November 28, 2024

Vorschau zu Tata Steel Chess 2019

Ab nächstem Wochenende schaut die Schachwelt wieder nicht etwa nach London, St. Petersburg oder gar St. Louis – nein, im Mittelpunkt steht dann ein kleines im Winter (Ausnahme Januar) wohl recht verschlafenes Dorf an der niederländischen Nordseeküste. Jedenfalls an den meisten Turniertagen, zwischendurch verlagert sich das Geschehen auch mal nach Alkmaar und Leiden – wobei deutsche Schachfreunde wohl auch dann Wijk aan Zee im Blick behalten werden.

Das muss als Vorrede reichen, nun zunächst die 28 Protagonist(inn)en:

Masters: Carlsen, Mamedyarov, Ding Liren, Giri, Kramnik, Anand, Nepomniachtchi, Radjabov, Duda, Rapport, Shankland, Fedoseev, Vidit, Jorden van Foreest.

Challengers: Korobov, Maghsoodloo, Kovalev, Bareev, Erwin l’Ami, Gledura, Chigaev, Esipenko, Praggnanandhaa, Keymer, Lucas van Foreest, Elisabeth Paehtz, Saduakassova, Kuipers.

Den Vornamen nenne ich dann, wenn es sonst zu Missverständnissen kommen könnte. Machteld van Foreest ist zwar weiblich (was bei Einladungen hilft) aber mit Elo 2012 noch nicht gut genug für einen Platz auf der Bühne. Sie ist dabei auch vor Ort, als eine von vielen im Amateurbereich. Alina l’Ami, ebenfalls weiblich, wird wohl auch dieses Jahr fotografieren und die Bühne nur zu Rundenbeginn betreten. Bei Paehtz haben sie sich für die Tochter entschieden, obwohl der Papa den GM-Titel hat. Was nicht ist kann vielleicht noch werden – das gilt für vier der fünf zuletzt genannten Schachspielenden (ist das politisch korrekt?), Lucas van Foreest ist bereits GM. Gleich zwei Deutsche auf der Bühne in Wijk aan Zee, gab es das bereits? Ja, jedenfalls 1986 – damals spielten Vlasti Hort und Doc Hübner in der A-Gruppe, ansonsten habe ich nicht im Detail recherchiert. Näheres zur B-Gruppe später, nun erst die Masters:

Carlsen darf nicht fehlen – Ähm äh auf dem Schachbrett und Medien gegenüber muss sein, außerdem ist er Titelverteidiger (nach Stichkampf) und Weltmeister. Giri darf auch nicht fehlen – flotte Sprüche (auch auf der Twitter-Tastatur) muss sein, außerdem ist er Lokalmatador und war letztes Jahr über 13 Runden gleichwertig mit Carlsen. Im Pressebereich hörte ich (nicht nur von Niederländern), dass er dabei das bessere Schach spielte – immer Ansichtssache, und dieses Jahr höre ich nichts aus dem Pressebereich.

Da er Lokalmatador ist, wurde Giri dieses Jahr bereits fotografiert – bzw. es war wohl Ende letzten Jahres bei der Ankündigung des gesamten Teilnehmerfeldes. Dienstag ist er wieder in Alkmaar – „Meet and Greet“ für alle Schachfans, Eintritt frei (wie auch in Wijk aan Zee). Jorden van Foreest (zu ihm komme ich noch) ist auch dabei, nicht als Schachfan sondern ebenfalls als geladener Gast.

Ich gehe davon aus, dass das Publikum Mamedyarov, Ding Liren, Kramnik, Anand und auch Nepomniachtchi ebenfalls bereits ausreichend kennt. Radjabov ist direkt hinter Nepo Nummer 14 der Weltrangliste – für mich überraschend, er schaffte es indem er letztes Jahr fast gar nicht spielte und wenn dann erfolgreich. Neun Remisen beim Gashimov Memorial waren ein Erfolgserlebnis, es brachte schliesslich drei Elopunkte.

Interessanter wird es aus meiner Sicht dahinter. JK Duda wurde nicht wegen seinem Abschneiden bei der Blitz-WM eingeladen sondern bereits zuvor. Hat der Pole das Zeug für noch mehr (oder wenn man so will weniger) als Platz 18 in der Weltrangliste? Richard Rapport ist ewig unberechenbar-wechselhaft, momentan hat er mal wieder ein Elohoch.

