Zuletzt schrieb ich nach Runde 8, „Runde für Runde“ detailliert wäre nun zuviel, also eher im Schnelldurchlauf. Zunächst der Endstand in beiden Gruppen:
Masters Carlsen 9/13, Giri 8.5, Nepomniachtchi, Ding Liren, Anand 7.5, Vidit 7, Radjabov, Shankland, Rapport 6.5, Duda 5.5, Fedoseev und Mamedyarov 5, Kramnik und Jorden van Foreest 4.5. Carlsen hat den Salat: obwohl er sich ungern fotografieren lässt bekommt er das Titelfoto – für das er sogar posierte. Alle Fotos wieder von Alina l’Ami, ab Turnierseite auf Facebook. Im Turnierverlauf bekam er die bei ihm üblichen Geschenke, oder darf man das nicht schreiben? Giri bekam durchaus auch Geschenke – der ungewöhnlichen Art, und das wurde breit getreten. Nepomniachtchi, Ding Liren und Anand hatten sich aus dem Rennen um den Turniersieg verabschiedet – auf unterschiedliche Art und Weise, auch wenn Nepo und Ding Liren in den letzten fünf Runden beide 50% erzielten (Anand 2/5).
Challengers Kovalev 10/13, Gledura, Esipenko, Chigaev 8.5, Korobov und l’Ami 7.5, Maghsoodloo und Bareev 7, Lucas van Foreest 6, Keymer 5.5, Praggnanandhaa 5, Saduakassova und Paehtz 3.5, Kuipers 3. Aus einem Dreikampf um den Turniersieg zwischen , Esipenko und Chigaev wurde „Dominanz“ des Weissrussen – das lag auch an dessen nominell leichten Gegner(innen) in den letzten beiden Runden, elobessere hatte er ja zuvor im Turnier. Am Ende konnte der mit 2/5 verhalten gestartete Benjamin Gledura noch Platz zwei teilen. Kovalev wird somit nach Dortmund, für das er sich als Aeroflot-Sieger qualiiziert hatte, 2020 sein zweites Superturnier spielen. Für Esipenko, Chigaev und auch Gledura immerhin ein deutliches Eloplus – jedenfalls die ersten beiden müssen selbst entscheiden, ob ihr Glas halb voll oder halb leer ist. Korobov und Maghsoodloo, Favoriten auf dem Papier neben Kovalev, sind sicher nicht zufrieden. Zu den beiden Deutschen im Turnier komme ich später.
Nun doch ein bisschen „Runde für Runde“, aber zunächst bekommt Giri sein individuelles Foto:
Schliesslich war er auch dieses Jahr fast gleichwertig mit Carlsen.
Runde 9:
Nepomniachtchi besiegte Vidit, obwohl dieser Russisch spielte und Weiß darauf das eigentlich harmlose 4.Sd3. So konnte Nepo wieder zu den zuvor führenden Carlsen und Anand aufschliessen, die beide remisierten.
Wie auch Giri im NL-Duell gegen Jorden van Foreest, und das trotz Damenopfer. Giri kann eben nur mit Schwarz gewinnen, eine Ausnahme sollte später die Regel bestätigen.
Aus der Challenger-Gruppe nur ein Ergebnis:
Lucas van Foreest – Kuipers 0-1 – hurra, Stefan Kuipers schaffte was seinen Konkurrentinnen um den letzten Platz im gesamten Turnier nicht gelang: eine Partie gewinnen. Chancen darauf hatten Elisabeth Paehtz und Dinara Saduakassova durchaus, aber nur das ofizielle Ergebnis der Partie wird in die Tabelle eingetragen.
Runde 10 war für die Masters der zweite und letzte Ausflug, diesmal nach Leiden und daher einige Fotos vorab:
Bei Terminen auswärts warten die meisten Spieler nach dem Rahmenprogramm gemeinsam auf den Beginn der Runde, nur Carlsen bekommt einen eigenen Raum für sich und sein Team. Nun fand man einen Weg, dass er auch auf dem üblichen Gruppenfoto im Abseits steht.
Hier ist der Weltmeister allerdings auf Augenhöhe mit seinem Vorgänger.
Und er wurde auch noch, Zufall oder nicht, mit Heiligenschein fotografiert.
