November 24, 2024

Internet-Schach in Coronazeiten

Das gibt es momentan überall – war natürlich 2019 und davor auch schon der Fall, aber momentan ist es alternativlos. Wo die Turniere offiziell stattfinden ist (bis auf eventuell die Zeitzone) ziemlich egal. Wo die Server stehen ist nicht unbedingt allgemein bekannt. Die Spieler sind generell zu Hause – im Wohnzimmer, im Schlaf-, Arbeits- oder Badezimmer, je nachdem was vorhanden ist und was sonst parallel vor Ort passiert.

Deutsche Amateure treffen sich, soweit ich es überblicken kann, vor allem auf Lichess. Das gilt zumindest für mich und meine Jugendlichen: Turniere vereinsintern, in München, in Bayern, deutschlandweit (organisiert aus Rostock und Magdeburg), für mich auch mal in den Niederlanden. Großmeister/Weltklassespieler werden von kommerziellen Schachseiten umworben, wobei die Turniere der jeweiligen Konkurrenz dann gar nicht erwähnt werden. Darum geht es nun vor allem, wobei ich ein eigenes Meisterwerk der Unterhaltung am Ende auch verlinken werde. Bei verkürzter Bedenkzeit geht es zwar vielleicht nicht immer, aber doch oft drunter und drüber.

Ergebnisse wurden auf dem Schachticker teils bereits erwähnt, auch ich werde kaum auf die Partien eingehen da man bei sooo vielen leicht den Überblick verliert. Chess.com veranstaltete ein Turnier „in Abu Dhabi“ – zu dortiger Ortszeit bis nach Mitternacht, schliesslich soll ihr amerikanisches Publikum zuschauen. Mit ihrer Liveübertragung tue ich mich schwer – mag an mir liegen, ich konnte nur jeweils eine Blitzpartie verfolgen, Partien früherer Runden gar nicht mehr finden und habe mich nach 11 Runden Schweizer System ausgeklinkt. Danach noch KO-Format der besten acht, aber es war live nicht klar, wann das eigentlich stattfindet. Gewonnen hat letztendlich Artemiev, mit dabei waren zunächst (im KO-System nicht mehr) neben dem auf chess.com unvermeidlichen Nakamura auch u.a. Caruana, Vachier-Lagrave, Grischuk und Giri. Unter den besten acht, um nur die Russen zu nennen, auch Nepomniachtchi, Svidler und „Hubbery“ (der Klarname FM Artur Avalyan sagt mir nichts, aber er landete zwischen und vor zahlreichen GMs). Chess.com erwähnte, dass Svidler bei ihnen ein seltener Gast ist, aber nicht warum – als Spieler, Kommentator und Videoproduzent ist er ja generell bei der Konkurrenz. Zu den Partien: einmal gewann ein Spieler (Name ist mir entfallen) nach endlosem Hin und Her mit Turm gegen Läufer – nicht einmal auf Zeit, sondern auf Stellung. Keine großmeisterliche Leistung des Gegners, aber auch das ist Blitz.

Chess24 veranstaltete ein KO-Blitzturnier – ohne Schweizer System vorab, dafür längere Matches (geplant zwölf Partien). Am Ende gewann Svidler das Finale gegen Duda. In diesem Match und in praktisch allen zuvor ging es drunter und drüber – egal, ob einer dann klar gewann oder ob es knapp war, dreimal gab es eine „sudden death“ Verlängerung. Das im Finale gebotene wurde als hochklassig (high quality) bezeichnet, der notorisch selbstkritische Svidler meinte dazu „sehr großzügig“ (very generous).

Viel Rummel gab es ja um einen Schaukampf Carlsen-Firouzja mit Livekommentar der Spieler selbst bzw. generell um beide Spieler. Firouzja wird als potentieller Nachfolger von Carlsen bezeichnet, wer war das nicht alles mal? Ein gewisser Wei Yi, auch mal Wesley So als er als Carlsen-Verschnitt (Ball flach halten, nichts riskieren, gegnerische Fehler bestrafen) vorübergehend sehr erfolgreich war, auch mal Nakamura – jedenfalls laut Nakamura und seinen Fans. Zugegeben, Firouzja hat schon mehr erreicht als die ebenfalls viel bejubelte Hou Yifan – Elo über 2700 und 50% in Wijk aan Zee.

Das Match war dann sehr ausgeglichen. Dass Firouzja des öfteren hilf- und chancenlos war war keine Überraschung – in Wijk aan Zee schaffte er das mit klassischer Bedenkzeit mit Weiß, diesmal im Blitz bevorzugt mit Schwarz. Ausgeglichen war es, da ausgerechnet Magnus „keine Fehler machen“ Carlsen oft übel patzte. Bei 16 Partien kann man schlecht sagen, welche den Unterschied zugunsten von Firouzja ausmachte (Endstand 8.5-7.5), ich entscheide mich für die neunte Partie: Firouzja versuchte, eine Figur einzustellen, aber Carlsen war nicht einverstanden. Dann hat Carlsen im Endspiel erfolgreich einen Bauern eingestellt, später erlaubte er ein verlorenes Bauernendspiel aber Firouzja war nicht einverstanden. Vielleicht war es ja trickreich vom Norweger: den Gegner einladen, bei beiderseits sehr knapper Bedenkzeit wertvolle Sekunden zu investieren. Am Ende überschritt Carlsen dann in Remisstellung die Bedenkzeit. In diesem Turnier gab es gar kein Inkrement – so kann man totremise Stellungen gewinnen, eventuell auch total verlorene Stellungen. Insgesamt ein hysterisches Match, andere sagten historisch. Ähnlich turbulent war mal das Weltcup-Finale Karjakin-Svidler – da sagte meines Wissens niemand „high quality“. Aufmerksamkeit auch von Massenmedien bekam Carlsen-Firouzja wohl auch, da sonst sportlich momentan nix los ist.

