Es war ja vorhersehbar: Wenn sich 8 von 12 Spielern für die KO-Runde qualifizieren, reicht Sicherheitsschach – vor allem wenn/nachdem man irgendwie +1 im Turnier erreicht hat. Wenn dann auch noch drei bekannte Opportunisten mitspielen – vor allem keine Fehler machen und nicht verlieren, vielleicht ab und zu gewinnen – dann hat man den Salat. Die landeten dann oben in der Tabelle, Kämpfer wie Vachier-Lagrave, Dubov und Giri mussten dagegen schwitzen und zittern, zwei dieser drei waren am Ende unter den besten acht.
Warum das Ganze „Major“ heisst mit doppeltem Preisgeld und doppelten Tourpunkten – gute Frage, nächste Frage.
Zuerst der Endstand nach der Vorrunde und dann ein eher kurzer und knapper Bericht Spieler für Spieler: Carlsen, So, Nakamura 6.5/11, Nepomniachtchi und Radjabov 6, Aronian 5.5, Vachier-Lagrave, Dubov, Harikrishna, Grischuk 5, Giri und Anton Guijarro 4.5. Innerhalb der Gruppen sind die Spieler nach Tiebreak sortiert, was kleine und große Folgen hat: zum einen beeinflusst es die Paarungen der nun anstehenden KO-Phase, zum anderen entschied es wer da noch dabei ist. Nakamura hat sich den dritten Platz verdient, indem er gegen Carlsen patzte – erster Tiebreaker direkter Vergleich. Zwischen diesen beiden der Remisspieler Wesley So. Nepomniachtchi vor Radjabov, da der Russe das Remisspielen nicht ganz so gut beherrschte – zweiter Tiebreaker Anzahl der Siege oder Anzahl der Niederlagen. MVL gewann gegen Grischuk und hat so am Ende die KO-Runde erreicht, wie auch Dubov der ziemlich entschieden spielte – fast so entschieden wie Anish Giri.
Magnus Carlsen: Ein Geschenk an ihn habe ich bereits erwähnt, insgesamt bekam er drei. Warum erzielte er dann nur +2? Weil er eines nicht auspackte. Gleich zu Beginn hatte Aronian mit 42.-Td4???? einen Turm eingestellt – Aronian sah es nach Ausführung dieses Zuges, Carlsen sah es nicht. So musste der Norweger sich bis Runde 5 gedulden – da machte Dubov den Dummbov und verlor ein Remisendspiel, das kennt man ja von Carlsen-Gegnern. Der Carlsen-freundliche Livekommentar nannte das brilliante Endspieltechnik, erwähnte dabei allerdings, dass 42.Sb8 vielleicht doch „nothing special“ war. Das war der Fall, es blieb in der Remisbreite bis Dubov auf Abwege geriet. 46.-Tb1 war etwas zu schwungvoll – u.a. 46.-Tb2 hält locker Remis, auf 47.f4 wie in der Partie käme dann 47.-Tg2, neben Schach auch Matt. 46.-Tb1?! 47.f4 Tg1+ war dagegen nur ein Schachgebot – Dubov hoffte sicher auf weitere und Dauerschach, aber das funktionierte nicht. Nur“?!“ da er im 50. Zug noch eine Remischance verpasste, hier musste sein König ausgerechnet nach h8 – aber das war bei knapper Bedenkzeit schon nicht mehr trivial.
Dann war da noch die vorletzte Runde gegen seinen alten Bekannten Nakamura. Carlsen zeigte mit 5. ähm äh Te1 gegen den Berliner Spanier seinen ganzen Remisehrgeiz, aber auch da war der 50. Zug partieentscheidend – 50.-Ld5??? war ein grober Patzer nach reiflicher Überlegung, gut 2 Minuten.
Wesley So spielte Remis, Ausnahmen bestätigten die Regel. Giri wollte in Runde 3 unbedingt verlieren, So tat ihm diesen Gefallen. In der letzten Runde wollte Dubov kein Remis, das hätte er sicher bekommen, sondern eine komplizierte Partie mit beiderseitigen Chancen. Einmal griff er daneben und So profitierte – mit hübschen und ungewöhnlichen aber nicht allzu komplizierten taktischen Motiven.
Hikaru Nakamura hatte von Anfang an +1, lange blieb es dabei. Grischuk hatte sich die Niederlage in Runde 1 hart erarbeitet, gleich viermal landete er in einer Verluststellung – einmal im Mittelspiel und dreimal im Turmendspiel. Danach spielte Nakamura Remis, bis auf die drei letzten Runden. Erst patzte Außenseiter und Kellerkind David Anton bereits im 14. Zug, dann die erwähnte Partie gegen Carlsen. Und dann profitierte Nakamura davon, dass Giri mit Schwarz unbedingt gegen ihn gewinnen musste.
Ian Nepomniachtchi begann, milde ausgedrückt, verhalten. In Runde 2 eine Niederlage gegen Grischuk – sein italienisches Bauernopfer im 13. Zug war objektiv betrachtet ein Bauerneinsteller, auch wenn die Partie danach noch lange dauerte. Das in Runde 4 gegen MVL war sicher kein Qualitätsopfer, die Qualle kam ihm abhanden und außerdem taumelte sein König im Endspiel in einem Mattnetz. Nepo überlebte nicht nur sondern gewann diese Partie gar, wohl da der Franzose zu lange auf Gewinn spielte und vom König unterstützte gegnerische Freibauern unterschätzte. So musste MVL im weiteren Verlauf zittern, während Nepo davon ausgehen konnte dass 50% am Ende reichen würde – nach möglichen -2 hätte er erheblichen Nachholbedarf gehabt.