Schauplatz des Ganzen die Pieterskerk in Leiden, die seit einiger Zeit keine Kirche mehr ist. Noch ein paar Fotos als Galerie:
Pfarrer Livekommentator in einer anderen Kirche war John van der Wiel, 1980-1995 hatte er noch regelmässig selbst mitgespielt.
Zum schachlichen Geschehen: Carlsen-Anand 1-0 lief nach Wunsch für den Norweger, endlich hat Vishy gegen ihn mal wieder im Endspiel gepatzt. Lange konnte er in einem leicht schlechteren Endspiel Paroli bieten, dann fiel er auf Carlsens letzten Trick herein – zuvor verpasste er die Chance, sein Schiff recht problemlos in den Remishafen zu steuern. „Typisch Carlsen, wie zu seinen besten Zeiten“ konnte man lesen, es bleibt dabei: Derlei Partien gewinnt Carlsen, wenn der Gegner einen Fehler macht, sonst nicht. Noch krasser war, was Mamedyarov in Runde 6 gegen den Norweger angestellt hatte, für Shak lief es danach gar nicht mehr.
Heute allerdings ein beiderseits solides Remis gegen Ding Liren, der nach Siegen in Runde 3 und 5 nur noch Remis spielte. Damit weiß der mitdenkende Leser bereits, wie der Chinese im Zeitraum dieses Berichts 50% erzielte.
Nepomniachtchi machte es auf andere Weise, die nächste gute Nachricht für Carlsen: hier und heute verlor er ausgerechnet gegen Jorden van Foreest. Schon die Eröffnung ging daneben, er landete in einer bekannten Najdorf-Variante mit Minustempo für ihn. Eine Chance auf Ausgleich bekam er später, ohne sie zu nutzen.
Eine schlechte Nachricht für Carlsen gab es doch: Giri gewann gegen Fedoseev, schliesslich hatte er Schwarz. Und das waren immer noch nicht alle entschiedenen Partien:
Kramnik (das Foto von einem anderen Tag in Wijk aan Zee) verlor sang-und klanglos gegen Vidit. Das anschliessende Interview begann Tom Bottema mit „es läuft nicht …“, Kramnik darauf „ja, das habe ich auch festgestellt“. Aller Ehren wert, dass Kramnik (zu diesem Zeitpunkt 2.5/10 und damit 1,5 Punkte hinter Jorden van Foreest) zum Interview bereit war – Carlsen verweigerte manchmal nach Remispartien Interviews.
Dann war da noch Duda-Rapport 0-1, was lange eher ruhig dahin plätscherte. Dann schoss Duda mit dem Gewinnversuch (?!) 32.Dd8?? ein spektakuläres Eigentor. Die Widerlegung 37.-Tc8!! ist vielleicht Stoff für Taktik-Lehrbücher, vielleicht auch nicht – nicht ganz klar, zu welchem Kapitel es passen würde da multi-funktionell.
Die in Wijk aan Zee verbliebenen Challenger wussten zwar nicht, was parallel (bzw. Rundenbeginn eine halbe Stunde später) in Leiden geschah, aber auch bei ihnen ging es drunter und drüber. Turnierrelevant war, dass Esipenko, Kovalev und Chigaev alle gewannen, nur bei Esipenko war es dabei souverän. Kovalev hatte gegen Keymer aus der Eröffnung heraus schlicht und ergreifend einen Bauern weniger und konnte die Partie noch komplett drehen. Chigaev wurde gegen Praggnanandhaa potentiell Opfer eines vernichtenden Königsangriffs, überlebte, erreichte ein Endspiel und gewann dieses da auch Pragg ein hübsches Eigentor schoss. Noch bunter war Korobov-l’Ami 1/2: die offensichtlich remise Schlusstellung verrät nicht, was zuvor alles geschah und dass l’Ami mindestens zwei Elfmeter verschossen oder gar das leere Tor nicht getroffen hatte.
Runde 11 mal ohne Fotos. Radjabov-Carlsen wurde geräuschlos Remis, Sveshnikov-Hauptvarianten sind eben heutzutage auf hohem Niveau remislich. Das mag der Grund sein, warum Sveshnikov nicht mehr so populär ist – wer mit Schwarz Sizilianisch spielt will gewinnen oder jedenfalls eventuell Gewinnchancen. Ebenso mag es der Grund sein, warum Weißspieler derlei Hauptvarianten oft vermeiden, sei es mit 3.Lb5, sei es (neuer Trend) mit „Caruanas“ 7.Sd5.
