Anlässlich seines zehnten Todestags erinnert sich NN-Redakteur Richard Reinl an ein „Geheimtreffen“ mit dem ehemaligen Weltmeister
Vor zehn Jahren ist der beste Schachspieler aller Zeiten gestorben. 1990 hatte sich Bobby Fischer mehrere Monate lang bei Kaspar Bezold in der Waischenfelder „Pulvermühle“ versteckt. Während die ganze Welt das scheue Schachgenie suchte, saß NN-Redakteur Richard Reinl eine ganze Nacht lang mit dem ehemaligen Weltmeister an einem Tisch. Unvergesslich.
Fünf Millionen Dollar waren geboten: Die ganze Schachwelt jagte 1990 den ehemaligen Weltmeister Bobby Fischer, um ihn zu einer Titelverteidigung zu überreden. Doch der uneingeschränkte König des königlichen Spiels schaffte es seit 1972 immer wieder, unterzutauchen. Seit Oktober war die „Pulvermühle“ bei Waischenfeld seine Heimat. Dem „NN“-Reporter, den er als Freund akzeptiert hatte, erzählte er eine ganze Nacht lang aus seinem Leben.
Als dann der „stern“ mit einer ganzen Mannschaft aufkreuzte und mit sechsstelligen Beträgen lockte, war das „Phantom“ so schnell wieder verschwunden, wie es einst an der Wiesent aufgetaucht war: Robert James Fischer (47) scheute die Öffentlichkeit wie der Teufel das Weihwasser.
Selbst die engsten Freunde des „amtierenden Schachweltmeisters“, wie er sich selbst bezeichnete, konnten ihnen keine Auskunft geben: „Wir haben ihn selbst seit Jahren nicht mehr gesehen.“ Wer sollte dieses öffentlichkeitsscheue Genie ausgerechnet in Waischenfeld vermuten?
„Keine Kamera, kein Bild, kein Journalist.“
Fischer kam die abgeschiedene Ruhe der Nebensaison in der Fränkischen Schweiz gerade recht. Hier, im Haus von Kaspar Bezold, in dem Schach eine so große Rolle spielte, wollte er auf unbestimmte Zeit bleiben. Die Auflage aber war unmissverständlich: „Keine Kamera, kein Bild, kein Journalist.“
Über Lothar Schmid aus Bamberg war Fischer auf die Pulvermühle aufmerksam geworden. Ihn, den Oberschiedsrichter, der ihm 1972 in Reykjavik im Weltmeisterschaftskampf gegen Boris Spassky einen Punkt aberkannt hatte, weil er wegen der vielen Kameras nicht antreten wollte, hatte er besucht, um – international gehetzt – ausspannen zu können. Schmid und Fischer fuhren nach Waischenfeld und die Atmosphäre bei Kaspar Bezold hat den Sonderling sofort in Beschlag genommen. Wenige Tage später stand er wieder vor der Tür: „In Bamberg ist es mir zu hektisch und zu eng.“ Waischenfeld hatte einen Bürger mehr, einen ausgesprochen berühmten noch dazu.
Schach-Genie feierte im Hause Bezold Weihnachten
Das Schach-Herz von Kaspar Bezold schlug höher und höher: Bald genoss „Bobby
“, wie er freundschaftlich genannt werden wollte, Familienanschluss. Am Heiligen Abend feierte er mit der Familie Weihnachten, die größte Bescherung für Vater Kaspar und Sohn Michael Bezold, bei denen sich in der Freizeit alles um Schach drehte – Michael war mit 18 Jahren der jüngste Spieler der Bundesliga.
Bobby Fischer hatte es gut in Waischenfeld. Er, der sich Jahre vorher im Keller einer amerikanischen Kirche versteckt gehalten hatte, genoss hier VIP-Service, eine persönliche Betreuung. Kaspar Bezold nahm in inkognito mit zu Kreistagssitzungen nach Bayreuth, er besuchte mit ihm immer wieder das Thermalbad in Staffelstein, er spazierte mit ihm durch die Täler und Wälder und er weckte in ihm, dem Antialkoholiker, die Liebe zum selbstgebrauten, fränkischen Bier. Kaspar Bezold: „In Nankendorf beim Schroll und in Breitenlesau beim Krug hat es ihm am besten gefallen.“
Ein Ausflug führte das Schach-Duo Fischer-Bezold auch nach Nürnberg zur Firma Inselsberger. „Bobby“ war aus dem Häuschen: „Hier werden die besten Taschen-Schachspiele der Welt gefertigt.“ Spontan bestellte er 100 Exemplare. Dieses Requisit war für ihn, der aus Scheu vor der Öffentlichkeit vom Weltmeister zum Taschenspieler geworden ist, besonders wichtig. Auch in der „Pulvermühle“ übte er lange Zeit nur in seinem abgeschlossenen, auch durch das Fenster vom Wald her nicht einsehbaren Zimmer – allein.
