Juli 27, 2024

Hängepartie

Die Erfurterin Elisabeth Pähtz ist seit zwei Jahrzehnten Deutschlands beste Schachspielerin

Foto: Karsten Wieland

Von Steffen Eß

Großmeisterin Elisabeth Pähtz trifft die Krise besonders hart. Erhoffte Hilfe gibt es bisher nicht

Erfurt. Gewöhnlich denkt sie voraus, hat zig Züge berechnet, ehe die Figuren gerückt werden. Als Schachspielerin von internationalem Format muss Elisabeth Pähtz das beherrschen. Das gilt auch für ihre Turniertermine. Ihr Jahr ist zeitig geplant gewesen. Bis Corona kam. Es gleicht einer Hängepartie. Nur dauert sie nicht nur ein paar Stunden oder einen Tag, wie es die einst praktizierte Regel vorsah, um ein allzu zähes Ringen zu unterbrechen.

Abgehängt fühlt sich die Erfurter Schachspielerin seit mehr als vier Monaten. Und allein gelassen. Dabei hätte 2020 ereignisreich verlaufen können. Im April Bundesliga der Frauen mit Baden-Baden, Eliteliga der Männer mit Dresden, ein Grand Prix der weltbesten Spielerinnen im Mai auf Sardinien, die griechische Top-Liga im Juni, Weltcup im August, die Schach-Olympiade in Khanty-Mansijsk dazu.

Stattdessen: zu Hause sein, per Videostream daran arbeiten, ein neues Tätigkeitsfeld zu eröffnen, ein wenig Unterricht geben – und sich auf Magdeburg freuen. Das am 16. August beginnende German Masters der Frauen wird für sie das erste Turnier seit März sein. Eines, das die Frauen-Großmeisterin und Internationale Meisterin der Männer aus Erfurt nicht mehr im Plan hatte, weil sie eigentlich beim Weltcup gespielt hätte.

Nach ihrem notgedrungenen Verzicht ist sie dankbar, durch eine Absage ins Feld gerückt zu sein. Als Nummer eins in Deutschland kann sie endlich wieder ganz real am Brett sitzen – und auf eine Einnahme hoffen. Immerhin.

Elisabeth Pähtz verdient ihren Lebensunterhalt mit dem königlichen Spiel. Das heißt, viel unterwegs und vor allem sehr gut zu sein, um an ein Auskommen denken zu können. Schach ist kein Tennis, kein Fußball. Und Frauen-Schach ist nochmal ein Unterschied.

Umso heftiger, wenn alles ausfällt. Ein Ende ist nicht abzusehen. Wahrscheinlich wird es bis Oktober international kein großes Turnier geben. Und was im November oder Dezember ist, „wissen wir nicht“, sagt die 35-Jährige mit sorgenbelegter Stimme. Rund 15.000 Euro Minimum fehlen seit März. Es waren geplante Einnahmen, deren Wegbrechen die erfolgreichste deutsche
Schachspielerin nun vor dem Sogut-wie-Nichts stehen lassen.

Erfurt war immer Rückzugsort, derzeit ist es Heimat. Das elterliche Haus, der Garten. Aus Kostengründen, sagt Elisabeth Pähtz. Bei wenigen hundert Euro Sportförderung muss sie sich einschränken, gleichwohl sie andere Pläne hat. Ein Umzug steht an. Wieder Richtung Berlin, die Stadt der Träume. Einige Freunde hat sie dort und im Umland eine Wohnung gefunden.

Am Pätzer See, wunderbare Lage. Ein Ort zum Leben. Ein Platz mit Perspektive, wie sie findet. Im Internet boomt Schach. Elisabeth Pähtz verbreitet ihr Wissenüber Twitch oder Youtube. Es findet Anklang. 20.000 Follower sind ein Anfang. „Es bewegt sich aber sehr langsam“, sagt die Erfurterin. Die Hoffnung ist dennoch groß, dass sich daraus ein zusätzliches Standbein
ergeben könnte. Umso mehr, da sich alle Hoffnungen auf Unterstützung bisher zerschlagen haben.

In den Corona-Hilfspaketen ist an professionelle Denksportler nicht gedacht worden. Pähtz hat ein paar Versuche unternommen, bis auf einen Zuschuss von 500 Euro für Krankenkassen-Beiträge ohne Erfolg. Durch wirtschaftsorientierte Kriterien erfahren nur jene Unterstützung,die betriebliche Ausgaben vorweisen können. Ein jüngster Anlauf endete sogleich wieder, weil sie
keinen Steuerberater besitzt. „Das ist nicht das, was hilft.“ Die Erfurterin teilt als Schachspielerin das Los von Künstlern. Eine Freundin, eine der Besten mit Gambe und Mandoline, wäre noch schlechter dran.

„Ich verstehe nicht, warum es für Unternehmen geht, und für Sportler nicht“, beklagt Pähtz. „Selbstständig ist selbstständig, da sollten alle Hilfe bekommen, Künstler wie Sportler“, sagt sie. Für den existenzbedrohten Mannschaftssport würden Millionen locker gemacht. Selbst in Thüringen. Möglicherweise bietet das Programm für den Profisport eine Chance. Es ist eine leise Hoffnung.

Den Glauben verbindet Elisabeth Pähtz mit ihrem Tun, ihren Plänen und damit, bei Rückschlägen nicht aufzustecken, auch wenn es mitunter schmerzt.  Das kennt sie aus der Heimat. Schach als nichtolympischer Sport hat es überall schwer. In Thüringen ruft es bei ihr das Gefühl hervor, kaum vorzukommen. Bei der Sportgala ist sie als Vierte der Wahl zur Thüringer Sportlerin 2018 dabei.
Ihr Sport aber findet im eingespielten Bewegtbilder-Mix keinen Platz.

Jugend- und Juniorenweltmeisterin mehrfache deutsche Meisterin. Schnellschach-Europameisterin, Vize-Europameisterin im Blitzschach, EM-Bronze im klassischen Schach. Ihre Erfolge holte Elisabeth Pähtz auch für Thüringen, zurückgekommen sei bisher nie etwas. „Das ist schade“, findet sie.

Quelle Thüringer Allgemeine 6. Juli 2020