Von Martin Wolff
Während der Corona-Krise werden unglaublich viele Turniere online gespielt. Das ist auch gut so und man kann den Organisatoren nur danken, dass sie Schachaktivitäten weiterhin durch ihre Arbeit unterstützen. Was mir allerdings nicht gefällt sind die Fantasienamen wie beispielsweise: Luisa2006, AnyBanany oder mediator2015 usw. Bei den meisten Partien die online gespielt und auch auf den diversen Portalen veröffentlicht werden, fehlt der richtige Name des/der Spielers/Spielerin.
Dem Zuschauer/Interessenten wird zugemutet dass er/sie sich überall auf den entsprechenden Plattformen anmeldet, um überhaupt die Partien sehen zu können. Immer mit dem Hintergedanken, dass der Betreiber wieder mit einem neuen Abonnenten rechnen kann. Ausnahme Lichess. Oft fehlt die Adresse wo man die Partien sehen kann. Alles noch sehr dilettantisch. Den Spieler/Spielerinnen ist das Ganze offenbar völlig egal. Sie haben Spaß. Doch für den Zuschauer ist es schwer zu erkennen, wer denn da gegeneinander spielt. So auch bei dem Turnier „Girls vs Women Generations Teamkampf“ auf Lichess.
Hier die Namen der Spielerinnen:
WFM Funkmaus 2186
easy0706 1949
sanaBanana17 1968
Ulla_H 1820
easy0706 1953
libby1 1846
Hannahchesschoc 1930
sanaBanana17 1975
LittiLandwasser 1821
Rani10 1483
libby1 1833
Ulla_H 1828
Hausfrau
Auf Lichess kann man alle Partien nachspielen. Aber was nutzt das wenn man weder den Klarnamen noch den Link von Lichess, wo man die Partien einsehen kann, kennt. Hausfrauen gibt es viele, aber welche ist es?
Bleiben wir beim Turnier „Girls vs Women Generations Teamkampf“ das gestern auf Lichess gespielt wurde. Hier wurde zwar der Link zu Twitch angegeben, doch der Link, wo die Partien zu sehen waren, fehlte. Durch mühsames Suchen findet man das Turnier und siehe da, man kann jede Partie nachspielen. Man muss es nur wissen. Auch kann man jede Partie, von über 80 Teilnehmerinnen, downloaden. Allerdings nur einzeln.
Ein weiteres Beispiel war das erste Online Blitzturnier meines Vereins: Ich selbst nahm nicht teil, erkundigte mich aber Tags darauf beim Sieger, wer denn alles mitgespielt hat, denn ich vermochte nach Eingabe des Links außer zwei Ausnahmen nur Fantasienamen zu erkennen. Er nennt mir zwei, drei Vereinskameraden, aber mehr weiß er auch nicht. Das bedeutet, dem Turniersieger des Blitzturniers des eigenen Vereins sind nach dem Turnier noch immer 50% seiner Gegner, ja, seiner realen Schachfreunde unbekannt!
Vor 20 Jahren habe ich ergiebig im ICC geblitzt. Ich habe mir ein Notizbuch anlegt und neben den Pseudonymen die richtigen Namen eingetragen, die bei ICC einzusehen waren. Ob die Angabe Pflicht war oder freiwillig habe ich vergessen. Nach einigen Monaten waren viele Seiten meines Notizbuches gefüllt. So konnte ich mich über ein Remis gegen den Berliner Anwalt IM Rainer Polzin freuen, ebenso über einen 4:1 Sieg gegen einen in die Jahre gekommenen bulgarischen GM. Gegen Maxim Dlugi, damals einer der besten Blitzspieler der Welt, hatte ich ein ausgeglichenes Turmendspiel auf dem Brett, nur um es doch noch zu verlieren. Und wenn ich gegen Lobron gespielt habe, dann wusste ich, dass es sich um meinen Schachfreund Eric aus Jugendtagen handelt. Chattete ich mit einer sehr stark spielenden Brasilianerin, dann wusste ich, um wen es sich handelt. All diese Informationen sind mir wichtig!
Heute sitze ich vor einem Wust von unbekannten Pseudonymen. Es befriedigt mich nicht, gegen SuperStecher_69 zu gewinnen, wenn es sich in der Realität um Karl Schlappschwanz handelt! Anschließend wird man von ihm gar noch in inkognito beleidigt, wie es mir im ICC sehr oft passiert ist.
Es ist wie beim Fasching, wenn Du mit einer bis zur Unkenntlichkeit maskierten Damen tanzt und eigentlich handelt es sich um einen raffinierten Mann, der Dich vernaschen will.
Allgemein gesagt: Ich liebe Menschen, die es nicht nötig haben eine Rolle zu spielen, sondern sich sowohl im privaten, als auch im beruflichen Bereich authentisch verhalten.
Ich würde mir wünschen, dass auf den gängigen Plattformen alle Spieler mit ihren richtigen Namen auftreten.
Vereinsintern weiß ich, wer sich hinter Pseudonymen verbirgt – in einem mittelgroßen Verein kann man das ohnehin nicht auf Dauer verbergen: man kennt sich, kennt die ungefähre Spielstärke, kennt die Eröffnungsvorlieben, … . Bei der Jugendgruppe (offen für Spieler anderer Vereine) bestehe ich darauf, dass jedenfalls ich als Teamleiter Bescheid weiß – ein Spieler reagierte mal überrascht und hat eher widerwillig seinen Klarnamen verraten.
