Juli 28, 2024

GM Reindermann siegt überlegen im Batavia Schachturnier!

Von GM Hertneck, München
Photos: Bas Bekhuizen

Heuer fand vom 20. Februar bis 1. März die 12. Auflage das traditionellen Schachturnier im Café Batavia in  Amsterdam statt. Dieses Turnier ist dem Autor in guter Erinnerung, denn er nahm im Jahr 2011 völlig überraschend teil, nachdem ein Teilnehmer wegen Erkrankung ausgefallen war. Und siehe da, er kam, sah und siegte überraschend. Doch das waren andere Zeiten.

Das Turnier hat seinen eigenen Charme, denn es wird in einem Schachcafé ausgetragen, das in nächster Nähe zum Hauptbahnhof – und in Fußnähe zum berühmten Amsterdamer Rotlichtbezirk liegt. In dem Lokal ist ein Raum speziell für Schachspieler eingerichtet, und der Pächter des Cafés ist ein großer Schachfan – Aufgrund dieser zentralen Lage wird das Turnier auch gerne von Schachfans aufgesucht, die im großen Gastraum die Geschehnisse an den Brettern eifrig kommentieren. Im Untergeschoss des Cafés befindet sich ein weiterer Raum, in dem die Gäste gerne einer in Amsterdamer Coffeeshops beliebten Tätigkeit nachgehen…

Es gibt einen Teilnehmer, der eigentlich jedes Jahr eingeladen wird, und zwar der kreative IM Manuel Bosbom, der es heuer leider ein paar Mal mit der Kreativität übertrieb, und so abgeschlagen letzter wurde. Ein weiterer Stammgast ist GM Dimitri Reindermann, den der Autor auch schon vor Jahren mit bunt gefärbten Haaren sah, doch heutzutage sieht er ganz normal aus. Der Turnierfavorit startete mit 4,5 aus 5 Punkten, und es sah nach einem mühelosen Durchmarsch aus, bis er in Runde 7 von Friso Nijboer gestoppt wurde. Ein weiterer prominenter Teilnehmer war Lawrence Trent, der bekannte Schachkommentator, der im Mittelfeld landete.

Aus deutscher Sicht war das Abschneiden von IM Aljoscha Feuerstack sehr erfreulich, der die Bronzemedaille mit einer spektakulären Partie gegen GM Nijboer erringen konnte (die weiter unten kommentiert ist).

Hier der Blick auf die Abschlusstabelle

Rk.   Name FED 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 Pts. TB1
1 GM Reinderman Dimitri NED * 1 ½ 0 1 1 1 1 1 1 7,5 7,5
2 GM Warakomski Tomasz POL 0 * ½ 1 1 ½ ½ 1 1 1 6,5 6,5
3 IM Feuerstack Aljoscha GER ½ ½ * 1 ½ 1 0 1 0 1 5,5 5,5
4 GM Nijboer Friso NED 1 0 0 * ½ ½ 0 + 1 ½ 4,5 4,5
IM Zwirs Nico NED 0 0 ½ ½ * 1 1 0 1 ½ 4,5 4,5
IM Trent Lawrence ENG 0 ½ 0 ½ 0 * 1 ½ 1 1 4,5 4,5
IM Sukandar Irine Kharisma INA 0 ½ 1 1 0 0 * + 1 0 4,5 4,5
8 IM Van Haastert Edwin NED 0 0 0 1 ½ * ½ 1 3 3
9 IM Admiraal Miguoel NED 0 0 1 0 0 0 0 ½ * 1 2,5 2,5
10 IM Bosboom Manuel NED 0 0 0 ½ ½ 0 1 0 0 * 2 2
Der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass mit IM Sukandar auch eine Frau teilnahm, die sich durchaus beachtlich schlug.
Im Bild der Sieger mit visionärem Blick vor dem Fenster zur Gracht.

Die Partie zwischen Reindermann und Nijboer verlief zwar eher unspektakulär, war aber doch ein ganz interessantes Eröffnungsduell. Da sie die einzige Verlustparte des Seigers war, kommt natürlich Naugier auf, wie Friso den um 100 Punkte stärkeren Gegner bezwingen konnte.

Reinderman (2582) – Nijboer (2469)

  1. Batavia Schachturnier, 28.02.2020

1.c4 Englisch ist definitiv die Lieblingseröffnung von Reindermann 1…Sf6 2.Sc3 e6 3.e4 d5 4.e5 d4 5.exf6 dxc3 6.bxc3 Dxf6 7.Sf3 b6 8.d4 Lb7 9.Ld3 h6 Natürlich kam auch Lxf3 in Betracht. In jedem Fall musste aber Lg5 verhindert werden.  10.De2 10…Sd7 11.Le4 Lxe4 12.Dxe4

Schwarz scheint ein bisschen unvorsichtig agiert zu haben, da seine weißen Felder geschwächt sind. Doch es zeigt sich, dass er psychologisch klug gehandelt hat, denn Weiß geht auf Bauernraub. Interessant ist, dass Weiß trotz optisch vielversprechender Stellung ein katastrophales Score hat, wie die Chessbase Referenz aufzeigt:

