unberechenbar ist und sich im Internet oft schwer tat. Aber „unberechenbar“ kann das Eine oder das Andere bedeuten.

Es begann nach Wunsch für Wesley So: mit Schwarz Berliner Mauer und Remis im Endspiel. Das wiederholte sich in der dritten Partie des ersten Tages. Auch dazwischen war So sehr nahe an seinem Lieblingsergebnis Remis: er hätte nur die Najdorf-sizilianische Zugwiederholung 6.Le3 Sg4 7.Lc1 Sf6 8.Le3 Sg4 vollenden müssen, aber plötzlich spielte er doch 9.Lg5. Es führte zu wilden, dabei jedenfalls anfangs theoretisch bekannten Komplikationen. Am Ende erlaubte 44.Tb1? ein doppeltes schwarzes Qualitätsopfer nebst Turmgewinn – dazu kam es nicht komplett, da So rechtzeitig aufgab.

In der vierten Partie wieder Najdorf, wieder versuchte So 6.Le3 Sg4 7.Lc1 Sf6 aber nun 8.h3 – was er bereits gespielt hatte aber offenbar nicht kannte. Danach entweder g2-g4 oder f2-f4 aber nicht beides, jedenfalls nicht vor einer langen Rochade. 11.g4 h6 12.f4? exf4 13.Lxf4 Sh5! führte bereits zu einer, wie ein Vereinskollege sagt, „Toilettenstellung“. Oder war es ein Bluff unter Siegzwang? Emil Sutovsky hatte es in der letzten Runde der Europameisterschaft 2014, ebenfalls unter Siegzwang, gegen Grigoriy Oparin versucht – diese Partie gibt es in Datenbanken. Irgendwie schaffte es So, doch künstlich lang zu rochieren. Schwarz stand durchgehend besser, aber fast konnte man den Eindruck bekommen, dass er gar nicht unbedingt gewinnen wollte. Am Ende konnte So, statt nach 42.-Df1 einfach aufzugeben, auch 43.Dxf1 mit Remisangebot spielen, vielleicht hätte es ja funktioniert. Das machte Nakamura pünktlich im 40. Zug im parallelen Match – aber ich greife den Ereignissen im Bericht voraus und bleibe erst bei diesem Match. So wollte offenbar nicht einmal So Remis spielen.

Am zweiten Tag verzichtete So zunächst auf 1.e4, spielte 1.Sf3 und gewann im Endspiel – so geht es also auch. Dann wieder Berliner Mauer und Remis, dann die eingangs erwähnte Kurzpartie – diesmal komplettierte er die bereits erwähnte Najdorf-Zugwiederholung. In dieser Matchsituation vielleicht angebracht, aber doch etwas zynisch.

In der vierten Partie wieder Berliner Mauer, aber diesmal von MVL nicht das Endspiel sondern 4.d3. Aus der Eröffnung heraus stand er klar besser, fand aber nicht den präzisen Weg. Im 20. Zug hatte er ein ähnliches Problem wie zuvor Carlsens „wohin mit meiner Dame?“. Hier „ein kleiner Bauernzug, aber welcher?“: 20.g3, b3 oder f3 war laut Engines vorteilhaft – jeweils verhindert es, dass Schwarz danach mit -Dd5 zwei Bauern (a2 und g2) angreift. Allerdings bedeutet das Computerurteil +1 wohl nur, dass Weiß einen Mehrbauern behält. Ob, wann und wie er diesen verwerten kann ist außerhalb des Engine-Horizonts, sonst wären sie aus weisser Sicht optimistischer. Das gespielte 20.h3 war jedenfalls Ausgleich. Später ging es für Weiß bergab, wohl da er unbedingt gewinnen musste – Remis oder Niederlage war dabei egal. Er hatte zwei Bauern weniger, und dann hatte er plötzlich einen Mehrbauern. Der erste Trick war 41.Dxg5 (Bauer auf f6 vom Lc3 gefesselt). Einen Moment sagten Engines +4, das habe ich nicht näher untersucht-überprüft. Ansonsten war der weisse Mehrbauer bei ungleichfarbigen Läufern – erst mit Damen, dann ohne und dann wieder mit Damen – wohl nie gewinnträchtig. Also Remis und Blitzen.