Samuel Shankland (Archivfoto New in Chess, Quelle Tata Steel Facebook) konnte 2015 in der B-Gruppe mit Wei Yi und Navara nicht ganz mithalten, wobei 9/13 auch ein gutes Ergebnis war. Letztes Jahr hatte er noch bessere Ergebnisse und schaffte so den Sprung auf Elo über 2700.

Vladimir Fedoseev (Archivfoto New in Chess, Quelle Tata Steel Facebook) bekommt endlich mal „einfach so“ eine Superturnier-Einladung, zuvor musste er sich für Dortmund (als Aeroflot-Sieger) und russische Meisterschaften qualifizieren. Diese Chance hatte er in Wijk aan Zee nicht, da er noch nie in der B-Gruppe mitspielte. Bei früheren Gelegenheiten zeigte er, dass er mit der Weltelite durchaus mithalten kann, dabei ist auch er etwas unberechenbar-wechselhaft. Dieselbe Pose wie einmal auch Magnus Carlsen, was soll das denn??

Santosh Vidit bekam letztes Jahr die Chance, sich als Sieger der B-Gruppe zu qualifizieren, und nutzte sie souverän.

Jorden van Foreest wollten einige bereits 2017 hinten auf der Bühne sehen (vorne spielen die Challenger) – schliesslich wurde er 2016 ebenso überraschend wie verdient niederländischer Meister, und früher bekam der NL-Meister automatisch eine Einladung auf höchstem Niveau in Wijk aan Zee (z.B. auch Gert Ligterink, dieses Jahr wohl wieder als Reporter vor Ort). Aber das war früher, bevor aus Wijk aan Zee ein Weltklasse-Turnier wurde. Damals waren die Organisatoren der Ansicht, dass es für Jorden zu früh kommen würde. Seither machte er zwar elomässig kaum Fortschritte bzw. da die zweite Jahreshälfte 2018 nicht nach Wunsch verlief am Ende gar keine, aber er wurde vielleicht reifer/erwachsener – im Sinne von: man traut ihm nun eher zu, dass er ein Ergebnis deutlich unter 50% wegstecken kann.

Immerhin war Jorden beim Match in Hoogeveen mit klassischer Bedenkzeit auf Augenhöhe mit Fedoseev (3-3, dann Niederlage im Stichkampf). Danach verrieten drei der vier Protagonisten – der dritte war Shankland – bereits, dass Tata Steel Masters sie eingeladen hat. Der vierte im Bunde war Peter Svidler (Matchsieger gegen Shankland), der weder in Wijk aan Zee noch in Gibraltar spielt, vielleicht redet er mal wieder über Schach. Die Gibraltar-Teilnehmerliste wird von Vachier-Lagrave, Aronian und So angeführt, Caruana fehlt offenbar hier wie dort (Wijk aan Zee hatte sich anscheinend um ihn bemüht aber bekam ihn nicht).

Bei den Challengers beginne ich mal unten: IM Stefan Kuipers hat sich als Sieger der höchsten Amateurgruppe 2018 qualifiziert. Das versuchen dieses Jahr wiederum die IMs Beerdsen und Vrolijk – 2018 punktgleich mit Kuipers bei schlechterer Wertung. Diverse andere IMs sind derzeit noch in Amateurgruppe 1 eingeteilt, ein Niveau unter der Topgruppe, aber einige werden wohl dazu stossen.

Wijk aan Zee will auch Damen, auch wenn sie (seit die C-Gruppe abgeschafft wurde) oft Elo-Fremdkörper im Turnier sind – zumal viele der besten dem Gibraltar-Lockruf folgen (dieses Jahr u.a. Ju Wenjun, Doppel-Muzychuk, Lagno, Koneru, ….). Sie schauten vielleicht, wer am Damenbrett der spanischen Mannschaftsmeisterschaften erfolgreich war, fanden Paehtz und Saduakassova und konnten sich nicht entscheiden.