12…Tc8!? Oder 12…Td8 mit der Idee 13.Db7 Ld6 14.Dxa7 0-0. 13.Db7 Weiß bleibt konsequent, geht aber auch ein Risiko ein, weil er in der Entwicklung zurückfällt. 13…Dd8 14.Dxa7 Ld6 15.0–0 0–0 16.Le3 Ta8 17.Db7

17…Ta5! Das ist der Clou. Schwarz bereitet die Verdoppelung auf der a-Linie vor, und gewinnt den Bauern zurück. 18.Dc6? Besser war wohl 18.Tfb1 Da8 19.Dxa8 Tfxa8 20.Tb2, auch wenn Schwarz mit f5 zu gutem Gegenspiel kommt. Leider wurde diese kritische Variante nicht getestet. 18…Da8! 19.Dxa8 Weiß kann sich wegen Td8 nicht auf d7 bedienen. 19…Tfxa8 20.Tfb1 Txa2 Schwarz hat den geopferten Bauern mit Zinsen zurückbekommen. 21.Txa2 Txa2 22.Kf1 f5 23.g3 g5 24.Tb5 Kf7 25.Ke1 Ke8 26.h4 g4 27.Sd2 h5 28.Kd1 c6 29.Tb1 c5 30.Tb3 Kd8 31.Sb1 Kc8 32.Ld2

Während Weiß zur Passivität verurteilt ist, hat Schwarz noch einen Hebel, den er ansetzt. 32…e5! 33.dxe5 Sxe5 34.Ta3 Tb2 35.Ta1 Sxc4 36.Kc1 Lb8 37.Ta4 37…Txb1+ 38.Kxb1 Sxd2+ 39.Kc2 Se4 0–1

Spektakulärer und dramatischer war die Partie von IM Feuerstack (im Bild) gegen GM Nijboer aus der 8. Runde

Nijboer (2469) – Feuerstack (2459)

  1. Batavia Schachturnier, 29.02.2020

1.e4 e5 2.Sf3 Sf6 3.Sc3 Sc6 4.Lb5 Lc5 5.0–0 0–0 6.d3 Sd4 Eine Nebenvariante, die sich als Glücksgriff erweist.

7.Sxe5 Mutig aber konsequent. Vorsichtigere Naturen hätten wohl zu Lc4 gegriffen. 7…d6 8.Sf3 Lg4 9.Le3 Lxf3 10.gxf3 Sh5! Schwarz dürfte für sein Opfer ausreichend entschädigt sein, denn Weiß hat sowohl am Königs- als auch am Damenflügel Probleme. Es gibt übrigens nur eine Vorgängerpartie von 1993 zu diesem logischen Zug, und damit auch keine gefestigte Theorie. 11.Lc4 Dh4 12.Kg2 Dh3 musste unbedingt verhindert werden. 12…b5! Gießt noch mal Öl ins Feuer. 13.Lb3 Fatal wäre 13.Sxb5? Sxb5 14.Lxb5 Lxe3 15.fxe3 Dg5+ mit Figurenverlust. 13…Kh8! Bahn frei für den f-Bauern. Nur so kann Schwarz seinen Angriff verstärken 14.Se2 Möglich war auch 14.Tg1 f5 15.Kh1 b4 16.Sd5 fxe4 ebenfalls mit gutem Spiel für Schwarz.

14…Sxf3! Schwarz lässt nicht locker. 15.Sg3 Das mutige 15.Kxf3!? f5 16.Kg2 f4 17.Lxc5 f3+ 18.Kh1 fxe2 19.Dxe2 dxc5 kam tatsächlich ebenfalls in Betracht. 15…Dxh2+ 16.Kxf3 Sxg3 17.Lf4! 17.fxg3 f5 18.d4 17…f5 18.Lxg3 Dh3 19.Ke2 f4 20.Th1 Dg4+ 21.f3 Dxg3 22.d4 Dg2+ 23.Kd3

Weiß scheint das Schlimmste überstanden zu haben, doch dies ist nicht der Fall. 23…Lxd4! 24.Df1 Die wunderschöne Pointe liegt in der Variante 24.Kxd4 Df2+! 25.Kc3 Dc5+ 26.Kd3 De3#

24…Dxf1+ 25.Taxf1 Lxb2 Der Rest ist Sache der Technik. 26.c3 c6 27.Le6 Tad8 28.Tfg1 La3 29.Lf5 h6 30.Tg6 Lc5 31.Ta1 d5 32.Kc2 Td6 33.Txd6 Lxd6 34.a4 b4 35.cxb4 Lxb4 36.Kd3 Tf6 37.Lc8 dxe4+ 38.Kxe4 Ld2 39.a5 c5 40.a6 c4 41.Ta4 Tc6 42.Ld7 Tc7 43.Lf5 g6  0–1 Eine erfrischend und tatkräftig vorgetragene Partie von Nachwuchsspieler Aljoscha Feuerstack!

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