Und nun läuft das „Magnus Carlsen Invitational“. Da Carlsen der Chef ist, durfte er das Format bestimmen und entschied sich für Schnellschach – vier Partien, bei Gleichstand dann Armageddon. Dieses Format wollte er auch für WM-Matches, schliesslich war er mit klassischer Bedenkzeit zweimal nicht besser als sein Gegner. Laut Carlsen hat man im Schnellschach keine Zeit, seine Schwächen zu verbergen. Hmm, ist es eine Schwäche, wenn man mal etwas länger nachdenken will oder muss? Im Schach oder anderswo – Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Medizin, … ? Da muss man mitunter schnelle Entscheidungen treffen, aber doch nicht generell. Carlsen will wohl, dass Schach so wird wie Fussball. Und/oder er will ein Format, das vor allem ihm liegt – was gut ist für Carlsen, ist gut fürs Schach (sagen jedenfalls Carlsen-Fans). Als experimentelles Format ist es schon OK. Ganz konsequent ist Carlsen dabei wohl nicht: seine Sekundanten dürfen vermutlich Eröffnungen länger als 15 Minuten analysieren.

Zwei Matches haben bereits stattgefunden, vier weitere Spieler sind morgen dran. Carlsen spielte gegen Nakamura, warum darf eigentlich die Nummer 18 der Weltrangliste mitspielen? Dafür gibt es wohl diverse Gründe: mit verkürzter Bedenkzeit kann Nakamura Schwächen kaschieren (laut Carlsen ja umgekehrt, Schnellschach ist das Mass aller Dinge). Es war ein Coup, das Internet-Monopol von chess.com auf Nakamura zu brechen. Und er ist für Carlsen generell ein angenehmer Gegner. So war es heute phasenweise auch: mit Weiß gewann Carlsen zweimal mit risikofreiem Schach – einmal stand er durchgehend besser, einmal vergeigte Nakamura brav ein Remisendspiel. Mit Schwarz wurde Carlsen aber übermütig: er wollte dynamisch spielen und hatte zweimal das Nachsehen – war auch leichtsinnig, Varianten zu spielen, die seine Sekundanten wohl nicht für ihn analysiert hatten. Also Armageddon, diesmal spielte Nakamura mit Weiß in einem Sizilianer konsequent und erfolgreich auf Verlust. Im Livekommentar hieß es dann, dass diese Partie wiederholt wird, da die Bedenkzeit falsch eingestellt war. Das passierte dann doch nicht, es gibt noch keine Stellungnahme dazu von chess24.

Außerdem Ding Liren – Firouzja, warum darf eigentlich die Nummer 21 der Weltrangliste mitspielen? Damit Nakamura nicht so fehl am Platz ist, weil auch Firouzja mit verkürzter Bedenkzeit Erfolge vorzuweisen hat und weil er eben „hot“ ist. Gegen den Chinesen gab es dann aber eine recht kalte Dusche, 1.5-2.5 war schmeichelhaft da er nach Niederlage in der zweiten auch in der dritten Partie total verloren stand – da entwischte er dann mit viel Glück und vielleicht ein bisschen Können.

Am Sonntag dann Caruana – Nepomniachtchi und Vachier-Lagrave – Giri, am Montag Carlsen – Firouzja und Nakamura – Giri. Carlsen will sich vermutlich für seine Niederlage revanchieren, diesmal muss er ja nicht live kommentieren – das machen andere.

Mein eigenes Meisterwerk findet der Leser hier. Es wird wohl nicht in die Annalen eingehen, schliesslich endete die Partie remis und ist daher nicht der Rede wert. Außerdem waren es zwei Spieler ohne Schachtitel. Ich plädiere auf mildernde Umstände: bei 32.Dxd7+ Kf6 (32.-Kxd7 war besser) hatten beide Spieler noch etwa 3 Sekunden. Dank Inkrement waren noch recht viele weitere Züge möglich, am Ende hatte ich dann die gefühlte Wahl zwischen gegnerischem Dauerschach und eigener Zeitüberschreitung. Etwas höher ist das Niveau unter Großmeistern schon, etwas höher war es übrigens auch in anderen Blitzpartien des Autors.

Unterhaltsam ist Blitz für Zuschauer durchaus, eventuell auch wenn man selbst spielt. Dann ist es auch nervenaufreibend, jedenfalls wenn man es (allzu) ernst nimmt.