Mehr war an anderen Brettern los: Nepomniachtchi konnte mit einem Weißsieg gegen Fedoseev den Schaden vom Vortag einigermassen reparieren, Mamedyarov erlitt mit Weiß Schiffbruch gegen Vidit. Der Kampf um/gegen den letzten Platz wurde durch Kramnik-van Foreest 1-0 wieder spannend, Kramnik gewann im zweiten Anlauf: trotz merkwürdiger Eröffnung schien er JvF komplett zu überrollen aber verpasste den Gnadenstoss. Im Endspiel konnte er dann seinen jungen Gegner überlisten, bzw. das machte Jorden selbst.
Dann war da noch Giri-Shankland 1/2 1-0, wie konnte Giri mit Weiß gewinnen? Indem der Gegner in Remisstellung aufgab, was für einige Verwirrung sorgte. Offenbar betrachtete Kovalev die Schlusstellung und sagte dem Schiedsrichter „das ist doch remis, die Könige stehen verkehrt“. Aus 1-0 wurde offiziell 1/2 und dann doch wieder 1-0. Twitter-Kommentar von Karjakin: selbst wenn Giri gewinnt spielt er remis. Aber wer aufgibt verliert die Partie und der Gegner gewinnt, egal wie die Stellung objektiv einzuschätzen ist – es war eine studienartige und aus Endspielstudien bekannte Remisstellung.
Bei den Challengers heute fast nur Remispartien, auch das turnierrelevante Kovalev-Maghsoodloo schien remislich und dann gewann Weiß doch. Nicht remislich war „im Prinzip“ Bareev-Paehtz: der Veteran spielte Kaffeehaus-Schach und das konnte schief gehen – aber bei knapper Bedenkzeit begnügte Paehtz sich mit (oder fand nur) ein Dauerschach. Das war Paehtz‘ Chance, eine Partie zu gewinnen, Saduakassova hatte ihre schon zuvor gegen Erwin l’Ami. Doch noch ein Foto:
Das ist Evgeny Bareev, ich erkenne ihn nur anhand der kanadischen Flagge. Wann und wo er als nächstes wieder aktiv ist, wird die Zukunft zeigen.
Runde 12 mit drei Entscheidungen bei den Masters, mehr war möglich. Bei Carlsen-Duda 1-0 dachte der junge Pole „warum bis zum Endspiel warten mit einem Fehler gegen Carlsen, geht doch auch im Mittelspiel bzw. noch in der Eröffnung“. Carlsen musste sich nach 16.-h6? zu 17.Lxh6! durchringen, da es eigentlich nicht seinem Stil entspricht. Heraus kam ein Endspiel, in dem Carlsen zwei Leichtfiguren gegen einen Turm hatte, beide hatten noch einen Turm. Das war durchaus kompliziert, nur Peter Svidler im Video für chess24 machte sich die Mühe, es näher zu betrachten: Carlsen spielte keinesfalls perfekt, Duda hatte zwischenzeitlich sehr konkrete Remischancen. Anderswo wurde Carlsen für seine ‚perfekte‘ Endspieltechnik gelobt, Analyse anhand des letztendlichen Ergebnisses und/oder der übliche Carlsen-Hype.
Shankland-Nepomniachtchi 1-0 war die andere gute Nachricht für Carlsen, Nepos experimentelle Eröffnung ging komplett daneben. Und es konnte noch besser laufen: Giri hatte – vielleicht auch angesichts des Geschehens bei Carlsen-Duda – gegen Radjabov viel riskiert, objektiv zuviel. Aber dann bot Radjabov in für Computer klar besserer, für Menschen (jedenfalls für ihn) allerdings unklarer Stellung Remis, Giri war einverstanden. Das zweite Geschenk der ungewöhnlichen Art für ihn.
Zwischendurch mal alle (oder viele) auf der Bühne, war da noch was? Kramnik gewann schon wieder, diesmal mit Schwarz gegen Fedoseev in einer, jedenfalls für seine momentanen Verhältnisse, relativ sauberen Partie. Vidit-Rapport 1-0 1/2 zeigte Stärken und Schwächen des Ungarn: in einer Tschigorin-Verteidigung hatte er einen Bauern entweder inkorrekt geopfert oder eingestellt, jedenfalls stand Weiß klar besser. Dann stiftete er mit dem objektiv ebenfalls inkorrekten Figurenopfer 25.-Sxe4??! genug Verwirrung, um mit Remis zu entwischen.
