Dezember 21, 2024

„Legends of Chess“ ist vorbei

Wie bitte, es gibt doch noch eine KO-Runde? Ja, aber alle Legenden sind bereits ausgeschieden. Es sei denn, man betrachtet Carlsen als Legende. Dazu gehört für mich Charisma und Persönlichkeit, das fehlt beim Norweger – dafür hat er ja eine PR-Truppe und ist ohnehin Medienliebling. Svidler ist auch einer der sechs, die nur zu diesem Turnier der Serie eingeladen wurden, aber – wobei ich ihn als Kommentator und Mensch schätze – nicht dasselbe Kaliber wie die fünf anderen.

Das ist der Endstand des Rundenturniers: Carlsen 25, Nepomniachtchi 20, Giri 18, Svidler 14, Ivanchuk 13, Kramnik 12, Gelfand 11, Ding Liren 9, Anand 7, Leko 6. Die fett gedruckten Spieler sind noch im Rennen um den Turniersieg. „Best of the rest“ ist Ivanchuk, der sich nach seinen unnötigen Matchniederlagen gegen Carlsen und Svidler wohl so fühlte wie auf dem Titelbild (Quelle Gibraltar 2019). Dadurch war er nie im Rennen um die ersten vier Plätze – im Gegensatz zu Kramnik, der aber zu Turnierende einbrach. Laut eigener Aussage waren neun Tage Schnellschach ohnehin genug für ihn.

Ein gewisser Jim Eadon kommentierte auf chess.com „It’s irritating that we get a dreary drawmaster qualify, instead of a „Legend“.“ (Irritant, dass sich ein dröger Großmeister auf Kosten einer Legende qualifiziert). Nun, Carlsens Qualifikation war unvermeidlich. Aber er, bei anderen Gelegenheiten offensichtlich Carlsen-Fan, meinte wohl Giri – ein guter Carlsen-Fan hasst Giri, aber der ist wahrlich nicht dröge, weder am Brett oder Monitor noch beim Drumherum. Gerade bemerke ich auch, dass ich das nicht ganz korrekt übersetzt habe, aber Giris Ruf als Remisspieler ist unverdient – Absicht kann man ihm nicht unterstellen. Nun eher kurz zu allen Spielern:

Carlsen ist und bleibt der KggF – König des groben gegnerischen Fehlers. Das Format mit vier Schnellpartien hat er sich ausgedacht, weil es mitunter erst in der vierten Partie der Fall ist. So war es gegen Anand, Leko und Svidler. Gegen Svidler stand er allerdings schon zuvor mehrfach besser, wusste mit seinen Vorteilen aber nichts anzufangen – dann eben sein Lieblingsszenario: der Gegner vergeigt ein haltbares Endspiel.

Manchmal kamen gegnerische Fehler schon früher, was Match und auch Partieverlauf betrifft. Gegen Giri entkorkte er (1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 d5 4.Sc3 Lb4 5.Lg5 h6, soweit bekannt) 6.Ld2 (zuvor nur von Elo <2400 gespielt, aber halt ähm äh, demnach keine Überraschung für den Gegner) 6.-0-0 7.g4 doch nicht ähm äh!?? Giri verwendete viel Bedenkzeit und reagierte doch falsch, dann ist auch Carlsen ein Dynamiker. Gelfand verzichtete mit Schwarz in einem Sveshnikov-Sizilianer (mit 7.Sd5) auf das typische -f5 und brachte ein Bauernopfer mit Tempoverlust (13.-b6, 15.-a6, 16.-b5), er war im gesamten Match (0-3 aus seiner Sicht) lieb zu Carlsen. Ding Liren patzte im Anti-Moskauer, Nepomniachtchi im Grünfeld-Inder – jeweils sah Carlsens Sieg danach einfach aus, weil es auf GM-Niveau einfach war.

Carlsens erste Partie gegen Ivanchuk war allerdings ein unvollendetes Meisterwerk. Zutiefst beeindruckend, wie er viele Züge lang nichts machte – Detail, dass er nichts machen konnte und schlecht bis verloren stand, denn dann kamen gegnerische Fehler, gar mehrfach. Aber … Carlsen nutzte diese nicht und machte am Ende gar selbst einen FEHLER – 74.Db3?? drohte zwar einiges, aber zuerst war Chucky dran und konnte mattsetzen. In der dritten Partie stand Ivanchuk eher besser als schlechter und verlor dann den Faden – Ausgleich im Match. Auch im Armageddon war er am Drücker und verlor dann unnötig.

Armageddon war ja mal allerletzte Notlösung, wenn man unbedingt einen Sieger braucht. Nun gab es das fast täglich, warum darf ein Match eigentlich nicht unentschieden enden – in der Vorrunde und eventuell auch in den ersten beiden Matches der KO-Phase? Noch mehr AU (Armageddon-Unsinn) ist aus meiner Sicht, dass es auch nach dem 60. Zug kein Inkrement gab – angeblich kann man das im Internet nicht programmieren (bei DGT-Uhren geht es). So wurde die Uhr oft zur Hauptsache und die Stellung auf dem Brett eher Nebensache.