Bei externen Turnieren ist ja auch der Klarname mitunter nichtssagend. Vor kurzem spielte ich ein Turnier in Nürnberg, bei dem sich in vier Vorrunden 16 Spieler für die KO-Phase qualifizierten – die mussten dann ihren Klarnamen verraten. So erfuhr ich ihn im Nachhinein für drei meiner Vorrundengegner, wobei er nur bei ChainsOfFantasia (anderswo Shelling Ford) „aussagekräftig“ war.
Ich selbst verrate immer meinen Klarnamen – dass man zu meinem Allerweltsnamen dann noch „recherchieren“ muss, dafür kann ich nichts.
Die Anonymität ist, wenn man so will, mit den Online-Spielplatformen gekommen (nicht nur im Schach). Das war schon vor 20 Jahren beim angesprochenen International Chess Club (ICC) so. Nur dass damals viele Spieler ihren richtigen Namen in ihr Profil geschrieben haben, aber längst nicht alle. Möglicherweise waren es prozentual wesentlich mehr als heute auf Lichess. Aber da liegen 20 Jahre dazwischen und die Welt hat sich weiter gedreht und verändert – sehr verändert!
Die Anonymität hat sich massiv verstärkt und wie es scheint, hat keiner etwas dagegen. Ich kann schon verstehen, dass dies nicht schön ist. Aber diejenigen, denen das ein Dorn im Auge ist, sind wohl in einer kleinen Minderheit. Viele andere wiederum, die die mangelnde Transparenz ebenso stört, spielen trotzdem mit, denn sie haben ja keine Wahl – oder nur sehr begrenzt. Der einzige Server, bei dem anonym spielen nicht oder nur sehr eingeschränkt geht, ist jener der FIDE. Auf ihrer Online-Areana muss man bei der Registrierung die FIDE-ID angeben. Wenn man keine hat, wird eine vergeben. Möglicherweise gibt es da ein Schlupfloch, doch so weit ich es beobachten konnte, haben die allermeisten neben ihrem Phantasienamen immer auch ihren richtigen Namen dabei stehen. Gleichwohl ist der FIDE-Server nicht sehr attraktiv, was aber sehr wahrscheinlich nicht an der fehlenden Anonymität liegt. Wer schon mal auf dem Server gespielt hat, weiß was ich meine.
Das Notizbuch ist natürlich eine gute Möglichkeit, etwas Klarheit reinzubringen. Aber nichts hält einen davon ab, das auch heute zu tun. Das mache ich auch, nur ohne Papier. Digital kann ich dann leicht nach Benutzernamen und richtigen Namen wechselnd sortieren, wie ich das gerade brauche oder haben will.
Was ich nicht verstehe: Gerade im eigenen Verein kann man doch problemlos als Bedingung für die Teilnahme, die Offenlegung der richtigen Namen einfordern. Wer das nicht macht, hat kein Zutritt zum Verein bzw. Team, so wie das auf Lichess heißt). Es ist nur eine Frage, wie man das organisiert. Auf Freiwilligkeit setzen ist da freilich etwas naiv.
Außerdem: Wer mit Gleichgesinnten online spielen will, kann sich doch austauschen und jeder weiß dann gegen wen er spielt. Jeder kann ein Turnier erstellen zu jedem Zeitpunkt. Es ist halt nur die Frage, wer damit anfängt.
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Exakt meine Ansicht, lieber Franz Jittenmeier. Der Hauptgrund, warum ich nun praktisch gar nicht mehr online spiele. Anfangs machte es mir nur Stress und nervte mich, aber ich hielt das für „normal“. Nach einer Weile merkte ich: der Stress will nicht weichen, der Spaß stellt sich nicht ein. Der Grund wurde mir mehr und mehr klar: dadurch, das ich keine Ahnung habe, wer mein Gegner ist, wie er aussieht, wie er heißt, wo er herkommt, sein Erscheinungsbild, seine Ansichten über das Spiel, sein Verständnis davon und, zu guter Letzt auch seine Reaktion auf den Partieausgang, einschließlich der Unmöglichkeit (oder macht das etwa jemals einer von euch?) die Partie im Anschluss durchzuschauen, in netter und entspannter Atmosphäre, was alles so entfällt, sprich die Erkenntnis: daran liegt es und es wird vermutlich auch in näherer oder fernerer Zukunft keinen Spaß machen.
Als libby1 (unser „Teamchef“; die Vorsitzende des Schachclubs Kreuzberg) bei Chessbase anfing, Turniere zu veranstalten, mit dem Versprechen, dass sich die Teilnehmer dort persönlich und (hoffentlich) mit Klarnamen anmelden und man also zumindest wüsste, wer der Gegner wäre, entpuppte sich als Farce. Im ersten Turnier erhielt man noch stückweise Informationen, im zweiten entfiel auch dies gänzlich. Alles nur Phantasienamen und sämtlichst mir unbekannt. DIe einzige Konsequenz: der Rückzug auch von diesen Aktivitäten.
Wenn ich das richtig sehe, ist das die Meinung von Martin Wolff, nicht von Franz Jittenmeier.
Es ist die Meinung sowohl von Martin Wolff als auch von Franz Jittenmeier.
Verstehe das Problem nicht. Wir (Wormser Schachverein) haben auch eine Gruppe bei Lichess für die vereinsinternen Turniere. Wir sind ca. 30 Mitglieder dort, von denen jede Woche mindestens 10 an den Turnieren teilnehmen. Bedingung für die Teilnahme ist die Nennung des Klarnamens, der dann in den Gruppenchat geschrieben wird. Das funktioniert ohne Probleme, und bei unseren Turnieren (bis jetzt 13 Stück) hat noch nie ein „Unbekannter“ mitgespielt.