In der ersten Blitzpartie gewann MVL … ein Berliner Endspiel, quasi doppelt: sein Vorteil war wieder dahin, dann hat So nochmals geholfen. Da es dafür nur einen Punkt gibt, konnte So eventuell ausgleichen. Er schaffte das tatsächlich: unter Siegzwang kann selbst er mal angreifen.

Im fälligen Armageddon durfte wohl So die Farbe wählen, da er im Rundenturnier vor MVL landete. Erstaunlicherweise wählte der begnadete Remisspieler die weissen Figuren und musste demnach erneut gewinnen. Er erreichte ein leicht besseres Endspiel, und dann wurde Remis unvermeidlich. Leko kommentierte das so: „gerade hatte So eine Traumstellung, und dann wurde es doch Remis“. Wenn das – ein Endspiel, das man vielleicht ab und zu aber jedenfalls nicht immer gewinnt – eine Traumstellung war sollte man seinen schachlichen Ansatz vielleicht, jedenfalls in must-win Situationen, überdenken? Insgesamt hat MVL dabei aufgrund des dominanten ersten Tages aus meiner Sicht verdient gewonnen. Caissa sah es wohl auch so, oder sie hat So für sein zynisches Kurzremis mit Weiß bestraft.

Nakamura-Aronian 1.5-2.5 und 0-2 – nur in dieser Reihenfolge ist so ein Ergebnis möglich, da Nakamura auch bei 2-2 im zweiten Match ausscheiden würde. Von den Partien her war es, wie bereits angedeutet, noch deutlicher.

Vorentscheidend war am ersten Tag die zweite Partie. Recht früh ergab sich aus dem London-System eine verrammelte Bauernstruktur bei allen sechs Schwerfiguren sowie ungleichen Läufern – ungleich waren sie betrifft Farbe und Relevanz. Im Mittelspiel ist es vorteilhaft für den Spieler mit Initiative und Angriff, sein Name war Levon Aronian. Später tauschte er zwei Türme für gegnerische Dame und Bauer, auch das war richtig. Am Ende Mattangriff, aber es war insgesamt eher eine positionelle Demonstration.

In der dritten Partie dominierte Schwarz (Aronian) am Damenflügel. Weiß (Nakamura) hatte ein bisschen Königsangriff, daraus wurde Dauerschach.

Unter Siegzwang wählte Nakamura nun mit Schwarz einen modernen Aufbau. Weiß stand schnell besser, aber vereinfachte mit 15.Dxe7 zu einem ausgeglichenen Endspiel, das Schwarz vielleicht doch irgendwie  gewinnen kann. Dann bekam Aronian allerdings mit Türmen und schon wieder ungleichfarbigen Läufern Oberwasser. Nakamura verknüpfte 40.-Ta1+ mit einem Remisangebot. Die Rechtfertigung war 41.Te1? Txe1+ 42.Kxe1 – nun mit nur noch ungleichfarbigen Läufern wären drei verbundene weisse Freibauern irrelevant, da blockiert. Mit 41.Ke2 oder 41.Kg2 konnte Weiß auf Gewinn spielen, aber Remis reichte also akzeptierte er Nakamuras Friedensangebot = Kapitulation im ersten Match.

Am zweiten Tag ging es schnell: in der ersten Partie wieder London-System, und Nakamura verpasste den Moment für e6-e5 im 15. Zug. Ab da ging es für ihn dann bergab, und als er doch 20.-e5 spielte erlaubte er damit einen weissen Riesenspringer auf d6.

In der zweiten und dann schon letzten Partie wählte Nakamura mit Weiß einen kuriosen Aufbau. Im Bullet funktioniert es für ihn anscheinend wunderbar, aber das war Schnellschach. Wieder war Aronian nicht allzu ehrgeizig, verzichtete auf 9.-f5 mit klarem Raumvorteil zugunsten von Damentausch und frühem Endspiel. Nakamura patzte im 25. Zug, und das war’s dann für ihn.

Hier kein Zweifel möglich, dass Aronian verdient gewonnen hat.