Bei den Challengers machte Kovalev den nächsten Schritt Richtung Turniersieg und profitierte davon, dass Paehtz‘ 20.f4? sagen wir einmal übermotiviert war. Esipenko gewann spektakulär gegen Saduakassova, obwohl sein Angriffskonzept vielleicht nicht völlig korrekt war und obwohl die Kasachin Russisch spielte. Chigaev konnte Lucas van Foreest dagegen nicht besiegen, und nun hatte Kovalev vor der letzten Runde einen halben Punkt Vorsprung auf diese beiden Verfolger. Ebenso hatte Carlsen einen halben Punkt Vorsprung auf seinen einzigen Verfolger Giri.
In Runde 13 das direkte Duell Giri-Carlsen, das die Erwartungen vielleicht erfüllte (das Ergebnis kennt der mitdenkende Leser bereits)
Nicht nur Alina l’Ami hat diesen Moment fotografiert.
Giri dachte vielleicht „Carlsens flegelhaftes Verhalten am Brett muss ich noch lange genug ertragen, ich schau‘ mal bei meinem Kumpel Vidit vorbei“. Gut möglich auch, dass dieses Foto zuvor entstand, da der fotografenscheue Carlsen immer erst im letzten Moment erscheint.
Später spazierte Giri auf der Bühne herum.
Sagte ich „flegelhaftes Verhalten von Carlsen“?
GFGgg – Giri-Fan Guramishvili gut gelaunt
Zur Partie: Giri erlaubte wieder die Sveshnikov-Hauptvariante, lange kopierten sie Radjabov-Carlsen. Zuvor brauchte Carlsen 17 Minuten und 18 Sekunden für 14.-Kh8, nun spielte er denselben Zug bereits nach 17 Minuten und 7 Sekunden. Anders war, dass währenddessen spekuliert wurde, ob Giri vielleicht Remis angeboten hatte. Später opferte Giri eine Qualität, das war eher ein Verlust- als ein Gewinnversuch aber es wurde dann Remis – Carlsen Turniersieger, Giri alleiniger Zweiter. Fast alle anderen Partien wurden Remis, Mamedyarov-Fedoseev spektakulär aber vielleicht pseudo-spektakulär: fast im Blitztempo spielten sie einen Najdorf-Sizilianer mit am Ende Dauerschach. Es war theoretisches Neuland, aber Mamedyarov und Fedoseev sind offenbar befreundet und hatten mitunter gemeinsam analysiert. Für beide ging es im Turnier ja noch um wenig bis nichts.
Nicht remis wurde Rapport-van Foreest 1-0, da Jorden die Eröfnung misslang. Dann war da noch Kramnik-Shankland mit diversen Irrungen und Wirrungen. Aus der Eröfnung heraus stand Kramnik klar besser, da der Gegner unter Atemnot litt – der dritte Sieg nacheinander für Kramnik? Dann öfffnete er die Stellung im falschen Moment oder auf die falsche Art, nun stand Shankland besser. Er fand allerdings nicht durchgehend die besten Züge, nun schien Remis naheliegend – wohl auch noch nachdem Shankland eine Figur für drei Bauern gab. Einen bekam Kramnik zurück, und konnte danach seinen Läufer für zwei andere gegnerische Bauern geben mit offensichtlichem Remis. Stattdessen „spielte er auf Gewinn“ und verlor.
Das ist Vladislav Kovalev, der den Sieg bei den Challengers früh absicherte, mit Dank an Gegner Stefan Kuipers: 22.-Lc6?? 23.Lxh7+ Kxh7 24.Tg4 1-0.
Letztendlich musste es nicht sein, da seine Konkurrenten Chigaev und Esipenko dann beide verloren – gegen Gledura bzw. Bareev. Elisabeth Paehtz hatte im Quasi-Endspiel gegen Erwin l’Ami einen aktiven König, der zappelte allerdings in einem Mattnetz. Das erste vierzügige Matt fand Erwin nicht, das zweite fand er. Zuvor hatte Paehtz mit unkonventionellem Spiel den soliden Erwin l’Ami aus der Reserve gelockt, und der liess sich nicht lumpen.