Nepomniachtchi war ein zynischer und erfolgreicher Armageddon-Spieler, daneben bzw. davor im Schnellschach sehr unternehmungslustig. Erst zum Turnierende verlor er zweimal, jeweils im Armageddon: gegen Carlsen (er konnte seinen Grünfeld-Lapsus kompensieren) und gegen Gelfand – ältester Teilnehmer, trotzdem zweimal Armageddon-Sieger (tags zuvor gegen Leko).

Nur beim Match gegen Giri stimmte die B-Note nicht, aber wen interessiert schon die B-Note? Aus zwei Verluststellungen erzielte er zwei volle Punkte, und danach noch ein ungefährdetes Remis. Carlsen und Nepo standen, auch aufgrund dieses Matches, früh als KO-Teilnehmer fest, für die beiden verbleibenden Plätze gab es drei Kandidaten (auch wenn Ivanchuk Kramnik dann noch überholte).

Giri hatte im Turnierverlauf Nachholbedarf, da er in Runde 1 gegen Carlsen verlor und in Runde 3 gegen Nepomniachtchi. Langsam aber sicher erreichte er die Qualizone. Positionelle Siege waren darunter (gegen Kramnik und Leko), aber auch dynamisches Schach – einige Siege eher aus dem Nichts heraus. „Dreckig“ war der Armageddon-Sieg gegen Anand nach zuvor viermal Remis. Die Armageddon-Niederlage in der vorletzten Runde gegen Ivanchuk konnte er verkraften, für 2-2 im Schnellschach gibt es ja bereits einen Punkt und diesen einen Punkt brauchte er noch. Das letzte Match gegen Svidler war Spiel um Platz drei (Halbfinalgegner Nepomniachtchi) bzw. vier (Halbfinalgegner Carlsen).

Svidler überraschte sich selbst. Er begann mit drei Siegen, alle etwas kurios: Anand machte in Gewinnstellung einen Verlustzug. Gegen Leko lag Svidler zurück und konnte den Gegner dann zweimal taktisch überlisten. Gelfand hatte eine optisch vielversprechende Angriffstellung, dann ging es nicht so recht weiter und dann übernahm Svidler das Kommando.

Danach kam lange wenig von Svidler, das Polster schmolz dahin. Sein Sieg gegen Ivanchuk passte eher nicht zum Matchverlauf: im Schnellschach stand Chucky dreimal klar besser bis gewonnen aber erzielte aus diesen Partien drei Ergebnisse (Sieg, Niederlage und Remis). Armageddon war schachlich gehaltvoll mit wechselnden Vorteilen, am Ende entschied die Uhr zugunsten von Svidler.

Wichtig war danach der Sieg gegen seinen alten Bekannten Kramnik. In der ersten Partie hatte Kramnik ungewöhnlich früh ein Problem: wohin mit dem König nach 13.-Lh4+ ? 14.Kd2 war richtig, das gespielte 14.Ke2 falsch – ab hier hatte Svidler Oberwasser. Das zweite 1.e4 c5 Experiment lief besser für Kramnik, aber dann konnte er eine Gewinnstellung nicht gewinnen. In der vierten Partie musste er nun mit Schwarz gewinnen – besser stand er zunächst (unklar ob jemals gut genug), dann nicht mehr und zum Schluss war er mit Remis gut bedient.

Ivanchuk wurde bereits erwähnt, andere Matches liefen teils besser für ihn. Turnierrelevant war sein Sieg in Runde 7 gegen Kramnik – 3-1 ohne Remisen. In diesem Sinne irrelevant die Armageddon-Siege danach gegen Giri und Anand – im Qualisinne hätte er beide Matches im Schnellschach gewinnen müssen.

Kramnik war lange vorne dabei (nicht ganz vorne, aber Platz drei oder vier), das änderte sich durch drei Niederlagen in den drei letzten Runden. Insgesamt zeigte er, dass er noch Schach spielen kann – Spass machte es ihm wohl auch, aber nun reichte es ohnehin.

Ding Liren, zuvor dreimal Halbfinalist, hatte diesmal kein gutes Turnier. Nun muss er Carlsen die Daumen drücken: wenn der Norweger gewinnt ist der Chinese beim abschliessenden Vierkampf der Serie dabei, sonst darf der Sieger dieses Turniers antreten. Nakamura, diesmal Zuschauer, darf auch nochmal Schnellschach um viel Preisgeld spielen.

Bei Anand lief wenig zusammen. Zum einen war da der Unfall gleich zu Beginn gegen Svidler, zum anderen war er in Armageddons zu langsam und wurde von jüngeren Spielern gnadenlos über die Zeit gehoben (bzw. gegen Nepomniachtchi patzte er in Zeitnot). Seinen ersten und einzigen Sieg erzielte er in Runde 7 gegen Gelfand. Die vielleicht interessanteste Partie spielte er zuvor gegen seinen alten Bekannten Kramnik – sie wogte hin und her, Remis war vielleicht das gerechteste Resultat. Aber Kramnik patzte im 62. Zug als Vorletzter, und Anand direkt danach als Letzter. In der zweiten Partie war Anand dann allerdings chancenlos.

Leko – einer muss eben Letzter werden, am Ende war es der Ungar.