Nepomniachtchi-Radjabov 2-2, 2-2, 1-1, 1/2 Vorteil Radjabov. Nepomniachtchi galt wohl als Favorit. Der erfahrenere Spieler ist er nicht unbedingt, auch Radjabov hat viel Erfahrung auf hohem Niveau – im ersten und auch im zweiten Schachleben, zwischendurch war er mal elomässig abgetaucht. Aber Nepo gilt generell als besserer Schnellschachspieler, u.a. da er sehr schnell spielt – aber dazu gehört auch der eine oder andere Lapsus.

Am ersten Tag vier Remisen, wobei Radjabov zweimal zwischenzeitlich klar besser stand – in der ersten und der vierten Partie. In der ersten Partie musste er offenbar für anhaltenden Vorteil eine Qualität opfern bzw. anbieten, zuvor hatte Nepo unnötigerweise einen schwarzen Freibauern auf c3 erlaubt. In der vierten Partie schien wenig los, aber plötzlich hatte Weiß (Radjabov) die viel aktiveren Figuren und gewann dadurch einen Bauern. In dieser Phase um den 40. Zug fehlte aber die letzte Präzision, und Nepo hielt seinen Laden zusammen.

Tags darauf schaffte er das gleich zu Beginn nicht: im 18. Zug auch hier die Frage „wohin mit der Dame?“, und b7 war das einzige falsche von vier möglichen Feldern da ungedeckt. Es erlaubte die Batterie 19.De4, die Nepo nicht mit 19.-Sf6 abfedern konnte wegen 20.Dxb7. Also musste 19.-g6 sein, aber 20.Lxh6 war mehr als nur ein Bauerngewinn. Schwarz landete in permanenten Fesslungen, am Ende war 32.Txd5! eine hübsche Abwicklung in ein glatt gewonnenes Bauerendspiel.

In der zweiten Partie wählte Radjabov Nimzo-Indisch, das machte er in diesem Match einmal und nicht wieder. Was er stattdessen dann gegen 1.d4 entkorkte, da muss sich der Leser noch etwas gedulden. Nepo spielte 4.f3!? womit er zuletzt gute Erfahrungen hatte – der Sieg gegen Karjakin bedeutete letztendlich den russischen Meistertitel. Bis zum 10. Zug war es recht wohlbekannt, 11.a4!? gab es zuvor offenbar nur einmal. Und es wurde eine kuriose Duplizität der Ereignisse. Sie folgten einer Schnellpartie Caruana-Carlsen aus der ersten Turnierserie, mit zunächst einem irrelevanten Unterschied: Carlsen spielte Lc8-d7xb5, und Radjabov Lc8-a6xb5, Engines missfällt beides. Caruana wählte darauf später 18.Dxb5 mit Ausgleich und verlor danach, Nepo spielte 18.axb5 mit Vorteil und es wurde letztendlich Remis.

Nepo musste also eine der beiden verbleibenden Schnellpartien gewinnen. Mit Schwarz wählte er 1.Sf3 f5!?, das konnte eventuell schiefgehen und wurde dann Remis. Mit Weiß danach 1.d4 und Radjabov wählte in einer „Remis reicht“ Situation … Königsindisch – seine alte Liebe, aber es gilt ja als jedenfalls riskant. Schwarz spielt da generell am Königsflügel, und Weiß am Damenflügel. Hier stimmte aber nur die erste Hälfte des letzten Satzes – Weiß kam nie zu Spiel am Damenflügel sondern musste den Laden um seinen Monarchen irgendwie zusammenhalten. Das schaffte er gerade so, auch da Radjabov den vorhandenen Gnadenstoss nicht fand. Später ein Endspiel, das trotz weissem Mehrbauer eigentlich Remis war. Aber 62.-bxa4+? erlaubte unnötigerweise die Aktivierung des weissen Königs. Das kostete nicht nur einen weiteren Bauern (auf a6), sondern plötzlich war es bei ungleichfarbigen Läufern für Weiß studienartig gewonnen. Der König lief über b7 und c8 weiter nach d8, Zugzwang ermöglichte den nächsten Schritt nach e7 wo er den Freibauern auf f5 unterstützte – oder unterstützt hätte, denn Radjabov gab zuvor auf.