Einzelkritik zu einigen, nicht unbedingt allen Spielern beider Gruppen. Carlsen – hat am Ende gewonnen. Giri – hat sich immerhin auf Elo fast 2800 verbessert und ist nun Nummer 4 der Weltrangliste (siehe auch gleich). Nepomniachtchi – zu wechselhaft, wobei er nach eigener Aussage das gesamte Turnier über krank war und gegen Shankland „das Fieber (nicht das Schachfieber)“ partieentscheidend war. Er bezeichnete sich auch als ‚Robin Hood‘, da er Giri besiegte und den Underdogs van Foreest und Shankland den vollen Punkt gönnte. Ding Liren und Anand – insgesamt zu remislich, bei Anand auch noch die vermeidbare Niederlage gegen Carlsen. Mamedyarov und Kramnik – kein gutes Turnier, wobei Kramnik immerhin nicht sieglos blieb. Mamedyarov hat den Club 2800+ ver- und Giri Platz 4 in der Weltrangliste überlassen. Für das nächste Kandidatenturnier gibt es nach derzeitigem Stand nur einen Eloplatz – Caruana braucht ihn nicht, Ding Liren bekommt ihn jedenfalls nach aktuellem Stand.
Von den weniger etablierten Spielern hat Vidit am ehesten überzeugt und ist nun auch wieder Mitglied im Club 2700+. Shankland erzielte am Ende doch noch 50%, mit Dank an Nepomniachtchi und Kramnik. Ebenfalls 50% für Rapport. Für Duda und Fedoseev gilt: es kann nicht immer nur aufwärts gehen. Da Radjabov in keine Schublade passt, bleibt nur noch Jorden van Foreest: er konnte wertvolle Erfahrungen sammeln und immerhin mit Duda, Fedo und Nepo drei 2700er besiegen.
Zu den Challengers: Kovalev ist immerhin (oder erst) 25 Jahre alt, von den jüngeren Spielern können vor allem (oder in zwei Fällen trotz allem) Gledura, Chigaev, Esipenko und auch Lucas van Foreest zufrieden sein, im Gegensatz zu Junioren-Weltmeister Maghsoodloo. Bei Vincent Keymer ist das Glas eher halb voll als halb leer, zumal er am Ende vor Praggnanandhaa landete. Korobov hatte kein gutes Turnier, Bareev hat seines mit zwei Siegen zum Schluss noch einigermassen repariert. Zu Erwin l’Ami fällt mir nichts ein und dieses Jahr kann ich ihn ja nicht selbst fragen. Bleiben die drei (Saduakassova, Paehtz und Kuipers), die Elo-erwartungsgemäss am Tabellenende landeten aber dabei relativ zu ihrer Elozahl ein bis anderthalb Punkte zu wenig erzielten. Paehtz begann mit recht vielen Remisen, danach noch 1/7. Kuipers machte es eher umgekehrt, Saduakassova (wie Paehtz sieglos) hat ihre Niederlagen gleichmässiger über das Turnier verteilt.
Wer ist nächstes Jahr voraussichtlich Aussenseiter bei den Challengers?
Max Warmerdam (damit haben wir ihn auch) gewann die Amateur-Topgruppe souverän, u.a. Siege gegen andere NL-Jungstars Liam Vrolijk und Robby Kevlishvili. Vor Jahren sprach ich beim Limburg Open erstmals den damaligen FM Jorden van Foreest, damals wurde Warmerdam als „grösstes Talent aus der Provinz Limburg“ bezeichnet.
Beim Durchklicken diverser Amateurgruppen fiel mir noch ein Name auf: Siegerin in Gruppe 2B ist Anastasia Chigaeva, damit hat sich wohl auch geklärt wer Maksim Chigaev vor Ort moralisch unterstützte – laut FIDE-Eloliste hiess sie früher Anastasia Sazonova und traf wohl dieselbe Entscheidung wie z.B. Alina Motoc und vor kurzem Elena Levushkina. Ob sie nächstes Jahr ein Niveau höher antritt liegt wohl daran, ob er erneut eingeladen wird.
Abschliessend noch ein paar, die mitspielten oder auch nicht:
Machteld van Foreest zeige ich nochmals.