Diesmal wollten sie dann aber nicht, dass die Damen mindestens 100 Elopunkte schlechter sind als (bis auf den Qualifikanten) alle anderen, was tun? Sie haben nach Elo vergleichbare junge Spieler eingeladen, neben Lucas van Foreest auch Vincent Keymer und Rameshbabu Praggnanandhaa. Hinweis an diejenigen, die es interessieren könnte (wohl auch der eine oder andere Zuschauer): für eine GM-Norm braucht man bzw. frau offenbar 7/13 – bei starken Gegnern zu Beginn des Turniers reicht wohl auch Zwischenstand 4.5/9.

Auch in der verbleibenden etwas grösseren oberen Elohälfte diverse junge Spieler, auch wenn Chigaev (*1996) das Juniorenalter hinter sich hat – Esipenko, Gledura und Maghsoodloo werden dagegen hier noch erwähnt. Kontrastprogramm vor allem von Bareev (*1966), der sonst nur noch sporadisch spielt, 2018 nur bei der Olympiade für seine derzeitige Heimat Kanada. Kovalev sollte man nicht mit Kovalyov oder auch Kovalenko verwechseln – Temperaturen in Wijk aan Zee offenbar derzeit über Null (München ist dagegen weiss), Shorts wohl dennoch nicht zur Jahreszeit passend. Nach Elo-Papierform sollten Kovalev, Maghsoodloo und Korobov den Turniersieg unter sich ausmachen. Korobov ist dabei nach eigener Aussage letztes Jahr nicht nur alt sondern auch fett, dennoch konnte er lange mit Vidit mithalten und bekommt wohl deshalb wieder eine Chance.

Damit fehlt nur noch einer, der in Wijk aan Zee nie fehlt: Erwin l’Ami. Mit 33 Jahren hat er den Rekord(?) von Loek van Wely, 25-mal Wijk aan Zee, wohl noch nicht erreicht, aber ist auf dem Weg dahin. Loek hat offenbar mit Wijk aan Zee abgeschlossen – bis auf, so war es jedenfalls 2018, die eine oder andere Blitzpartie im Pressebereich. Betrifft andere Niederländer: nach Robin van Kampen ist nun auch Benjamin Bok Student, und zwar in den USA.

So das war eine Menge Text, nochmals Bilder:

Tata Steel Chess on Tour hatte eigentlich immer einen modernen und einen historischen Austragungsort, diesmal bietet Alkmaar am 16. Januar offenbar beides. Das ist der Hauptschauplatz Taqa Theater de Vest (konnten sie sich wegen Taqa fast gleich Tata gegen andere Bewerber durchsetzen?).

Applaus aus dem nicht neutralen Publikum für Giris Sieg gegen Carlsen. Quatsch, noch wissen wir ja nicht, wann und demnach wo sie aufeinander treffen, und das Ergebnis kennen wir auch noch nicht.

Und das – am selben Platz gegenüber – ist die Grote Kerk, Schauplatz des Rahmenprogramms, u.a. NL-Meisterschaft im Schulschach. Wie alt ist diese Kirche?

Dieses Bild stammt vom 500. Geburtstag der Kirche, der 2018 ausgiebig gefeiert wurde.

Der andere Ausflug geht am 23. Januar nach Leiden. Da verraten sie noch nicht, wo genau gespielt wird. [Alkmaar war ab Texel problemlos erreichbar, für eine Stelle in Leiden war ich in der engeren Wahl – es kam anders.]

Gespielt wird vom 12.-27. Januar mit Ruhetagen am 17., 21. und 24. – zweimal nach den Ausflügen, auch wenn es diesmal keine allzu weiten Reisen sind (26km nach Alkmaar, doppelt so viele nach Leiden). Rundenbeginn generell um 13:30, auswärts um 14:00 (die Challenger bleiben in Wijk aan Zee und beginnen zur gewohnten Zeit), letzte Runde bereits um 12:00. Danach kommt ja noch die Abschlusszeremonie und vor dieser, wenn es wieder sein muss, ein Stichkampf um den Turniersieg. Anscheinend wieder nur in der A-Gruppe, wobei es eigentlich in der B-Gruppe wichtiger ist, wer gewinnt und 2020 dann hinten auf der Bühne spielen darf. Bedenkzeit in beiden Gruppen 100 Minuten für 40 Züge, 50 weitere bis zum 60. Zug, dann nochmals 15 Minuten und 30 Sekunden Inkrement ab dem ersten Zug.

Weitere Berichterstattung zum Turnier, schau’n mer mal.

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