+1 erzielte er in einer wilden Partie gegen Dubov, der laut Engines zunächst volle Kompensation für einen ganzen Turm hatte und dann nicht mehr – das schwarze Damenmanöver 25.-27.-Df8-g7-h8-g7 war in diesem Sinne falsch.
Bei Teimour Radjabov kann ich mich wieder kürzer fassen: Endspielsieg gegen David Anton und zehn Remisen.
Levon Aronian hatte bei all der Remiserei am Ende als einziger 50%. In Runde 2 gewann er ein sizilianisches Duell gegen Anish Giri, das vielleicht keinen Verlierer verdient hatte – aber Schwarz (Giri) verpasste ein quasi studienartiges Remis im Endspiel. Da er +1 lange behielt, hatte eine Niederlage in der letzten Runde gegen David Anton keine (erheblichen) Konsequenzen.
Bis auf Nepomniachtchi hatten alle bisher genannten Spieler ein recht entspanntes Turnier, das war bei den verbleibenden nicht der Fall.
Maxime Vachier-Lagrave – Ende gut, alles gut und das gerade so. Auf gut französisch deja vu, so war es für ihn auch im ersten Turnier der Serie. Die durchaus vermeidbare Niederlage gegen Nepomniachtchi hatten wir bereits, endgültig chancenlos schien er nach einer weiteren Null gegen Anish Giri – wieder nach sizilianischen Komplikationen. Das wollte Grischuk in der letzten Runde nicht, also von ihm 1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.Lb5+ und dann möglichst schnell möglichst viele Figuren abtauschen. Aber das Endspiel entglitt ihm komplett – schwer zu sagen, wo er den entscheidenden Fehler machte. Das waren quasi 1,5 Punkte für MVL, da es ja auch seinen Tiebreak entscheidend positiv beeinflusste. So war er einer von zwei Siegern mit 5/11, es gab auch zwei Verlierer.
Nicht Daniil Dubov, dessen drei Niederlagen wir bereits hatten. Daneben gewann er zweimal: Die Partie gegen David Anton war mal wieder großes Kino: Es begann mit 18.d5!!??!, das findet bei beiderseits hängenden Figuren vielleicht nur Daniil Düsentrieb Dubov. Für Engines war es dabei „nothing special“, aber der Spanier geriet auf Abwege. Eine Chance bekam er noch: Dubovs 29.Ta5 war nicht schwungvoll genug, richtig war 29.Txa6 – was noch eine Qualität ins Geschäft steckt, aber die Aktivierung dieses Randspringers unterbindet. So ging 29.-Sc5 nebst -Se4+, aber David Anton entkorkte 29.-d4??! – weg mit dem Lb7 und Dauerschach wäre kreativ, wenn es funktioniert hätte.
Sein anderer Sieg gegen Giri war weniger Magie aber enthielt auch taktische Motive, und das aus einer optisch harmlosen Eröffnung heraus.
Pentala Harikrishna hätte sich qualifiziert, wenn er seine Remisserie komplett durchgezogen hätte, aber einmal verlor er (s.u.).
Für Alexander Grischuk reichte es auch nicht, seine drei entschiedenen Partien hatten wir bereits.
Wieder mehr zu Anish Giri: Er hatte zwei gut genuge Tage – am zweiten und dritten Tag 50% bei einer Remisquote von jeweils und insgesamt 50%. Auch am ersten Tag remisierte er zwei von vier Partien, aber da kombinierte er es mit zwei Niederlagen. Die meisten seiner entschiedenen Partien hatten wir bereits, bleibt der Sieg gegen Harikrishna: Er wirbelte taktisch und bekam so Oberwasser – aus gegnerischer Sicht vermeidbar aber dessen Fehler waren nicht, Anleihe beim Tennis, „unforced“. Paradoxerweise war Giri mit seinem Spiel durchaus zufrieden oder jedenfalls nicht unzufrieden, nur die Ergebnisse stimmten nicht.
David Anton Guijarro hat mitgespielt – beim nächsten Turnier vielleicht wieder der Fall, wenn er seine spanischen Fans auf chess24 erneut mobilisieren kann. Das Publikum darf abstimmen, wer von den ausgeschiedenen Spielern trotzdem erneut mitspielen darf. Verdient hätte es aus meiner Sicht Anish Giri aber der wird es wohl nicht – dafür sind die Niederlande zu klein und international ist er, warum auch immer, eher unpopulär.
Wie geht es weiter? Mit diesen KO-Matches:
Carlsen-Dubov: Schüler gegen Lehrer, der Lehrer betrifft kreativ-dynamisches Schach ist dabei der jüngere Spieler und Außenseiter.
So – Vachier-Lagrave – auch hier ist der als zweiter genannte Spieler der kreative.
Nakamura-Aronian und Nepomniachtchi-Radjabov sind die beiden anderen Matches.
Vielleicht gibt es ab morgen weniger Remisen, vielleicht gewinnen auch die Opportunisten mit einem Sieg und sieben Remisen.
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