Matthew Sadler war vor Ort, obwohl er (Quelle sein Auftritt beim chess24-Livekommentar) nach 19 Jahren in den Niederlanden inzwischen wieder in England lebt. Was machte er in Wijk aan Zee?
Präsentation seines Buchs „Game Changer“ über AlphaZero. Bedeutet „GameChanger“, dass Dirk Jan ten Geuzendam (links) demnächst bei den Großmeistern mitspielt? Wohl eher nicht. Rechts Sadlers Mit-Autorin Natascha Regan.
FIDE-Präsident Dvorkovich war auch vor Ort, warum?
Für den üblichen Lärm zu Beginn einer Runde, und es gab wohl noch andere Gründe.
Und ausnahmsweise (bei mir) noch ein Schwarz-Weiß Foto:
Vlasti Hort war auch vor Ort. Altersmässig und auch +- äusserlich hat er übrigens Ähnlichkeiten mit einem Münchner Vereinskollegen, von dem ich – offenbar im Internet üblich – nur die Initialen M.T. nenne. Mikhail Tal ist tot und war meines Wissens nie Münchner, sein Initialenvetter gewann (wohl unabsichtlich) eine Blitzpartie gegen mich in dessen Stil.
Ich könnte dazu Romane schreiben, aber nur zu Dirk Visser: „Mag ja an allem etwas dran sein, aber das … ist kein guter Journalismus“ – es stimmt (zumindest teilweise) aber schreiben darf man es nicht?!
Mit seiner Reaktion auf Kramniks Rücktritt – „Later today, FIDE will announce the wildcards for the candidates have been abolished“ und sonst nichts – hat Carlsen sich bei mir endgültig disqualifiziert.
Werter Herr Richter!
Auf einen „Carlsen-Roman“ aus Ihrer Feder wäre ich sehr gespannt. Vielleicht haben Sie ja Ihrer Leserschaft bisher Interna vorenthalten, durch die man Ihre schlechte Meinung über Magnus Carlsen besser verstehen könnte…
Es ist sehr bedauerlich, dass ein so großartiger Spieler wie Wladimir Kramnik, der wahrlich Schachgeschichte geschrieben hat, sich vom Turnierschach verabschiedet hat, nachdem er in Wijk aan Zee auf dem letzten Platz das Turnier beendet hat.
Kasparow, den Sie auch nicht besonders zu mögen scheinen, trat 2005 unmittelbar nach seinem Sieg im Weltklasseturnier von Linares als Weltranglistenerster von der Schachbühne ab. So einen Abgang hätte ich mir auch von Wladimir Kramnik gewünscht, der einst Kasparow entthronte.
Die Bemerkung von Magnus Carlsen zu Wladimir Kramniks Rücktrittserklärung ist sicher in dieser knappen Form nicht ganz angemessen. Er wollte auf witzige Weise zum Ausdruck bringen, dass W. Kramnik als einziger unter den Großen des Schachs eine Wildcart verdient, weil er in den letzten Jahren halt eine recht „wilde“ Spielweise pflegt, durch die er recht viele Niederlagen in Kauf nimmt.
Carlsens Kommentar ist zu kurz, um ein Urteil über ihn zu fällen. W. Kramnik präsentierte sich in Wijk aan Zee in so ungewohnt schlechter Weise, dass wohl jeder Mitleid mit dem großen Spieler bekommen konnte.
Sie legen einen sehr hohen Maßstab an den amtierenden Weltmeister, sowohl, was seinen Charakter betrifft, als auch sein schachliches Können, das Sie meinen beurteilen zu können.
Wenn es um den Charakter eines Schachspielers geht,dürften Sie auch ein Problem mit Alexander Aljechin, Robert Fischer und anderen Schachgrößen haben. Aljechin hatte große Alkoholprobleme und äußerte sich in der Nazi-Zeit sehr abfällig über jüdische Schachkollegen, Fischer hatte stets fast unerfüllbare Sonderwünsche und war bis zu seinem Tode ein nahezu manischer Judenhasser. Aljechin und Fischer werden neben Kasparow von vielen für die größten Schachspieler aller Zeiten gehalten. Ich glaube, dass Magnus Carlsen trotz seiner flegelhaften Sitzhaltung am Schachbrett und seiner zu kurz angebundenen Sprechweise, die sie ständig nachahmen, dereinst zu ihnen gezählt wird.