Erst nach Wochen, als er volles Vertrauen zu Kaspar Bezold hatte, lud er den Wirt immer wieder einmal zu einem Match unter vier Augen ein. Dieser kam aus dem Staunen nicht heraus: „Bobby spielt Schach wie von einem anderen Stern.“ Auch der Schachcomputer der Extraklasse im hause Bezold hatte nicht den Hauch einer Chance: „Mit dem war er in null Komma nix fertig“, erinnert sich Bezold.
Auch wenn es Fischer nach außen hin nicht anzumerken war, so drehten sich doch seine Gedanken nur um Schach, auch beim gemütlichen Dämmerschoppen mit dem „NN“-Reporter: Bobby Fischer blätterte immer wieder eine vor ihm liegende Boulevard-Zeitung durch, ließ sich einzelne Wörter erklären, so, als wolle er auf diese Weise Deutsch lernen, jammerte, dass es unglaublich sei, welch` hübsche und vor allem junge Mädchen Jet-Setter in seinem Alter noch vorzeigen können und riß dann plötzlich sein Inselsberger-Taschenschach aus der Hosentasche. Zwei, drei Züge und schon kommt wie aus der Pistole geschossen die Frage: „Kennst Du die Schlussstellung aus dem Weltmeisterschaftsspiel gegen Spassky?“ Fischer kommt dem überfragten „NN“-Reporter zuvor: „Kannst Du nicht kennen, denn es gibt zwei Varianten und keiner weiß, welche die richtige ist. Ich aber weiß, dass ich von den Russen betrogen worden bin.“
Dieses Misstrauen der führenden Schachnation gegenüber ist es, das Fischer auf der Flucht vor der Öffentlichkeit in Atem hielt. Er, vom Erfolg regelrecht besessen, fürchtete, dass er der übermächtigen Maschinerie hinter den Kulissen des Gegners nicht gewachsen ist, überzeugt davon, dass selbst der Internationale Schachverband – der ihn 1975 entmachtet hatte – vom sowjetischen Geheimdienst unterwandert ist.
Diese Vermutung fand in Waischenfeld neue Nahrung, als der nach seiner amtierende, weil niemals geschlagene Weltmeister den Titelkampf zwischen Kasparow und Karpow verfolgte: „Es ist unglaublich, wie schwach beide spielen. Sie schieben sich nur gegenseitig die Punkte zu.“
Unbeschreibliche Angst vor dem KGB
Über die vielen Jahre seit 1972 hatte sich Bobbys Misstrauen den Sowjets gegenüber, die immer wieder remis spielten, um sich so Punkte zuzuschanzen, ausgeweitet zu einer regelrechten Paranoia gegenüber allem russischen. Einer seiner ehemaligen Betreuer Ron Gross: „Das geht so weit, dass sich Bobby alle Zahnplomben hat herausreißen lassen, weil er glaubte, die Russen würden ihn über in den Füllungen versteckte Mikrosender manipulieren können. Lieber lässt er seine Zähne verfaulen, als sich von den roten Teufeln fertigmachen zu lassen.“
In Waischenfeld gab es einen neuen Höhepunkt der Abneigung: Als im November eine russische Schach-Mannschaft mit dem Vize-Weltmeister im Fernschach, Gennadi Nesis, an der Spitze in der „Pulvermühle“ logierte, verließ Fischer eine ganze Woche lang sein Zimmer nicht ein einziges Mal.
Auch später, bei seinem dreimonatigen Aufenthalt in Deutschland, fehlte es hinter den Kulissen nicht an Plänen, den Weltmeister, dem 1975 kampflos der Titel aberkannt worden ist, wieder ans Schachbrett zu locken. Von Millionengagen war die Rede, von Schaukämpfen und von der Wunschvorstellung, dass er – vielleicht sogar kostenlos – an Brett 1 des Bamberger Schachclubs antreten könnte. Der Plan der Domstädter entbehrte nicht einer gewissen Genialität: „Bis es die Russen bemerkt hätten, hätte Fischer dank seiner Ausnahmestellung in der Bundesliga so viele Punkte eingespielt, dass er ohne Probleme an die Weltspitze zurückgekehrt wäre.
Dazu ist es nie gekommen. Als ihn die „stern“-Reporter in der Küche der „Pulvermühle ausfindig gemacht hatten, suchte er Hals über Kopf das Weite. Vor zehn Jahren ist er gestorben.
RICHARD REINL
Ein herzliches Dankeschön an die Redaktion von Nürnberger-Nachrichten/Nordbayern (Online-Ausgabe)
Lesen Sie auch „Fluchthilfe für Fischer“
More Stories
Presse
Presse
Presse
Presse
Presse
Presse