Also Blitzen nach dem Motto des in der Vorrunde ausgeschiedenen Grischuk bzw. von dessen T-Shirt „Strange illusions curious incidents“. In der ersten Partie entkorkte Nepo 1.Sf3 d5 2.d4 Lf5!?, offbeat aber nicht total schlecht. Ob 10.-Se4 dann ein Bauernopfer oder ein Einsteller war, weiß nur er selbst – 40 Sekunden für diesen Zug deutet auf ersteres. Wühlkompensation hatte er, da der weisse König kaum rochieren konnte – wobei 18.Kf1 und dann 20.Ke2 kein grosses Problem war. Radjabov verschoss den Elfmeter 26.-De7? 27.Le4xh7+! – hier ein Räumungsopfer, es würde 28.Te4 mit Röntgenblick auf den schwarzen Te8 folgen. Und danach kippte die Partie erst halb und dann gar komplett. Wieder gewann Nepomniachtchi aus einer Toilettenstellung heraus.

Radjabov nun mit Schwarz unter Siegzwang, also 1.e4 b6!? und im 10.Zug ein Bauer auf die fünfte Reihe: 10.-g5 nebst 11.-g4, danach Turm dahinter – Attacke! Nepos 21.exd6? war gut gemeint – eigener Angriff auf der e-Linie, da der schwarze König noch auf e8 stand. Aber 21.-Le3! verstopfte die e-Linie und öffnete die g-Linie für den Tg6, der Lb7 beherrschte ohnehin seine Diagonale. Der schwarze König rochierte danach lang und stand da sicher, im Gegensatz zu seinem weissen Kollegen-Konkurrenten. Materiell war es quasi ausgeglichen, zwei schwarze Türme gegen weisse Dame, beiderseits zwei Leichtfiguren und je vier Bauern. Aber Königssicherheit war partieentscheidend. Am Ende entschied dann ein schwarzer a-Freibauer – warum 32.a5 bxa5 das aus weisser Sicht relativ beste war untersuche ich mal nicht.

Also Armageddon, Nepo entschied sich für die weissen Figuren und Radjabov verordnete seinen schwarzen Klötzen wieder Königsindisch. Nepo passte einmal nicht auf: 15.Lf4? kostete eine Qualität, dafür musste sich Schwarz zwar von seinem königsindischen Läufer trennen aber das konnte er verkraften. Schwarz verpasste die Entscheidung im Mittelspiel: 32.-Dh8! nebst -Th7 nebst mehr oder weniger Matt war vernichtend. Im Endspiel hatte Weiß Kompensation für die Qualität, nicht mehr und nicht weniger. Aber Remis reichte ihm ja nicht, und das wurde es dann.

Auch wenn es dramatisch war, insgesamt hat Radjabov absolut verdient gewonnen. Nepos erster Tweet „Hope you all got the fun & entertaiment you were looking for.“ war noch relativ sachlich, danach erwies er sich quasi als schlechter Verlierer – zuvor von Carlsen harsche Selbstkritik, von Nepo nun Kritik am Format: zu viele Partien, zu wenige bzw. keine Ruhetage. Da mag was dran sein, aber diese Bedingungen wurden von den Spielern akzeptiert und sie gelten für alle. Wobei die Reaktion von chess24 – wir wollten auch jedenfalls einen Ruhetag im Turnier, aber es kollidiert mit „TV requirements“ – jedenfalls interessant bzw. vielsagend ist.

Wie geht es weiter? Mit zwei Halbfinal-Matches. Bei Dubov-Radjabov treffen zwei Spieler aufeinander, die bei einem Teil des Publikums vielleicht unbekannt sind – diejenigen, die nur die aktuelle top10 kennen. Im anderen Match treffen mit Aronian und MVL zwei Spieler aufeinander, die allgemein und für die Protagonisten untereinander gut bekannt sind. MVL hat bereits versprochen, dass ihre Freundschaft am Brett keine Rolle spielen wird. Aus meiner Sicht war es auch fragwürdig, sie in ihren Viertelfinal-Matches als Außenseiter einzustufen – aber Nakamura und So sind eben Amerikaner.