Große Schachspieler sind Ausnahmegestalten, die hinsichtlich ihres Charakters, ihres Benehmens usw. oft nicht der Norm entsprechen. Das ist kein absichtliches nonkonformistisches Verhalten sondern der Leidenschaft und Intensität geschuldet, mit der sie dieses Spiel betreiben. Das verstehen „kleine“ Schachspieler nicht, die aber wegen ihrer Engine mittlerweile glauben,schachlich überall kompetent mitreden zu können.
Viele wollen nicht einsehen, dass diese Ausnahmespieler nicht nur deshalb so stark sind, weil sie mehr dafür getan haben oder bessere Voraussetzungen hatten und nehmen es ihnen deshalb übel, wenn sie sich außerhalb des Brettes nicht „normal“ benehmen.
Ich glaube, dass Sie kein Fan von J. R. Capablanca sind, sondern einer romantischen Spielweise a la M. Tal huldigen, der übrigens in reiferen Jahren eine unglaubliche Serie nicht verlorener Spiele hinlegte wie heutzutage Ding Liren.
Wegen des Computers stehen wir bald am Totenbett des klassischen Schachs auf höchster Ebene. Es ist kein Wunder, dass Carlsens trockene Spielweise sich als so erfogreich erwiesen hat. Er ist nach eigenem Bekunden ein Kenner der Partien alter Meister, kein Computerschachkid, wie fast alle Schachspieler seiner Generation. Er will noch richtig Schach spielen, nicht gegen ausgeklügelte Computervarianten, was aber immer schwerer wird. Das Vermeiden von Hauptvarianten führt zu nachteiligen Stellungen oder oft zu remislichen.
Die Spieler sind sich an der Spitze spielerisch nahezu ebenbürtig, was Carlsen immer wieder betont, der überhaupt sein Spiel und das anderer immer sachlich bewertet. Carlsen ragt deshalb heraus, weil er die wenigsten Fehler macht, sehr nervenstark und körperlich fit ist, selten seine Möglichkeiten falsch einschätzt und extrem ehrgeizig ist,jede Partie gewinnen will.
In unserer immer mehr von den Computern bestimmten Zeit ist es eine sehr unrealistische, romantische Vorstellung,dass der Schachweltmeister einer Göttergestalt gleich, alle anderen vom Brett fegen soll. Und nett und adrett soll er auch dabei sein …
Ein wenig sachlicher und frei von Polemik gegenüber dem Weltmeister hätte dem insgesamt interessenten und individuellen Bericht besser zu Gesicht gestanden.
Dem kann ich nur zustimmen. Aber das macht Herr Richter immer, wenn er über ein Turnier schreibt, an dem der Weltmeister teilnimmt. Carlsen gewinnt seiner Meinung nach durch „Geschenke“ des Gegners, grobe Fehler, die nicht mal er(der Autor) gemacht hätte oder weil man zu viel Respekt vor ihm habe, Stellungen taktischen Gepräges beherrsche er nicht gut bzw. vermeide er, seine Endspieltechnik werde überbewertet. Carlsen hat seiner Meinung nach ein flegelhaftes Benehmen, gebe ungern Intervieves, wird er von Veranstaltern zu sehr hofiert. Er gefällt besoders darin, eine andere Meinung als die Fan-Gemeinde Carlsens zu haben.Mag ja an allem etwas dran sein, aber das nervt auf die Dauer und ist kein guter Journalismus..
Mir ist schon in den ersten Zeilen aufgefallen, dass der Autor von Magnus Carlsen nichts hält. Das ist an sich in Ordnung, nur muss man dass nicht in gefühlt jedem zweiten Absatz deutlich machen.
Erstes Beispiel: „… es bleibt dabei: Derlei Partien gewinnt Carlsen, wenn der Gegner einen Fehler macht, sonst nicht.“
Was soll mir dieser Satz sagen? Ohne einen Fehler des Gegners ist nach menschlichem Ermessen keine Partie zu gewinnen.
Zweites Beispiel: „Giri dachte vielleicht “Carlsens flegelhaftes Verhalten am Brett muss ich noch lange genug ertragen, ich schau’ mal bei meinem Kumpel Vidit vorbei”.“
Ohne Worte.